UN-Schutztruppe nach Gaza

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Hoffentlich sind die zu Tode gekommenen Menschen der Gaza-Solidaritätsflotte nicht umsonst gestorben.

Israels Blockadepolitik gegenüber Gaza stand nicht einmal nach der fürchterlichen Operation "Gegossenes Blei" in der Jahreswende 2008/09 - trotz des Einsatzes von Phosphorbomben und des Besschusses ziviler und humanitärer Einrichtungen - so stark in der Kritik wie heute.

Im Moment schlägt sich sich die Empörung in drei Bereichen nieder.

Erstens in Form einer öffentlichen Empörung. Weltweit gehen die Menschen auf die Straße und protestieren gegen das Vorgehen des israelischen Militärs gegen Zivilisten.

Zweitens in Form eines ungeheueren medialen Sturms, der in Zeitungen, dem Fernsehen und mehr noch in Blogs und sozialen Foren wie Facebook & Co. tobt.

Drittens als deutlich erhöhte politisch-diplomatische Aktivität. Es kommt nicht oft vor, dass ein Ministerpräsident (Tayyip Erdogan) aufgrund eines internationalen Zwischenfalls vor sein Parlament tritt und eine lange, geharnischte Rede inklusive der Forderung nach Bestrafung des Schuldigen hält. Es kommt nicht oft vor, dass der UN Sicherheitsrat binnen 48 Stunden zusammentritt und zu einer verhältnismäßig hart formulierten gemeinsamen Stellungnahme gelangt. Es kommt nicht oft vor, dass sich Ministerpräsidenten und Präsidenten weltweit beinahe unisono vor die Kamera stellen und zu denselben Schlüssen gelangen (außer Amerika, das angesichts der neuen Qualität des Vorfalls fast vollkommen schweigt).

Orkan im Wasserglas?

Das alles ist bemerkenswert, aber besagt hinsichtlich einer Wirkung gar nichts.

Wenn Israels Premier Netanjahu im Verbund mit seinem Außenminister Lieberman und Verteidigungsminister Barak "Nein" zu einer Öffnung des Gazastreifens und "Nein" zu einer Aufhebung der Seeblockade sagt, wird er jenseits des Einsatzes kriegerischer Mittel von nichts und niemandem auf der Welt davon abzubringen sein.

Bleiben die Rahmenbedingungen wie bisher bestehen, wird man auf israelischer Seite weiter auf Sicherheit pochen. Netanjahu sprach davon, dass eine Aufhebung der Seeblockade den Hafen von Gaza zu einem iranischen Hafen machen würde. Während Ahmadinejads Reden über die "Beseitigigung des zionistischen Regimes" bei uns bisweilen sehr entspannt aufgenommen werden, nimmt sie Israels Bevölkerung für bare Münze.

Netanjahu steht nicht allein

In diesem Punkt weiß Netanjahu die Bevölkerung vollkommen hinter sich, wie eine aktuelle Umfrage der Jerusalem Post eindrücklich zeigt:

http://www.transatlantikblog.de/wp-content/uploads/2010/06/jpost_umfrage_gaza_solidaritaetsflotte.png

Mit diesem Pfund kann und wird er wuchern. Zurecht. Denn Netanjahu, so viel muss objektiv festgestellt werden, ist zuallererst für die Belange seiner Landsleute zuständig. Dann kommt lange nichts. Nicht nur die von Kassam-Raketen geplagten Bewohner von Sderot nahe des Gazastreifens würden seinen Amtssitz stürmen, würde er Gaza einfach öffnen, ohne im Gegenzug stabile Garantien zu bekommen.

Hamas wird diese Garantien nicht geben. Falls sie sie doch gäbe, würde man ihnen nicht trauen, weder seitens der Regierung, noch seitens der Bevölkerung. Das also ist eine Sackgasse.

Die sogenannte Weltgemeinschaft muss ihren starken Worten Taten folgen lassen.

Aufforderungen von Ban Ki Moon und anderer nach Öffnung des Gazastreifens sind gut gemeint,aber blauäugig. Hier muss praktisches Engagement angeboten und eingefordert werden: eine Schutztruppe unter UN-Mandat gewährleistet gegenüber Israel die Sicherheit, während im Gegenzug Israel die Blockade aufhebt. Die Schutztruppe dient zum einen als militärische Grenztruppe, zum anderen als polizeiliche Zolltruppe, um illegale Güter nicht ins Land zu lassen. Israel stellt Beobachter.

Die Hamas, die sich verständlicherweise um kein Jota in ihrer Souveränitität beschneiden lassen wird, würde durch diese Vorgehensweise nicht besser und nicht schlechter gestellt als bisher. Sie hat auch bisher keine Hoheit über ihre Grenze, da sie schlicht hermetisch abgeriegelt ist. Gaza selbst würde massiv besser gestellt, weil endlich wieder Güter ins Gebiet kämen. Israel würde besser gestellt, weil die Verantwortung für die Sicherheit nicht abgegeben, aber immerhin auf zwei Schultern verteilt würde. Die Gefahr einer diplomatischen Isolierung würde abgewendet.

Es wäre zwar eine Insellösung, weil es nur um Gaza und nicht um die Westbank und nicht um Ostjerusalem ginge. Sie würde aber mit Gaza die humanitär dringlichste und politisch am meisten brisante Misere deutlich entschärfen.

Dieses Vorgehen würde nichts vollkommen Neues darstellen.

Die Implementierung einer Internationalen Schutztruppe ist grundsätzlich in der sog. "Genfer Vereinbarung" vom Dezember 2003 vorgesehen. Diese Vereinbarung wurde bilateral erarbeitet und galt als Blaupause für die Umsetzung der "Road Map" vom April 2003.

Aufgrund des enormen Drucks, der auf allen Seiten lastet, wäre jetzt eine gute Gelegenheit, beiden Konfliktparteien mit praktischer Unterstützung zur Seite zu stehen.

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Grafik: JPost

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Geschrieben von

schlesinger

"Das Paradies habe ich mir immer als eine Art Bibliothek vorgestellt" Jorge Louis Borges

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