Überall diese Seele

Theater René Pollesch lässt an den Münchner Kammerspielen die Darsteller auf der Suche nach Echtheit lustvoll scheitern: "Ping Pong d'amour" persifliert und bestätigt Hollywood

Beim großen, zwischen Hysterie und Befreiung oszillierenden Gelächter steckt der Wirtschaftskater im Detail. „Die erstbesten Versorgungsengpässe während einer Krise des Kapitalismus machen nur Sadisten Spaß. Wir retten die Welt aus purem Egoismus.“ Lautet eine der vielen Pointen zwischen Oscar-Wilde-Witz und Kalauer, die René Pollesch seine Schauspieler servieren lässt. Nach zwei kleineren Produktionen ist er mit der Uraufführung von Ping Pong d’Amour auf der großen Bühne der Münchner Kammerspiele angelangt – und setzt dort eine Unterhaltungsmaschinerie in Gang, die gut geölt und temporeich Hollywood und Broadway persifliert und zugleich bestätigt. Zwischen geschwungener Sunset Boulevard-Treppe, Balkon und weißgepolsterten Wänden fährt auf Janina Audicks Bühne die Schwanenbadewanne mit Goldarmaturen auf und ab, surrt hinter dem Kamin ein Bett heraus, rauscht der arkadische Rundhorizont hin und her, während Martin Wuttke, Katja Bürkle und Bernd Moss fliegend Rollen und Kleider wechseln.

Am „Rand der Darstellbarkeit“ (Bürkle fällt da fast über die Rampe) parlieren die drei Hochleistungs-Artisten über die Unmöglichkeit, Gefühle auf der Bühne und im Leben zu verkörpern, feiern in den zwischen Glamour, Reitdress und Sportleibchen schillernden Kostümen Tabea Brauns Slapstick-Orgien oder springen in die nächste seifenopernde Nonsense-Szene, puderdick mit handelsüblicher Fernseh-Show-Musik unterlegt.

Auch im Liebes-Ping-Pong, wie stets bei Pollesch, werden politische und philosophische Diskurse gestreift, Körperdisziplinierung und Gender Trouble etwa, während Charaktere und Sehgewohnheiten so konsequent kollabieren, wie man es aus der Castorf-Schule gewohnt ist. „Seele! Überall Seele! Ich kann sie nicht mehr sehen, diese Seele“, jault Wuttke in melodramatischer Verzweiflung, plaudert im nächsten Moment über die drei Stewardessen, mit denen er zusammenlebt, bewegt sich wie auf geseiftem Boden und schießt aus der Hüfte: „Liebe besteht darin, etwas zu geben, das man nicht hat, und zwar jemandem, der es nicht will.“
Seine kongenialen Partner, wie er in Superhelden- oder Gaunermasken, schreiten und stürzen mit ihm die Treppe herunter und hinauf, wieder und wieder. Wie ein Revuestar schwebt Bürkle gen Himmel, wirbelt turnschweißfrei mit Band, Ball und Keulen über die Bühne; Bernd Moss lässt als Schlacks mit Spießer-Miene nonchalant die Stichworte prasseln. Zunächst vom oberen Treppenende, später prominent aus der Loge versieht der Souffleur, stets Polleschs wichtigste Nebenrolle, die Truppe bei Gedächtnislücken mit Einsätzen; ein Filmteam mit Kamera und Mikrofon sorgt für Leinwand-Close-Ups und Set-Stimmung.

Zum Ende hin wird es dunkel, man sieht nur noch die drei Zigaretten glimmen, dann ziehen sich Bürkle, Moss und Wuttke hinter die Bühne zurück und sind nur noch als Projektion zu sehen. Dort sprechen sie von der Unsterblichkeit des Theaterstücks und der Körper, Bernd Moss fragt: „Wie stirbt man?“ Währenddessen erleidet ein älterer Herr im Parkett einen schweren Krampf, laut wird nach dem Theaterarzt gerufen, in den Applaus hinein trifft die Ambulanz ein. Doch die Show geht weiter, treibt unerbittlich ihrer Pointe entgegen (Bürkle, Moss und Wuttke als Sternenstaub). Pollesch inszeniert beglückend, dass und wie Theater auf der Suche nach Echtheit scheitert. Und das Leben beharrt zugleich auf seinem Authentizitätsmonopol – unerbittlich.

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