Das Böse der Banalisierung - das neue Buch Moshe Zuckermanns

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"Zionist!" - "Antisemit!" Diskussionen über Israel und Palästina enden bekanntlich oft mit einer zerebralen Verstimmung, die langfristig auf den Magen schlagen kann. Ich selber, mit meiner Allergie gegen überlaute Parteinahmen, finde mich dann regelmäßig in der unbequemen Situation des "Zwischen den Stühlen" wieder, auf den dann die Verbalprügel von rechts und links (oder links und rechts?) einprasseln. Was gilt denn nun?

Der Historiker und Philosoph Moshe Zuckermann, als alerter Kritiker der israelischen Politik eine der "bêtes noires" der "Antideutschen", hat zu diesem Komplex ein Buch veröffentlicht, das für mehr Klarheit sorgen könnte (1). Zuckermann, der 2003 in einem langen Interview mit einer "Konkret"-Crew mit langen und differenzierten Antworten die präfabriziert wirkenden Fragen seiner Interviewer verblassen ließ (2), verbindet in seinem neuen Werk grundsätzliche Überlegungen zum Antisemitismus mit aktuellen Beispielen.

Es steht für ihn fest, dass eine wie immer ausgerichtete Instrumentalisierung der Vergangenheit letztlich unumgänglich (ist). Die "Brille" der Gegenwart ist nun einmal nicht abnehmbar. Auch die Erinnerung an die Shoah ist kontextgebunden. Dennoch gilt es für den Autor zu verhindern, dass diese notwendige Vereinnahmung in Heteronomie umschlägt, wie der kritische Theoretiker formuliert. Dies führe zu einer wesenhaften Entfremdung vom zu Erinnernden. Das Wesenhafte bestimmt er mit Adorno: dass Auschwitz sich nicht wiederhole, nichts Ähnliches geschehe.

Die fremd bestimmte Funktionalisierung des Holocaust durch die israelische Regierung ist für Zuckermann evident. Der Zweck des zu erinnernden Unsäglichen wird zum Mittel. Die Shoah, so Zuckermann, wird an den Zionismus und an Israel gebunden. Er analysiert dieses tausendfach wiederholte Narrativ und die Zionisierung der Shoah ausführlich an Beispielen. Reden von Netanjahu, Liebermann (dem Erfinder des zweiten Antisemitismus) und Peres. Er stellt die Funktion der Selbstviktimierung mittels dieser Diskurse dar, während die realen traumatisierten Opfer in Israel lange in den Hintergrund gedrängt waren, im Kontext vielleicht sogar folgerichtig, wie der Historiker beurteilt. Zuckermann konfrontiert die massenkulturell "inkorporierten" Ideologeme mit der außen- und innenpolitischen Realität - und endet diesbezüglich resigniert: Man kann sich kaum Hoffnung auf eine grundlegende Veränderung der Realität machen. Effizient seien die Diskurse der Instrumentalisierung, eine wirkmächtige Linke gebe es in Israel nicht (mehr).

Für den bundesrepublikanischen Leser besonders interessant ist der zweite Teil des Buches, der den (sehr) deutschen Auseinandersetzungen gewidmet ist, wobei diese in ihrer realpolitischen Relevanz natürlich eher nebengleisig sind. Typisch deutsche Debatten, konstatiert Zuckermann. Der Vorwurf des Antisemitismus sei zum Fetisch geworden. Ihre Sachverwalter führen sich wie scharfrichterliche Gesinnungspolizisten auf - in altbekannter deutscher Tradition: Wer Antisemit ist, bestimmen wir.

Die Verkünder des ubiquitären Antsemitismusvorwurfs sind für Zuckermann ehemalige Linke, die ihren Rechtsruck und ihre (neoliberale) Wende - auch vor sich selbst - als Kritik an angeblichen (und wirklichen) Israelfeinden rationalisieren. Sie bitten subtextuell um Exkulpation für ihre frühere Dritte-Welt-Liebe, ihren ehemaligen Antiimperialismus. Reduktionen finden statt: "Antifaschismus" wird "Kampf gegen den Antisemitismus", Kritik am deutschen Sonderweg mutiert zum "Antideutschtum", und das oben zitierte Diktum Adornos wird zur Shoah-Euphorie umgebogen. Es entsteht die Matrix einer geborgten Identität. Zuckermann formuliert schonungslos.

