Der Tod, der Held und wir

SPORTPLATZ Was waren das noch für Zeiten, als Rennfahrer starben und Mythen entstanden! Das war, als die Toten noch Wolfgang Graf Berghe von Trips hießen, ...

Was waren das noch für Zeiten, als Rennfahrer starben und Mythen entstanden! Das war, als die Toten noch Wolfgang Graf Berghe von Trips hießen, Jochen Rindt oder Ayrton Senna. Das waren Namen, das sind Mythen, da sind Athleten dem wirklichen Leben entrückt. Da haben sie im Tod ihre Bestimmung gefunden. Da sind sie so von uns gegangen, wie wir sie in Erinnerung behalten wollen: schnell und draufgängerisch, heldenhaft und sehr mutig, jungenhaft jugendlich und schön.

Ha, das waren Zeiten. Kurz vor dem Großen Preis von Melbourne in Australien am vergangenen Wochenende hatte Michael Schumacher, der amtierende Weltmeister aus Deutschland, beim Training in seinem Ferrari einen schweren Unfall, den er völlig unverletzt überstand. Die Fernsehbilder sahen spektakulär aus, und aus dem Umstand, dass Schumacher so rein überhaupt nichts geschehen war - nicht mal kreidebleich war er -, könnte man beinahe folgern, dass es die Formel-1 als Motorsport gar nicht mehr real gibt, sondern nur noch virtuell. Dass also die Jungs, die wir für Rennfahrer halten, sich nur in Boxen hocken, wie sie auf Jahrmärkten bekannt sind und deren bessere Exemplare als Flugsimulatoren in der Pilotenausbildung benutzt werden.

Der Verdacht könnte sich erhärten, schaut man sich an, wie an jenem australischen Wochenende der mehrfache Weltmeister Mika Häkkinen aus Finnland, den wir als sympathischen Zeitgenossen aus der Handy- und Mercedes-Werbung kennen, bei über 300 km/h Geschwindigkeit die Kontrolle über seinen Wagen verlor, weil seine Vorderradaufhängung brach: Er raste in einen Reifenstapel, kletterte aus seinem Wagen und ging schlecht gelaunt zu Fuß ins Fahrerlager.

Seit Ayrton Senna und Roland Ratzenberger 1994 in Imola ist kein Formel-1-Fahrer mehr in Ausübung seines Berufs gestorben. Einer der gefährlichsten Berufe der Welt scheint entschärft, geradezu zivilisiert. Die toten Schönen, die aus ihren Wracks gezerrt wurden und so zu Popstars wurden gibt es nicht mehr, wie es auch ihren Pop nicht mehr gibt. Anders als noch Ayrton Senna, der von erstaunlich vielen Menschen als gottähnlich verehrt wurde, ist Michael Schumacher bloß der Kerpener. Der gelernte Kfz-Mechaniker mit rheinischem Dialekt, großem Kinn, einer Frau und einem Kind. Mika Häkkinen wird präsentiert als netter Finne, der in der Sauna hockt, sein Handy verleiht, Geschenke verpackt und als 70jähriger mit Boris Becker zusammen Golf spielt. Auch hier fehlt jeder Glamour, jedes Entrückte und die Todesnähe.

Diese Form der Präsentation entsprach der Art, wie Schumacher und wie Häkkinen nach ihren Unfällen aus dem Wagen kletterten: So schlecht gelaunt, wie unsereins nach einem Auffahrunfall auch. Doch einen weiteren Unfall gab es in Melbourne am vergangenen Wochenende. Der Kanadier Jacques Villeneuve rast in einen Fangzaun, es sieht nicht so spektakulär aus, und Villeneuve passiert auch nichts, ganz wie bei den anderen, könnte man meinen. Bloß einen Streckenposten hat es erwischt.

Streckenposten sind die meist schlecht bezahlten Hilfskräfte, die für die Sicherheit im Formel-1-Zirkus arbeiten. Sie stehen nur schlecht geschützt hinter Zäunen und hinter Leitplanken, um im Falle eines Unfalls auf die Strecke laufen zu können und das Feld mit einer Flagge abzuwinken. Der tödlich verunglückte Streckenposten wurde von einem Reifen getroffen, der sich von Villeneuves Wagen gelöst hatte. Streckenposten sind sozusagen vorgelagerte Zuschauer: Dichter dran als die zahlenden Fans, aber nicht hinter den mittlerweile recht sicheren, oft aus fingerdickem Draht bestehenden Zäunen postiert. Einen ähnlichen Unfall mit tödlichem Ausgang hatte es vor fünf Monaten in Monza auch gegeben. Auch da wurde ein Streckenposten in einen Unfall verwickelt und tödlich von einem Reifen getroffen.

Das Ende der todesnahen Formel-1-Helden bringt eine gegenläufige Tendenz mit: die Opferung der Helfer. Es ist eine Demokratisierung der Formel-1-Toten. Fast 100 Jahre nach dem ersten Weltkrieg wiederholt sich, dass Heroen nicht mehr sterben, auch nicht mehr als Heroen wahrgenommen werden, sondern dass es die Zivilbevölkerung erwischt. Die Zahl der Toten unter Zuschauern und Helfern bei Formel-1-Rennen übersteigt die Zahl der toten Fahrer, wie ja auch die Zahl der Toten unter der Bevölkerung die Zahl der toten Soldaten deutlich überschreitet. Und an tote Feldherren ist ja mittlerweile gar nicht mehr zu denken.

Nur für kurze Zeit!

12 Monate lesen, nur 9 bezahlen

Freitag-Abo mit dem neuen Roman von Jakob Augstein Jetzt Ihr handsigniertes Exemplar sichern

Print

Erhalten Sie die Printausgabe zum rabattierten Preis inkl. dem Roman „Die Farbe des Feuers“.

Zur Print-Aktion

Digital

Lesen Sie den digitalen Freitag zum Vorteilspreis und entdecken Sie „Die Farbe des Feuers“.

Zur Digital-Aktion

Dieser Artikel ist für Sie kostenlos. Unabhängiger und kritischer Journalismus braucht aber Unterstützung. Wir freuen uns daher, wenn Sie den Freitag abonnieren und dabei mithelfen, eine vielfältige Medienlandschaft zu erhalten. Dafür bedanken wir uns schon jetzt bei Ihnen!

Jetzt kostenlos testen

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden