Kurz, Busch, Widerspruch: 3 Mal zu Begriff und Theorie der Krise

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Die Linke, darauf besteht laut einer Vorabmeldung der Zeit ihr saarländischer Fraktionsvorsitzender Oskar Lafontaine, sei die einzige Partei, die den Ausweg aus der Krise kenne. Dazu zählte Vorschläge zur Regulierung der Finanzmärkte, mit denen er als SPD-Minister „damals keine Chance“ gehabt hatte. Heute indes seien „alle dafür“, so Lafontaine – nur könne weder die Union behaupten, bereits „wirklich etwas Ernsthaftes, Einschneidendes gegen die Diktatur der Finanzmärkte getan zu haben“, noch seien die Forderungen von SPD und Grünen mehr als „Lippenbekenntnisse in der Opposition“. Dafür, dass nur die Linke „wirklich regulieren“ wolle, spreche auch, dass sie im Unterschied zu den anderen Parteien, „nicht durch Spenden von der Allianz oder der Deutschen Bank korrumpiert ist“. Ob man den Ausweg aus einer Krise kennt, hängt wesentlich davon ab, wie man diese verstanden hat. „Strenge Finanzmarktregulierung, direkte Kreditvergabe durch die Zentralbank an die europäischen Staaten und Millionärssteuer“, so hat Lafontaine die drei Punkte der Linken umrissen. Dagegen spricht zunächst einmal nichts, ob damit die Krise zu bewältigen wäre, ist aber eine ganz andere Frage. Über das Wesen der Krise, ihre theoretische Aneignung durch die Linke, das in Stellung gebrachte Begriffsinstrumentarium und die möglichen Kurzschlüsse ist hier bereits viel diskutiert worden (zuletzt entsponn sich hier eine längere Debatte über das analytische Modell der Krise, auf das die Linke vertraue). Drei aktuelle Publikationen spinnen den Faden der Debatte weiter.

Robert Kurz regt sich in der neuen konkret heftig über das seiner Meinung nach hegemoniale Krisendenken einer postmodern gewordenen Linken auf, die sich keinen Begriff mehr von den Zuständen machen könne, weil ihr „der innere historische Zusammenhang der kapitalistischen Entwicklung“ egal geworden sei. Kurz geht aber noch einen Schritt weiter und weist die zurzeit prominenteste Erklärung für die Krise zurück, derzufolge wir es mit einem Problem der Überakkumulation zu tun haben, das irgendwann krisenhaft entwertet wird. Auf diese Weise werde die Krise zu einem „ahistorischen Event“ gemacht, nach dem dann alles wieder von vorne losgeht. Kurz verwiest jedoch auf Marx‘ Überlegungen, wonach „langfristig nicht die periodisch mangelnde Realisierung des Mehrwerts auf dem Markt das Problem“ sei, „sondern viel grundsätzlicher seine mangelnde Produktion selbst“. Man könne die Theorie vom tendenziellen Fall der Profitrate nicht zum „bloßen Hirngespinst“ erklären, wie es die neuere Marx-Lektüre gern tut. Kurz geht davon aus, dass der Kapitalismus im Begriff ist, „seine Klimax“ zu erreichen, weil die „innere Expansion von der Produktivkraftentwicklung eingeholt wird“ und dann der „relative Fall der Profitrate in einen absoluten Fall der gesellschaftlichen Mehrwert- und damit Profitmasse“ umschlägt. Es gebe „einige Indizien“, so Kurz, „dass die kapitalistische Entwicklung mit der dritten industriellen Revolution in diesen zustand eingetreten ist“.

Der „Diktatur des Finanzmärkte“ widmet sich auch der Schwerpunkt der Schweizer Zeitschrift Widerspruch. Wobei es hier weniger um begriffliche oder theoretische Analyse geht, sondern um politische Debatte der verschiedenen Bearbeitungsstrategien. Wie sich diese in Griechenland auswirken, beschreiben Gregor Kritidis und Giorgos Kassimatis. Mehrere Beiträge nehmen sich die Widersprüche zwischen europäischer Integration, Verfassungsdebatte, Wachstumshoffnung und Austeritätsregime an. In einem weiteren Beitrag von Vasco Pedrina geht es um die Gewerkschaften „zwischen nationalem Rückzug und europäischer Gegenoffensive“. Das gesamte Inhaltsverzeichnis findet sich hier. Eingangs des Heftes skizziert Joachim Bischoff in einer Art Leitartikel zunächst jedoch einen Grundriss der Krise: „Seit Jahrzehnten sehen wir eine massive Expansion von Vermögensansprüchen, von privaten wie öffentlichen Schulden im Verhältnis zur Realökonomie. Die massive Expansion der Vermögenstitel trifft auf ein dereguliertes Finanzsystem. Zugleich hat sich in der historischen Entwicklung des Kapitalismus die Herrschaftsstruktur von Finanzkapital und gesellschaftlicher Akkumulation verschoben.“ Seit „gut zwei Jahrzehnten“ stehe die „industrielle Akkumulation“ unter die „Herrschaft der Finanzmärkte“.

Hierzu passt ein Standpunkte-Papier der Rosa-Luxemburg-Stiftung, dass sich dem Begriff „Finanzindustrie“ widmet, der einerseits „ein neuartiges Phänomen der Ökonomie pointiert beschreibt und besser als jede andere Kategorie ,auf den Begriff‘ bringt. Vor allem wegen seiner kategorialen ,Breite‘ und relativen Unbestimmtheit, aber auch wegen der Kombination zweier vermeintlich gegensätzlicher Inhalte unter dem Dach eines Begriffs“, wie es Ulrich Busch formuliert. In „offiziellen Verlautbarungen oder wissenschaftlichen Publikationen“ findet sich „Finanzindustrie“ aber kaum, sieht man einmal von wenigen Ausnahmen ab, zu denen auch Freiheit statt Kapitalismus von Sahra Wagenknecht gehört, dies diesen Begriff „als Synonym für monetäre Finanzinstitute verwendet“. Busch sieht es einerseits skeptisch, dass hier ein „übergreifendes Synonym für die Geld- und Finanzbranche“ alle Bereiche derselben in den Raum gestellt wird und damit „die ganze Vielfalt monetärer und finanzieller Institutionen und Prozesse (…) gänzlich undifferenziert und unterschiedslos unter einen Begriff subsumiert“ wird. Dadurch erhielten „Geld und Finanzen, welche in der traditionellen Ökonomie unterschiedlichen Bestimmungen unterliegen, per se eine allgemeinere Bedeutung und ein größeres Gewicht“. Andererseits, so Busch, stelle die Kombination der Begriffe Finanzen und Industrie „eine ungewöhnliche und auf den ersten Blick irritierende Wortverbindung dar“, hat man beide doch bisher als Termini für zwei „sich einander ausschließender Bereiche“, also die Geld- beziehungsweise die Realsphäre genommen. „Hier aber, im Begriff ,Finanzindustrie‘, fällt beides zusammen. Dadurch erlangt der Finanzbegriff eine völlig neue Relevanz. In gewissem Sinne legt diese Wortwahl nahe, dass an die Stelle der ,alten‘ Industrie jetzt eine ,neue‘ Industrie getreten ist, dass sich eine ökonomische Transformation vollzogen hat, eine Transformation vom Industriekapitalismus zum Finanzkapitalismus. Die Wortverbindung ,Finanzindustrie‘ erweist sich daher auf den zweiten Blick als durchaus sinnvoll und den veränderten Gegebenheiten adäquat.“

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Geschrieben von

Tom Strohschneider

vom "Blauen" zum "Roten" geworden

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