Scharf kritisiert er die mit derm Fetischisierung verbundene Verharmlosung des wirklichen Antisemitismus. Die "Antideutschen" spielen mit Auschwitz. Prägnant formuliert er: Es gab nicht nur die Banalität des Bösen, es gibt heute auch das Böse der Banalisierung. Wer überall Antisemitismus "wittert", schadet damit letzlich auch der israelischen Gesellschaft, für die Kritik lebenswichtig sei. Völlig abwegig ist für ihn die permanente Immunisierung bewirkende Gleichsetzung von Antisemitismus, Antizionismus und Israelkritik. Er begründet dies schlüssig.

Seiner Methode folgend, illustriert Zuckermann die Fetischisierung an den Hamburger Ereignissen vom 25. Oktober 2019. Dort verhinderte die "antiimperialistische Linke" durch den symbolischen gemeinten Aufbau eines "israelischen checkpoints" die Aufführung des Films "Warum Israel", den Claude Lanzmann 1972 gedreht hatte. Der Vorfall hatte eine gewisse mediale Resonanz auch im "Freitag", den Zuckermann übrigens als einst linke Zeitung bezeichnet (was natürlich nicht stimmt). Dort zeigte sich Lanzmann "schockiert" von dieser "Zensur'". Eine stark beachtete Petition im "antideutschen" Sinne wurde neben Lanzmann von zahlreichen deutschen und französischen Intellektuellen und Politikern (der Grünen und der Linken) unterschrieben.

Der Film - und noch stärker - der Militärfilm "Tsahal" (1994) - sind für Zuckermann ein reine Propagandafilme. Er stellt sich etwas ratlos die Frage, wie der Macher des Meisterwerks "Shoah" zu einem solch paranoiden Falken werden konnte. Ein etwas ungerechtes Urteil, wie ich finde. Lanzmann hat während seines ganzen Lebens einen Mut bewiesen, der uns angesichts unseres "bänglichen Schwankens" und "ängstlichen Fragens" die Schamesröte ins Gesicht treiben müsste. Er war kommunistischer Résistant, Antikolonialist im Algerienkrieg und verantwortlich für die große israelisch-arabische Ausgabe der Temps Modernes im Jahre 1967. In seiner kürzlich erschienenen Autobiographie deutet er allerdings einen Streit mit seinem Übervater Sartre an, dessen Aussage in der "Cause du peuple": In diesem Krieg ist die einzige Waffe der Palästinenser der Terrorismus, Lanzmann wohl traumatisiert haben muss. Er schreibt Israel eine existentielle "tragische Schwäche" zu und scheint - das geht aus der Autobiographie hervor - das Land quasi zu adoptieren. Ohne übrigens das Elend der Palästinenser ganz aus dem Blick zu verlieren.

Wie auch immer. Für Zuckermann lässt sich Lanzmann von den "Antideutschen" instrumentalisieren. Dabei geht es zuvörderst um deutsche Befindlichkeiten, im Grunde dieselben, die Jean Améry schon 1969 konstatierte: Jahrelang hat man den israelischen Wehrbauern gefeiert und das fesche Mädchen in Uniform. In schlechter Währung wurden gewisse Schuldgefühle abgetragen. Das musste langweilig werden. Der permanente Antisemitismusvorwurf hat Zuckermann zufolge die Funktion eines Gesinnungskapitals, das gesellschaftsfähig ist: Links wollten sie einst sein, deutscher denn je sind sie geworden. Erkenntnisse Adornos und Horkheimers aufnehmend, stellt er fest, dass verdrängte Regungen wiederkehren. Er spricht diesbezüglich sogar - sicher diskussionswürdig - von der eigenen (der Antideutschen) in die Latenz verwiesene antisemitische Regung, und provozierend: Was sie an den Juden nicht ausleben dürfen, sollen die Juden an den Palästinensern austoben können. Projektionen.

Insgesamt eine hoch interessante, manchmal leicht redundante und an einigen Stellen diskussionswürdige Streitschrift.

Also mehr Klarheit? Vielleicht. Wenn nur nicht der oft so triumphalistische Gestus der sich von Zuckermann sicher bestätigt fühlenden radikalen Israelkritiker wäre. Jedes israelische Kriegsverbrechen können sie en détail beschreiben. Wenn man nur nicht immer noch dieses "Gerade die Juden (respektive Israelis) müssten doch ...!" hören müsste. Und wenn man sich nicht Rezensionen wie die Werner Pirkers in der Jungen Welt antun müsste, der die zwar scharfe, aber reflektierte Streitschrift Zuckermanns flugs zu einer anti-israelischen Abrechnung verflacht.

Und schon sitzt man wieder zwischen den Stühlen.

(1) Moshe Zuckermann, "Antisemit!" Ein Vorwurf als Herrschaftsinstrument, Wien 2010 (Promedia-Verlag)

(2) Moshe Zuckermann, Zweierlei Israel, Hamburg 2003 (Konkret-Verlag)

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