Echt, echter, Roche?

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Kann mir bitte jemand helfen bei der Einschätzung von Charlotte Roche? Was möchte sie eigentlich repräsentieren?

Nehmen wir die Interviews mit Roche im SPIEGEL (8. Aug, S. 108-114) und im ZEIT-MAGAZIN (11. Aug, S. 10-15) der letzten Woche einmal als authentische Stimme der Autorin, denn das will sie ja sein: authentisch. Sie redet viel über Tabus - das Gegenstück zum Authentischen - die sie gerne brechen möchte, wo sie sie findet. Das ist ein respektables Ziel. Ich war gespannt, was sie Lesern, die gewohnt sind, dass über so vieles offen gesprochen werden kann, noch anbieten will. Insbesondere, weil ich schon beim „Feuchtgebiete“-Hype nicht verstanden habe, was an Würmern am After noch so aufregend neu sein kann, nachdem wir mit Kriechtieren durch das Dschungelcamp doch schon alle so reichlich verwöhnt sind.

Ich fand zunächst einmal nichts - außer Dingen, die in den 50er Jahren noch ein Tabu gewesen sein mögen: Die Frau will ihrem Mann gefallen, in der Familie alles richtig machen, eine tolle Mutter mit einem tollen Körper sein, macht sich wahnsinnigen Druck, während der Mann diese Erwartungen gar nicht aktiv an sie heranträgt. Ist das Roches Problemtableau? Für mich sieht es nach Mutti aus, die im Petticoat durch die erste Einbauküche wirbelt. Für viele Frauen mag das noch Realität sein, für noch mehr Frauen mag die innere Einbauküche ein psychologisches Problem sein. Das ist ernst zu nehmen und beklagenswert. Ein Tabu ist es aber sicher nicht, eher ein Thema, das massentauglicher nicht sein könnte. Die „neurotische Frau“ füllt heute meterweise Regale mit Ratgebern oder Ferienliteratur.

Auch andere von Roches vermeintlichen rhetorischen No-go-areas verfangen nicht. „Die Frage, wie man Sex hat, wenn noch ein Kind durch die Wohnung rennt, ist ja auch ein Thema, über das nie jemand ernsthaft spricht.“ Das könnte daran liegen, dass die Frage als Problem einfach pillepalle ist, eine, für die die meisten Paare pragmatische Lösungen finden, ohne eben groß darüber reden zu müssen. Sicher, vor fünfzig Jahren konnte man noch Filmszenen daraus machen: Das Kind klopft an, fragt, warum es nicht ins Zimmer kann, von drinnen Doris Day: „Einen Moment, Schätzchen, ich muss nur noch … äh ... zuende bügeln.“

Mir kommt der Verdacht, dass Roches Themen im Grunde – von der forschen Sprache und den expliziten Bildern mal abgesehen - überhaupt nicht krass sondern ziemlich normal und bieder sind und eben deshalb ein so breites Publikum ansprechen. Leser finden ihre alltäglichen Minutiae wieder, über die sie sonst nicht sprechen, weil sie auch nicht drüber sprechen müssen – soviel Druck liegt auf der Sache am Ende gar nicht, dass es zum öffentlichen Thema reichen würde.

Geheimnisse, über die jeder offen reden kann, sind weder Geheimnisse noch besonders interessant noch gehört Mut dazu, sie als einer von vielen ans Licht zu bringen. Roche muss die Luft erst heiß machen, die sie in solcher Menge erzeugt. Medienprofi, der sie ist, kann sie das besonders gut. Sie weiss auch, das zum Medienspiel heute gefühlte Authentizität gehört. Vielsagend sind ihre Beschreibungen im Interview: „Meine Lesungen sind der reinste Fake, ich spiele, dass ich authentisch bin. Denn ungebrochene Authentizität ist das Langweiligste, was es gibt. … Der Zuschauer will die perfekte Simulation des Authentischen“. Wie verträgt sich der Fake mit dem Wunsch, „bis zur Selbstaufgabe ehrlich zu sein“? Doch nur, indem der Wunsch ein Teil der Inszenierung ist.

Mag sein, das Charlotte Roche tatsächlich über Dinge spricht, die sie ehrlich für Unausgesprochenes oder Unaussprechbares hält. Nur ist sie, wenn sie damit gedankliche Dammbrüche auslösen will, in der falschen Zeit beziehungsweise der falschen Gesellschaft gelandet. Sie will trotzdem mutig sein, krass, wie sie im SPIEGEL-Interview sagt. Das geht auch, indem man erst Themen zu einem Tabu erklärt, das man anschließend gleich wieder brechen kann. Vielleicht schreibt Roche nach einem Tabugenerator: Sie entdeckt etwas, von dem sie berührt wird. Dann sagt sie: „Das ist mir neu. Da kann ich so tun, als hätte überhaupt noch nie jemand darüber gesprochen!“ und: „Viel krasser sieht es aus, wenn ich auch noch Tabu dazu sage!“ So findet man sich schnell in der Rolle der Mutigen wieder. Zügellos aussehende Sprache und einen bekannten Namen obendrauf und die Großinszenierung kann abheben.

Roche kommt der Hunger der Medien nach Tabubrüchen, nach Krassem und Ehrlichem sehr entgegen. Vielleicht ist die Tabumanie von TV und Buchmarkt dasjenige, das öffentlich angesprochen gehört. Mit dem Geruch des Skandalösen versehen wird jedes Stück privater Betroffenheit schnell zu einem Mediensturm. So mag das sein. Neugierig auf die „Schoßgebete“ macht es mich aber nicht.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Peter Plöger

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Peter Plöger

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