Auf dem Weg zur Liberalen Einheitspartei Deutschlands

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Klaus Lederer ist mir als Provinzler keine Marke. Ich kann mit ihm partout nichts anfangen, obwohl er immerhin Vorsitzender der Berliner Linken ist. Was nicht schlimm ist, denn ich weiß auch nicht, wie der CDU-Vorsitzende Berlins heißt. Oder ist es eine Frau? Nein? Schade, denn dann wären wir schon mitten im Thema.

Klaus Lederer hat nämnlich einen Grundaufsatz geschrieben, der in der Juliausgabe der "Blätter für deutsche und internationale Politik" veröffentlicht wurde. Der Text trägt den interessanten Titel: "Links und libertär? Warum die Linke mit individueller Freiheit hadert". Wenn ein parteilicher Regionalchef sich im Kontext bescheidener Akzeptanz in der Bevölkerung quasi ex cathedra äußert, sollte man schon genau hinlesen. Ich tat mir also den Aufsatz an - mit zunehmender Konsternation. Ist das ernst gemeint, fragte ich mich? Ein Seminaraufsatz? Aber doch nicht in Bachelor-Zeiten! Ist Lederer vielleicht ein Meister der Satire, die so subtil daherkommt, dass man es fast nicht bemerkt? Oder parodiert er gekonnt den soziologischen Mainstream-Diskurs der neunziger Jahre ?

Lederer schreibt im Gestus eines Markanalysten. Er untersucht die Chancen der Linken im politischen Segment. Seine Diagnose ist erschütternd: Die Linke ist in keiner guten Verfassung. Das liegt daran, dass das Angebot der Linken nicht genügend nachgefragt wird. Warum, Dr. Lederer? Schmerzgrenzen werden überschritten. Die Schmerzen der Anpassung an das je Gegebene? Nein, Lederer hört, was ich in dieser Vollständigkeit noch nie gehört habe, nämlich rhetorische Fragen wie: "Was nützen einem Aidskranken Schwarzen im Süden das allgemeine Walrecht und die Meinungsfreiheit?" Die so ähnlich Argumentierenden meinen allerdings eher mit Brecht, dass erst das Fressen, dann die Moral kommt. Verursacht also Brecht Herrn Lederer "Schmerzen"? Das wäre übertrieben.

Die Schmerzgrenzen indizieren für Lederer die Herablassung gegenüber Individualismus und individuellen Freiheitsrechten, eine unschöne linke Tradition. Und da hat er sicher Recht, wobei die historische Herleitung sehr zu wünschen übrig lässt. Statt auf den "europäischen Bürgerkrieg" (Traverso) und dessen für die Linken insgesamt fatalen Folgen einzugehen, gibt er eine eiertänzerische Studie der Psyche des Karl Marx, der einerseits kauzig und verschratet, andererseits ein autoritärer, aber brillanter Denker gewesen sei. So war es und ist es - in der Tat.

Lederer bemerkt die Schwäche des personalisierenden Verfahrens und verweist im Folgenden auf die "andere" Seite der Linken, jene, die mit Individualismus und Eigensinn hadert. Schon der Marxlektüre sei die Auffassung vom nachrevolutionären"Ende der Geschichte" geschuldet. Hmm. Ich dachte bisher, nach der Revolution finge Marx zufolge die Geschichte erst an, aber streiten wir uns nicht um Marxens Bart, solndern um Dr. Lederers Diagnose. Er konstatiert in der marxistischen Tradition die Sehnsucht nach einem grundlegenden Bruch mit den vorgefundenen Verhältnissen - was ja auch rein menschlich und mit Bloch verständlich ist, oder? Jein, antwortet Lederer, denn diese Sehnsucht mündet in die fundamentale Verneinung der vorgefundenen Verhältnisse. Es gibt nichts Gutes, solange nicht ... der Kapitalismus beseitigt ist, denken diese (n)ostalgischen Linken (mit keinem Geringeren als Adorno, by the way). Aber zu den Achtundsechzigern kommt Lederer später.

Zunächst setzt er sich noch weiter mit der "Depressionslinken" auseinander, die deprimiert sei, weil 1989 der linken Gesellschaftsperspektive jegliche Überzeugungskraft abhanden gekommen ist. Das schreibt er so locker, der Vorsitzende der Linken Berlins: jegliche Überzeugungskraft abhanden! Denn die Verhältnisse, die sind nicht so. Wie sind sie denn, Bertolt Lederer?

