Über Empathie und die USA, die kleine Länder zerquetschen soll

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Kürzlich berichtete die Süddeutsche in ihrer Rubrik “Wissen” über neueste Forschungsergebnisse, denen zufolge Empathie – also die Fähigkeit zum Mitfühlen – genetisch festgelegt zu sein scheint.

Offenbar konnte man die dafür zuständigen Gene identifizieren und mit ihnen die Ausprägungen im menschlichen Handeln.

Salopp gesagt: Manche Menschen fühlen beinahe vollständig mit ihren Mitmenschen – oder Mitlebewesen. Anderen Menschen wiederum fehlt von Natur aus jegliches Mitgefühl.

Anmerkung: Sie werden diese Eigenschaft auch nie erwerben. Sie können im besten Fall “lernen” sich so zu verhalten, als hätten sie Mitgefühl. Eine Art Mimikry. Tarnung. In der erstbesten Situation, in der ihr wahres Naturell herausgefordert wird, blättert die dünne Schicht Erziehung ab wie die Farbe am alten Gartenhäuschen.

Brauchte es für diese naturwissenschaftliche Einsicht tatsächlich die Forschung? Für manche offenbar ja. Obwohl genau dieselbe Einsicht derjenige längst hat, der die Umwelt mit offenen Augen und nicht durch idealistisch gefärbte Gläser sieht.

Diesem offenkundigen Zwang, alt bekannten Einsichten dennoch eine naturwissenschaftliche Begründung nachschieben zu müssen, wurde vor nicht allzu langer Zeit auch entsprochen in der Frage nach der Freiheit des menschlichen Willens. Das Thema hatte nun wirklich eine langen grauen Bart, spätestens seit Schopenhauer alle bis dato vorliegenden Erkenntnisse über die Unfreiheit des menschlichen Willens in seiner von der königlich-schwedischen Akademie preisgekrönten Schrift zu diesem Thema dargelegt hat.

Der Anlaß zu diesem kleinen Exkurs? Ein Beitrag des amerikanischen Publizisten Craig Unger über die Anfänge der neokonservativen Brut in den USA, die in der Spätphase der Clinton-Jahre anfing ihre Messer zu wetzen.

Die Clique um PodhoretzWolfowitzPerleKaganCheneyKristolKrauthammerRosenthal - um nur ein paar zu nennen – erkannte die momentane Schwäche der Republikaner, erkannte aber auch das brach liegende Potenzial, wie man zu ungeahnter neuer Stärke gelangen könnte: Mit Hilfe der fundamentalistischen Christen.

Ab 1996 legte dieses neu geschmiedete Bündnis “Republikaner plus konservative Christen” die Grundlage dafür, was durch den wiedergeborenen Christen George W. Bush ab 2001 zu fürchterlicher Realität wurde:

Ein Weltanschauungskrieg. Im Innern gegen die Amoralischen und Libertinären, im Äußeren gegen die Ungläubigen oder wenigstens gegen die Feinde der von Gott gewollten Demokratie amerikanischer Prägung.

Man kann sagen, dass sich beinahe alle einschlägigen Äußerungen dieser NeoCons in einem ähneln: Einer unglaublichen Härte und Mitleidlosigkeit.

http://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/thumb/e/e7/Jonah_Goldberg.jpg/300px-Jonah_Goldberg.jpgSie erinnern sich vielleicht, als Dick Cheney in einem Fernsehinterview gefragt wurde, ob Amerika im Angesicht des Terrors gezwungen werde von den eigenen Werten Abstand zu nehmen und zu gröberen Methoden zu greifen? Cheney setze ein genüsslich-maliziöses Grinsen auf und bestätigte die Frage mit einem “Ja, es wird höchste Zeit die Samthandschuhe abzulegen”.

Donald Rumsfeld witzelte in einer Pressekonferenz höchst amüsiert zur Frage nach den von ihm genehmigten “verschärften Verhörmethoden” – und dabei insbesondere dem erzwungenen vielstündigem Stehen - er selber stehe jeden Tag viele Stunden an seinem Pult im Büro, das könne also nicht so schlimm sein.

1996, als sich diese Kreaturen aus ihren Deckungen wagten, schrieb Jonah Goldberg, Mitbegründer des erzkonservativen National Review:*

Alle zehn Jahre oder so sollten sich die Vereinigten Staaten ein kleines schäbiges Land vornehmen und es an die Wand knallen, nur um der Welt zu zeigen, dass wir es ernst meinen.

Man dürfte nicht weit daneben liegen in der Annahme, Goldbergs genetische Ausprägung für Empathie liegt ebenso bei Null wie die von Cheney oder Rumsfeld.

Diese Goldberg-Null-Empathie-Liste hat unübersehbar unendlich viele Einträge.

Der ungezähmte Furor, der von den Konservativen, den fundamentalen Christen und Tea-Party-Anhängern Präsident Obama entgegen gebracht wird, ist die Frucht, die aus der Hass-Saat der Bush-Jahre aufgegangen ist.

Da die fehlende Empathie nicht “geheilt” werden kann, wird sich dieses Menschheitsspiel ewig fortsetzen. Die Zeitläufte spielen mal diese, mal jene Charaktere nach oben. Unnötig zu sagen, dass das mit den USA nichts zu tun hat. Man erinnere sich an die braune Zeit in Deutschland. Eine der Lieblingsvokabeln Hitlers war "eiskalt". Das war kein Zufall.

Bedauerlicherweise tröstet auch nicht die Hoffnung, man habe stets dann bessere Zeiten, wenn die “Guten” (hier: die Empathischen) das Sagen haben. Den Faust von Goethe schon vergessen? Ich bin ein Theil von jener Krafft die stets das Böse will und doch das Gute schafft! Gilt umgekehrt natürlich genau so: Ich bin ein Theil von jener Krafft die stets das Gute will und doch das Böse schafft!

Daher gibt es zum Thema “Der Mensch in der Geschichte” auf lange Sicht keine genauere Einsicht als die Nietzsches, der das Weltgeschehen verglich mit einem spielenden Kind, das Welten aus Spaß aufbaut, um sie anschliessend mit gleicher Lust wieder zu zerstören.

– Schlesinger

* Übers. aus: Craig Unger, American Armageddon, How the delusions of the neoconservatives and the cristian right triggered the descent of America, S. 149

Photo: Jonah Goldberg – via Bloggingheads.tv (Wikimedia CC Lizenz)

Nachtrag: Der Hinweis eines Lesers, dass Donald Rumsfeld vielleicht vor Gericht kommt wegen seiner Billigung von Folter brachte mich zu folgendem Interview auf DemocracyNow!, wo die Kläger zu Wort kamen:

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Geschrieben von

schlesinger

"Das Paradies habe ich mir immer als eine Art Bibliothek vorgestellt" Jorge Louis Borges

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