Kommunizierende Röhren: Die Linke, Erfurt und die doppelte SPD

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Linkspartei und SPD verhalten sich wie kommunizierende Röhren, was kein Wunder ist, wenn man der These folgt, dass die eine Partei (zu großen Teilen) Fleisch vom Fleische der anderen ist und einer ihrer Gründungsimpulse war, jene Lücke in der Repräsentation zu füllen, die zuvor von der sich ändernden Sozialdemokratie frei gemacht worden ist. Bisweilen wird das Verhältnis als Wettstreit um Traditionswimpel und Namen gepflegt: SPD-Chef Sigmar Gabriel hat es als „Geschichtsfälschung“ bezeichnet, dass sich die Linke auf die Tradition des Erfurter Programms von 1891 beruft. Und Gregor Gysi nimmt den Sozialdemokraten dann auch noch einen der ihren weg: Willy Brandt gehöre nicht mehr der SPD, „ab heute gehört er uns“.

Das könnte eigentlich sogar eine spannende Debatte sein, ist es aber nicht. Wenn sich SPD und Linke gegenseitig vorwerfen, irgendwelche Traditionen zu Unrecht zu beanspruchen oder die jeweilige Politik nicht mehr nach ihnen auszurichten, dann hat niemand die Frage im Sinne, was vom Erbe der Arbeiterbewegung heute noch ein Bezugspunkt sein kann, wo das Gemeinsame und wo das Trennende ist, was in die Vitrine gehört und was sich lohnen könnte, von zwei Seiten politisch zu bearbeiten. Bei gegenseitigen Vorhalten der guten, abgelegten oder der schlechten, anklebenden Vergangenheit geht es lediglich darum, die Konkurrenz in die Schranken zu weisen.

„Die Linke will sich jetzt einer sozialdemokratischen Tradition bemächtigen“, sagt Gabriel, „weil sie sich ihrer eigenen Tradition schämen muss.“ Oskar Lafontaine stehe für die „sektiererische Westlinke“, die sich nur an der SPD abarbeite und so die Gesamtpartei im Bund koalitionsuntauglich mache. „Tiefe Orientierungslosigkeit“ sehe man bei der Linken. Die ist nach Ansicht von Thomas Oppermann immer noch auf dem Weg in die Bedeutungslosigkeit. „Nichts ist so schwach, wie eine Idee, deren Zeit abgelaufen ist“, hat der Fraktionsgeschäftsführer jetzt noch einmal erklärt. Die Partei beschließe „unverantwortlichen Unsinn“ in allen Bereichen und könne nicht mehr ernst genommen werden, da ihre Forderungen „immer absurdere Züge“ trügen.

Es gibt noch eine zweite Wechselwirkung. Die Linke zum Beispiel erklärt oft, mit der SPD nur kooperieren zu wollen, wenn diese bestimmte Entscheidungen revidiert. Umgekehrt reagieren nun auch Sozialdemokraten auf den Erfurter Programmparteitag der Linken: Joachim Gauck, der zumindest Präsidentschaftskandidat der SPD war, sieht die Zukunft der Partei in der Mitte, keineswegs aber als linkes Projekt. „Die SPD hat sich in den vergangenen Jahren aus Angst vor der Linkspartei eher nach links orientiert – diese Gefahr sehe ich heute nicht mehr“, sagt er der Welt am Sonntag. Gauck rechnet nun eher mit einer „Rückkehr der Schröderianer“, die in Wahrheit ja gar nicht weg waren.

Was man im Übrigen daran sieht, dass der linke Parteiflügel immer wieder fordert, die SPD müsse sich stärker als linke Volkspartei profilieren. So wie an diesem Wochenende: Das Forum DL 21 tagte in Dortmund zur Frage „Eine neue SPD?“ und sah die Antwort unter anderem in der stärkeren Bereitschaft zu einer „modernen, nicht rückwärtsgewandten Ideologie- und Kapitalismuskritik“, in der Überwindung der in die SPD „eingesickerten marktliberalen Mythen“ und einer kritischen Analyse von „Fehlentscheidungen und Irrglauben“ aus der rot-grünen Regierungszeit. Die Lücke, siehe oben, will man hier also lieber selbst wieder schließen, als es von anderen tun zu lassen.

Keine Ahnung, ob der Termin der DL-21-Tagung absichtlich auf das Erfurter Parteitagswochenende gelegt wurde – man wird die Forderung der SPD-Linken aber sicher auch als Reaktion auf die Beschlüsse der Linken lesen, wenn die Zeitungen am Montag über den neuen Programmstand in der einen Röhre und den davon beeinflussten Pegelstand in der anderen berichten.

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Geschrieben von

Tom Strohschneider

vom "Blauen" zum "Roten" geworden

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