Nichts leichter als das. Sehen Sie: das linke Traditionsprojekt, es passt nicht mehr. Lederer geht sogar noch weiter und wendet sich in einem Abwasch den Achtundsechzigern zu: auch die "undogmatische", die "hedonistische Linke" hat ein Problem. Ein Problem? Heute ist die ungehemmte Befriedigung der eigenen Bedürfnisse allgemeines Lebensgefühl und verallgemeinerter Lebensstil... Die undogmatische Linke hat sich quasi zu Tode gesiegt. Aber das ist doch mit Marcuse "repressive" Toleranz! Damit hat Lederer kein Problem: heute muss man "sein Ding" machen, den eigenen Weg finden. Genau. Jedem sein "unternehmerisches Selbst" (Bröckling), jedem nach dem erfolgreichen Verkauf seiner Arbeitskraft! Oder habe ich da etwas falsch verstanden?

Für Lederer leben wir halt im "postmodernen Kapitalismus", und die Linke will bei ihrer Marktpositionierung einfach nicht die Hegemonie des Individualismus wahrnehmen! Die Ideolgie war schon immer die Wirklichkeit, wie jener verschratete Autor einst schrieb - oder so ähnlich. Wie auch immer, beim politischen Marketing sind die sozialen Klassengegensätze kein Thema mehr. Basta!

Was folgt daraus? Welche Marktingstrategie schlagen Sie vor, Dr. Lederer?

Nun, liebe Linke aller Schattierungen, entzweit euch! Weg mit den "großen Erzählungen" - ist zwar auch schon ein alter Hut, aber man grüßt ihn gern immer wieder, her mit dem Plural der Sprachspiele, Diskurse, Interpretationen und Lebensformen, weg mit manchem ideologischen Kompass der Vergangenheit. Und welche Produktlinie schlagen Sie vor, Dr. Lederer?

Tja, dass da eine Marktnische für die Linke besteht, ist evident. Die begehrten Individualgüter der Postmoderne sind ja noch nicht für jedermann und jedefrau zu haben. Es besteht ein gewisser Bedarf bei den Ausgeschlossenen (das war früher die Arbeiterklasse), darum schlägt unser Marktexperte folgende Marktoffensive vor:

Die realen Emanzipationsfortschritte des postfordistischen Kapitalismus, die in der tendenziellen Abschaffung von Sexismus, Rassismus und Xenophobie bestehen, sollen für alle (!) gelten. Das sei die marktliche Botschaft der Linken. Da ist noch mehr drin! Voilà! Genial! Also: Postmoderne Werte für alle! Und nicht mehr Freibier! Dafür macht sich die Linke in der gesellschaftlichen Arena stark. Echte Marke, auch wenn das noch zu sozialdemokratisch klingt. Der "großen Erzählung" Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit setzt Lederers Linie, pardon: Linke den Werbeslogan: menschliche Selbstverwirklichung in Freiheit, Gleichheit und Gemeinschaft entgegen. Damit wird der Kapitalismus nicht abgeschafft, aber anders. Und Gemeinschaft macht sich in Deutschland immer gut. Von der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft lernen, heißt ... (würg!)

Da kann sich die bisher ausgeschlossene Klientel aber freuen: endlich ein attraktives Parteienangebot in diesem Segment. Eine Linke, die dafür kämpft, dass man sich in einem Betrieb mit dem Gütesiegel "Wir sind nicht sexistisch" ... ausbeuten lassen muss. Das hat doch was!

Vorwärts, Genossen! Ihr habt eine goldene Nase, pardon: Zukunft vor euch! Ihr seid die linke FDP. Und nicht die Grünen, wie bisher behauptet wurde! Vielleicht werden einmal die Lehren aus der Geschichte gezogen. Vielleicht gibt es schon bald den Vereinigungsparteitag zur LED, der Liberalen Einheitspartei Deutschlands, mit den beiden Vorsitzenden Lederer und Westerwelle.

NACHTRAG, 31.7.2009

You never walk allone, vor allem, wenn der Weg das Ziel ist. Der Lieblingslinke der Medien in Frankreich bereitet momentan seinen Sprung an die Spitze des Parti socialiste vor. Manuel Valls heißt er, Mitte vierzig und immerhin schon Bürgermeiter von Evry. Er vermarktet sich erfolgreich - und mit konniventer Unterstützung des Starphilosophen Bernard Henri-Lévy - , indem er fordert, auf den Begriff Sozialismus zu verzichten. Wortfetischismus, urteilt er. Was hat es für einen Sinn, "eine Vokabel zu bewahren, wenn die Linke überall, wo sie den Sozialismus in die Praxis umsetzte, gescheitert ist?" fragt er in der Libération vom 9.7. oder: "Die Sozialisierung der Produktionsmittel ist heute unmöglich" (ebd.). Unter Berufung auf Anthony Giddens sieht er angesichts der Alternativlosigkeit des Kapitalismus die Aufgabe der "Linken" in einer "besseren Chancenverteilung" (La Voix du Nord, 28.7.) That's all? That's all!

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