S21: Kretschmann. Ein Wintermärchen

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In der guten alten Zeit, als die Grünen schwarz und die Roten braun geworden waren. Als die 68er ihre Nazi-Eltern beerbt hatten. Als Polizei und Verfassungsschutz schmunzelnd die ersten Ausländer-Schießübungen des braunen Nachwuchses beobachteten und die Linken den Häußlers zuführten. Als also jeder nach seiner Art vor der Verfassung geschützt wurde. In jener guten alten Zeit also saßen an einem trüben Winterabend Opa Kretschmann und Oma Erler wieder einmal in der Seniorenresidenz Reitzenstein beisammen.

Im Kamin loderte ein gemütliches Feuerchen. Reines Bioholz aus dem Schlossgarten, jahrhundertelang durchgereift und von allerbester Heizqualität, knisterte leise vor sich hin. Ab und zu war ein lustiges Zischen und Knallen zu hören, wenn wieder mal ein Juchtenkäfer in der Hitze explodierte. Schon Mörike war unter den Bäumen spazieren gegangen. Und manchmal meinte man eines seiner Gedichte in den Flammen auflodern zu sehen. Kultur und Natur. Barbarei und Romantik. Das war die Atmosphäre, die der Ministerpräsident liebte. „Das isch Dialektik. Das isch doch klar“, pflegte er zu dann sagen.

Jetzt hatte er sich – wie so oft – gemütlich in seinen Ganzkörperfilzpantoffel gehüllt und memorierte seine 6 Hannah-Arendt-Zitate aus dem „Schatzkästlein für den Ethikunterricht für das schwäbische Landvolk“, das Pfarrer Bräuchle und der Gesegnete Claus Schmiedel zusammengestellt hatten. Gisela Erler saß ihm gegenüber in einem Schaukelstuhl aus alter Neckarplatane und häkelte an einem neuen Bürgerbeteiligungsgesetz.

Im SWR-Fernsehen lief ihre neue Lieblingsshow: „Die Abholzgala der Volksmusik“, die Christine Strobl zusammen mit dem künftigen Kommunikations-Oberbürgermeister von Stuttgart, Sebastian Turner, entworfen hatte. Heute sollte Ivo Gönner den „Mappus-Preis für Schlagende Argumente“ (MPSA) an Achim Wörner von der Stuttgarter Wahrheitszeitung verleihen. Der Trampel-Humor von Ivo Gönner versprach der Höhepunkt des besoffenen Schunkel-Abends zu werden.

Die Abholz-Show war nicht ohne Hintersinn entworfen worden: Baden-Württemberg sollte nämlich vollständig platt gemacht werden, und es galt nun, die Bevölkerung behutsam an das Projekt
„BW 20 000“ heranzuführen und gegen das Tunnelleben zu desensibilisieren. „Das isch die neue Politik des Gehörtwerdens, das isch doch klar“.

„BW 20 000“ war das Leuchtturmprojekt des neuen Bundespräsidenten, des Baron von und zu Guttenberg, der inzwischen in einer eingetragenen Partnerschaft mit Peter Ramsauer lebte. Und die neue First Lady hatte das Projekt von der „Herrenknecht-Kommission für Infrastruktur-Proktologie“ (HKIP) als Anschlussprojekt an S21 entwickeln lassen. Demnächst sollte es unter dem Titel „Baden-Württembergs Zukunft ist im Arsch“ der Öffentlichkeit vorgestellt werden.

Die Pläne sahen vor, sämtliche Wohngebiete unter die Erde zu verlegen, damit der Verkehr nicht mehr durch irgendwelche Bevölkerung gestört werden würde. Dann sollte oberirdisch eine 100spurige Europa-Magistral-Giga-Autobahn (EMGA 20 000) für den europäischen Durchgangsverkehr gebaut werden - mit eigenen Spezialspuren für Gigaliner. Zu beiden Seiten sollte dann in Produktionsreservaten Industrie angesiedelt werden. Für die Gebiete außerhalb dieser Reservate hatte der Bürgerbeauftragte der Bundesregierung, Wolfgang Schuster, ein Betretungsverbot und einen Todesstreifen mit Schießbefehl vorgesehen. Das nicht zuständige Bundes-Kriminal-Eisenbahnamt (BKE) hatte bereits die vollautomatische Genehmigung mit eingebauter psychologischer Vorfeld-Verzögerung erteilt. „Das isch die Dialektik des Rechtsstaats. Das isch doch klar.“

„Hasch du denn heut wieder Zeug von der SPD abnicken müssen, Kretsch?“, fragte Erler.

„Frag bloß net, Giesi. Die ham scho wieder was hintarum gmacht. Das isch keine Politik des Gehörtwerdens. Höchschtens grünrote Dialektik.“

„Pass fei auf bei dem Schmid. Der isch ganz hintarum Der tut dir no amol Zyankali ins Apfelschorle!“

„Was, dem Schmiedel ham se Zyankali gäba? Das nenn ich umweltgerechte Entsorgung! Das isch doch klar.“

„Vom Schmid han i gredetet. Net vom Schmiedel. Hasch wieder dei Hörgerät abgschaltet?“

„Ha ja. Weisch, der Winne Hermann hat heut wieder gredet. Des helsch net aus! Des war unser gröschter Fehler, dass mr den net für S21 hen reda lassa. Wenn der von was begeischtert isch und drüber redet, des helt koi normaler Mensch aus. Eine Winne-Rede in dr Woch pro S21 und nach ma halba Johr wär des Projekt vom Tisch gwesa. Des hett koi Mensch me ausghalta! Bei dem isch die Politik des Gehörtwerdens am Ende. Do merksch erscht, was für ein Segen ein Hörgerät sei kann.“

„Ha der will doch jetzt noch a zweite Legislaturperiode han. Helsch du des denn no aus so lang?“

„Ha des geht natürlich gar nicht. Nach dem Minischterpräsidenten werd ich nemlich Papscht. Des hab ich mit dem Ratzinger schon beschprochen. Nach dem Bayern muss jetzt auch ein Schwabe ran. Und dann wird im Vatikan eine Politik des Gehörtwerdens eingeführt und die Pfarrer dürfen über Missbrauch abstimmen. Und wenn die für die Fortsetzung des Missbrauchs stimmen, dann wird das gemacht. Das isch Demokratie und das muss man akzeptieren.“

„Und was isch dann mit de Minischtranta?“

„Ha, da ernenn ich den Häußler zum Missbrauchsbeauftragten. Und der hört dene dann vorher und nachher zu. Das isch Dialektik.“

Ja, so war das mit der grünen Demokratie und Dialektik in den guten, alten Zeiten. Als es noch Bäume gab. Und Wolken. Und Gras. Und Demokratie. Fast jedenfalls.....

...Und Humor, bis das Rechtsstaat-resistente Eisenbahnbundesamt auch den heute final erschoss.....Und Kretsch- und Hermann blicken stumm auf dem Rechtsskandal herum ….

www.swr.de/nachrichten/bw/-/id=1622/nid=1622/did=9190502/1an12ly/index.html

Ein anderer Zugang zum Thema findet sich bei mcmac:

www.freitag.de/community/blogs/mcmac/sie-werden-uns-nicht-los

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Geschrieben von

seriousguy47

Anglophiler Pensionär und Flüchtlingsbetreuer aus Stuttgart.

Wehrdienst, Studium ( Anglistik, Amerikanistik, Empirische Kulturwissenschaft, Sozialpädagogik) , Praktikum ( Primärtherapie), Lehramt, Flüchtlingsbetreuung

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