Jenseits der Rituale

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Auf dem Parteitag der Linken in Göttingen wurde mit Katja Kipping das erste Mal in der Nachkriegszeit eine Linke einer neuen Generation an die Spitze einer deutschen Partei gewählt.

Von Robert Zion

Ob es nun die ersten Vorboten umfassender Revolten sind, wie wir sie gegenwärtig in Oakland oder New York, im arabischen Raum oder – noch zaghaft – in den unter Druck geratenen europäischen Sozialstaaten erleben, ob es der neue Ton in der intellektuellen Linken über Naomi Klein, Hardt/Negri bis zu David Graeber ist – allmählich entsteht endlich wieder eine politisch ernst zu nehmende Linke. Und ernst zu nehmen war die Linke immer nur dann, wenn sie sich nicht in endlosen ideologisch geprägten Debatten über den richtigen Beschreibungsmodus der aktuellen Herrschaftsformen ergangen hat, sondern in der Theorie und in der Praxis konsequent den Befreiungsformen widmete.

Auf dem Parteitag der Linken lag diesbezüglich die innere Verfasstheit einer Traditionslinken erstaunlich offen, geradezu wie auf dem Seziertisch. Der Ton und die affektive Architektur des Konflikts sprachen ganze – blaue – Bände. Die Melancholie und die Wut Gysis ob der nüchternen Erkenntnis des x-ten Scheiterns einer Zusammenführung des ideologischen Gegensatzes Reform/Revolution, die verletzte – und damit in der Replik immer auch verletzende – Aggressivität Lafontaines, die besserwisserische Häme Dietmar Dehms. Wie Mühlsteine glauben sie alle die schwere Last der Verantwortung für die subalternen Schichten im historischen Prozess mit sich schleppen zu müssen. Und wie im Hegelschen Systemdenken geht es dann natürlich immer um nicht weniger als um alles.

„In der Fraktion herrscht Hass“, sagte Gysi. Der Schlüsselsatz des Parteitags. Irgendwo dazwischen in dem ganzen affektiven Prozess wurde dann auch eine neue Parteivorsitzende gewählt: Katja Kipping, 1978 in Dresden geboren, schon lange eine Art Fixpunkt in einem partei- und gesellschaftsübergreifenden bundesweiten Netzwerk der postheroischen und postfordistischen Linken. In einem gänzlich anderen Tonfall erklärte sie das Grundanliegen emanzipatorischer Bewegungen, Revolten und Politiken seit Menschengedenken: Sich nicht von den Herrschenden gegeneinander ausspielen lassen und die Angst aus der Gesellschaft zu nehmen. Da ist also jemand, der nicht glaubt für die Menschen sprechen zu müssen, sondern der daran errinert, dass es darauf ankommt,Verhältnisse zu schaffen, in denen die Menschen für sich sprechen können.

So unmittelbar einsichtig dieser Kern einer emanzipatorischen Linken auch erscheint, so selten tritt er in Erscheinung. In der Regel hört man solch leise Töne in der Linken nur, wenn der Schlachtenlärm verklungen ist und die Rauchschwaden vom übriggebliebenen Trümmerfeld langsam abzuziehen beginnen. Nach einer Generation der Schröders, Fischers und Lafontaines wird es in der parteipolitischen Linken eine neue Generation geben. Das ist ausgemacht. Die erste Erkenntnis dieser Generation wird die sein, dass es im Zusammenfall des Kapitalismus logischerweise diejenigen als erste trifft, die ihre ganze Identität aus dem schieren Vorhandensein dieses Kapitalismus gewonnen haben. Der kalte Krieg beginnt endgültig zu Ende zu gehen. An der Peripherie und Semi-Peripherie unserer globalen Ordnung findet dieser Umbruchsprozess längst statt. Zunehmend geraten die „Herrschenden“ - der zentrale Begriff in Katja Kippings Rede – in Schwierigkeiten noch irgendwie Gewaltverhältnisse in die Umbrüche zu implementieren.

Übrigens: Wer im Zusammenhang von Politik offen von Hass spricht, der sollte zumindest über die Liebe nicht schweigen. Der zentrale Begriff bei Platon und in der Rennaissance. Die nahe liegende Anmutung der Lächerlichkeit, heute von ihr wieder politisch reden zu können, zeigt uns dann nur, wie weit wir noch von einer humanen Gesellschaft entfernt sind. Das gleiche gilt vom communen, dem uns allen Gemeinsamen. Derlei Gedanken aus der heutigen linken Theoriedebatte sind Katja Kipping im übrigen sehr gut bekannt. Erste neue Ideen einer neuen emanzipatorischen Generation der Linken wie das Grundeinkommen, Gemeingüter, die institutionelle Anerkennung aller Arbeitsformen sind ohne diese affektive Revolte dann auch nicht zu verstehen. Denn die Welt zu bauen statt sie zu beherrschen, verlangt zunächst einmal, sich wieder mit ihr und den menschlichen Potenzialen in Verbindung zu setzen, das affektive Grundgerüst unserer sich seit je her im Miteinander bewegenden Existenz wieder herzustellen.

Ökonomisch, sozial und ökologisch befinden wir uns in einer Art kulturellen Revolution, für die es kein einheitliches Subjekt mehr gibt. Dieses auch von Katja Kipping „Mosaiklinke“ genannte Phänomen, ist etwas gänzlich anderes als das bipolare Ordnungsprinzip, auch noch das in ihrer eigenen Partei. Bei SPD und Grünen werden ähnliche Prozesse stattfinden. Derzeit etwa befindet sich der linke Flügel der Grünen in einem vergleichbaren Prozess, in dem auf der Grundlage der Erkenntnis der eigenen Pluralität eine gemeinsame Form gesucht wird. Die ewige Geschichte der Linken vom hohen Ideal und niederen Verrat, sich in einer von Grund auf vergifteten Affektivität und in ewigen Selbstbestägingsritualen erzählt, kann und sollte darum auch zu Ende gehen.

Für neue Bewegungen gilt dies schon längst. Für linke Parteien sollte dies nicht nur innerparteilich sondern auch untereinander bald schon möglich sein. In den letzten Tagen jedenfalls habe ich mit niemanden bei den Grünen, in der SPD oder in anderen politischen Zusmmanhenängen gesprochen, für den die Wahl Katja Kippings nicht auch diese Bedeutung hatte. Zweifel kamen lediglich ob der scheinbaren Größe ihrer Aufgabe auf. Doch muss niemand die Mühlsteine anderer mitnehmen und an deren Windmühlen kann man auch einfach vorbei reiten.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Robert Zion

Gruenen-Politiker, Publizist

Robert Zion

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