Linke Flaschenpost von Jutta Ditfurth

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Ein Plädoyer warum auch Freitag-Leser das neueste Buch von Jutta Ditfurth lesen und diskutieren sollten




Das Buch rekapituliert noch einmal kurz und prägnant die letzten 20 Jahre der globalisierungskritischen Bewegung, die nicht erst mit Seattle begann. Nicht erst in Genua 2001 sondern schon einige Monate vorher bei dem EU-Gipfel in Göteborg waren von Polizisten Schusswaffen eingesetzt worden. Sie beschreibt auchnoch einmal, wie damals Jugendliche, die sich spontan zur Einrichtung eines Infotelefons bereiterklärten, um Festnahmen und Polizeirepression zu melden, als Terroristen behandelt wurden und wegen der Versendung einer SMS zu langjährigen Haftstrafen verurteilt worden sind. Es handelt sich hier keineswegs um eine Vergangenheit. Erst Ende Juliwurde ein Dresdner Antimilitaristfreigelassen, der seit April 2009 nur deshalb in Untersuchungshaft saß, weil er einen Metall- Heringim Gepäck hatte. Er wollte ein Zelt aufstellen, beim Protestcamp gegen den Natogipfel. Auch andere junge Menschen, die Anfang April rund umStraßburg inhaftiert worden sind, und die sogar aus dem Gefängnis heraus Medien für ihren Fall zu interessieren versuchten, sitzen immer noch. Die Medien, auch der Freitag haben es nicht registriert. War es nicht einmal ein wichtiger Grundsatz eines aufgeklärten, linksliberalen Bürgertums,dass Menschen, die nicht verurteilt wurden als unschuldig gelten sollen und auch so behandelt werden müssen? Wäre es da nicht selbstverständlich dazu, sich mit den Inhaftierten, ihren Haftbedingungen und ihrer Version der Ereignisse ebenso zu befassen, wie mit den Verlautbarungen des Staates?Müsste dasich da eine Zeitung wie der Freitag nicht angesprochen fühlen?



Suche nach dem fortschrittlichen Bürgertum?

Da wären wir wieder bei Jutta Ditfurth. Auch sie vermisst ein fortschrittliches Bürgertum, das sich für Menschenrechte auch für Andersdenkende im real existierenden Kapitalismus einsetzt. Das wäre doch der Einsatz des Freitag. Schließlich werden hier wöchentlich Auszüge aus neuen gesellschaftlich relevanten Büchern abgedruckt? Vor einigen Wochen kam da auch ein Jan Fleischhauer mit seinem Abschied von der Linken oder was der gute Mann dafür hält, zur Ehre eines Abdrucks. Jutta Ditfurth hat sich nie von der Linken (nicht zu verwechseln mit der Linkspartei)verabschiedet.Sie gehört zu den Menschen, die sich nicht dumm machen lassen von den Verhältnissen und die die herrschende Unvernunft nicht mit postmodernen Worthülsen ummanteln. Schon deswegen verdient ihr Buch Aufmerksamkeit. Es ist auffällig, dass sie auch schon in den Vorgängerprojekten des Freitag zur Persona non Grata wurde, weil sie schon Ende der 80er Jahrendiedamals aufkommende rotgrüne Besoffenheit nicht mitmachte. Nun haben wir das hinter uns und schon wieder werden nun um die Linkspartei erweiterte Crossover-Projektegeschmiedet. Was dabei völlig verloren geht, ist eine radikale Analyse und Ablehnungder herrschenden Verhältnisse. Ditfurth ist da seit Jahren eine Ausnahme.

Kein Abschied von der linken Bewegung


Es ist gerade der Charme von »Zeit des Zorns«, dass Ditfurth an den Zielen festhält, die Ende der 70er Jahre viele teilten, die mit ihr die Grünen gründeten. Ditfurth verließ diese Partei, deren Bundesvorsitzende sie von 1984 bis 1988 war, schon 1991. In den vergangenen Jahren ging sie radikal mit ihren ehemaligen Parteifreunden ins Gericht. In der aktuellen Streitschrift spielen die Grünen keine große Rolle mehr. Nur gelegentlich werden sie zum Vergleich mit der PDS bzw. Linkspartei (es ist sehr verdienstvoll die Partei so nennen,um den angemaßten Anspruch „Die Linke“ zu sein, entgegenzutreten) “herangezogen, die dabei nicht gut wegkommt. »Die PDS zum Beispiel, die Anfang der 90er noch

vorgegeben hatte, eine linke, explizit antikapitalistische Partei sein zu wollen, war längst zu einer Möchte-gern mitregieren-Partei geworden, hatte sich – schneller als die Grünen – angepasst.«

Doch viel schärfer ins Gericht geht Ditfurth mit den Sozialdemokraten, die mit der PDS zur Linkspartei fusionierten. Dabei zitiert sie aus einer Rede, die sie im September 1990 auf der Wahlprogrammversammlung der Linken Liste/PDS gehalten hatte, zu der sie als linke Grüne eingeladen war. Darin warnte sie vor Illusionen und Wunschträumen, die in Äußerungen von PDS-Vertretern über die SPD zu finden seien. In ihrem Beitrag nannte sie den damaligen SPD-Vorsitzenden Lafontaine einen »prototypischen Sozialdemokraten«.

Heute ist für sie entschieden, dass die LINKE den Weg der Grünen gehen wird und in der von ihr propagierten Linken als "reformismusfreie Zone" keinen Platz hat..

Reformismusfreie Zone Droemer-Verlag

Das Buch istauch eine Art Flaschenpost. Erschienen ist es in einem Verlag, der sicher zu den von der Autorin geforderten reformismusfreien Zonen in anderem Sinne gehört, weil er eben konservativ ist. Dort war sicher die Kritik an der Linkspartei für die Veröffentlichung ausschlaggebend, die schließlich auch willkommen ist, wenn sie links kommt. Nur wäre es eine totale Verkürzung, Ditfurths Buch auf die Abrechnung mit der Linkspartei, also auf zwei Kapitel, zu reduzieren. Wenn es gelingt, auch beim oft bürgerlich-konservativen Publikum desDroemer Verlags Verständnis für linke Gesellschaftskritik zu wecken, dann hat die linke Flaschenpost ebenso ihr Ziel erreicht, wie wenndas Buch auch in Kreisen der linken Bewegung auf Resonanz stößt, die Ditfurth spätestens nach ihrem Austritt bei den Grünen ignoriert haben. Die Wirtschafts- und Finanzkrise, die so viele schon wieder weg reden wollen, könnte ja bei Manchen zum Neustart des eigenen Gehirns genutzt worden sein.




Jutta Ditfurth: Zeit des Zorns. Streitschrift für eine gerechte Gesellschaft, Droemer Verlag, 267 S., 16,95 €.


Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Peter Nowak

lesender arbeiter

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