Drogen Die unzufriedenen, heroinabhängigen jungen Männer, die durch Irvine Welshs "Trainspotting" unsterblich wurden, sind jetzt in den Vierzigern, Und sie sterben schnell
Unter den vielen zitierbaren Passagen in Irvine Weshs erstem Roman Trainspotting sticht eine heraus: „Sag ja zum Leben“, sagt Mark „Rent-Boy“ Renton. „Sag ja zu einem Job. Sag ja zur Karriere. Sag ja zur Familie. Sag ja zu einem pervers großen Fernseher, zu Waschmaschine, Autos, CD-Playern und elektronischen Dosenöffnern. Sag ja zur Gesundheit, zu einem niedrigen Cholesterinspiegel und Zahnzusatzversicherung, zur Bausparkasse, zu Eigentumswohnung und den richtigen Freunden. Sag ja zu Freizeitbekleidung mit passenden Koffern, einem dreiteiligen Anzug auf Ratenzahlung. Sag ja zu Do-it-yourself und dazu, dass du am Sonntagmorgen nicht mehr weißt, wer du bist. Sag ja dazu, am Schluss vor dich hin zu verwesen, dich in deiner elenden Bruchbude vollzup
Bruchbude vollzupissen und deinen missratenden Ego-Ratten von Kindern nur noch peinlich zu sein. Sag ja zur Zukunft. Sag ja zum Leben. Aber warum sollte ich das machen?“Stattdessen entschied er sich für Heroin, und wie er machten es viele. Die vom General Register Office for Scotland vor kurzem veröffentlichten Zahlen bestätigen Welshs satirische Pointe: wozu sie wirklich Ja sagten, war der Tod. 2008 nahm die Zahl der mit Drogen in Zusammenhang stehenden Todesfälle im Vergleich zum Vorjahr um 26 Prozent zu, so dass heute in den Lothians alle vier Tage ein Mensch an den Folgen von Drogenmissbrauch stirbt. Vier von fünf Toten sind Männer. Den stärksten Zuwachs verzeichnet die Gruppe der über 35-Jährigen – langjährige Heroinkonsumenten, von manchen auch die Generation Trainspotting genannt.Welshs Roman spielt Mitte der achtziger Jahre im Edinburgher Stadtteil Leith, als es dort mit Heroin gerade so richtig losging. Opiate waren zwar schon seit Jahrhunderten ein Teil des gesellschaftlichen Lebens von Edinburgh. Reines Opium kam dem Historiker Michael Fry zufolge 1693 zum ersten Mal in die Stadt. Im Jahr 1877 war es in Kreisen der Mittelschicht, die es sich leisten konnten, weit verbreitet. Heroin wurde 1884 zum ersten Mal synthetisiert und bald darauf in den Fabriken von Edinburgh hergestellt. „Gegen Ende des neunzehnten Jahrhunderts“, schreibt Fry, „wurden in Edinburgh die meisten Opiate weltweit hergestellt, inklusive Heroin.“ Die Produktion dauert bis heute an.In den Achtzigern trat aus mehren Gründen eine drastische Veränderung ein. Das Angebot vergrößerte sich, billiges Heroin aus Pakistan überschwemmte den Markt, sagt Welsh, „was die große Zahl von Usern hier oben sehr begrüßte.“ Denn das größer gewordene Angebot fiel mit einer nie zuvor dagewesenen Empfänglichkeit in der Bevölkerung zusammen. Die Siebziger waren mit einem enormen Anstieg der Arbeitslosigkeit zu Ende gegangen, den ganz besonders die Arbeiterklasse in den ehemaligen Industrieregionen zu spüren bekam.Verherrlichung oder abschreckendes Beispiel?Welsh sagt, ihm sei nach der Veröffentlichung von Trainspotting vorgeworfen worden, den Heroinmissbrauch zu heroisieren, und es stimmt, dass der raue Ton, der Humor und, als Danny Boyles Film erschien, dessen aufpeitschender Soundtrack und attraktiver Hauptdarsteller (Ewan McGregor) das Ganze recht draufgängerisch und sexy wirken lässt. Der Film lief beim Filmfestival in Cannes außer Konkurrenz und wurde dennoch zum Star der Veranstaltung. Er spielte über 30 Millionen Dollar ein.„Der Film verleiht der Sache diese Scheiß-Aura, etwas Mystisches, ein dunkles Unterwelt-Gefühl“, sagt David, der Mitte der Neunziger angefangen hat, Heroin zu nehmen, heute aber clean ist. „In Wahrheit bedeutet es nur Zerfall. Jeder Tag ist die Hölle auf Erden.“ Die Rave-Kultur hatte die Sache noch verschärft – „Die Leute nahmen Heroin, um von Ecstasy runterzukommen“, sagt der heute 42-jährige Willie, der Heroin spritzt, seit er ein Teenanger ist. Vom Heroin-Chic halten sie alle nicht viel. „Wenn ich ehrlich bin, glaube ich nicht, dass der weiter reichte als bis zur Fashion Week in London“, sagt Mark verächtlich.Und was die Drogenkonsumenten angeht, so sagen sie selbst, dass es da keine Kultur und keine eigentliche Szene gegeben habe. „Du versuchst dich möglichst von Leuten fern zu halten“, sagt David. Wenn du auf Heroin bist, möchtest du möglichst allein bleiben. Selbst wenn einer eine Überdosis erwischt, ist dein erster Gedanke nicht: Oh, ist er in Ordnung? Dein erster Gedanke geht dahin herauszufinden, woher er den Stoff hatte – eine traurige Veranstaltung. Jeder benutzt jeden und wenn man Beziehungen eingeht, dann um des gemeinsamen Zieles wegen – um zu kriegen, was man braucht. Es ist ein Kampf jeder gegen jeden.“ „Generation Trainspotting?“, fragt ein anderer. „Ich glaube nicht, dass das irgendetwas mit irgendetwas zu tun hat.“Womit es meistens zu tun hatte, das waren tausende junger Leute, denen Arbeit und Perspektive fehlten. „1983 hatten wir 3,6 Millionen Arbeitslose“, sagt Welsh. „Das spricht für sich. Da sind viele Leute, die viel Zeit haben. In gewisser Weise hat die Regierung für die Nachfrage gesorgt.“ Und sie waren naiv. „Wir sprechen da von Leuten, die normalerweise nicht mit Heroin in Berührung kommen würden. Da stand keine Haltung dahinter wie etwa bei Alexander Trocchi, sich gegen die Gesellschaft zu stellen. Die Leute hatten schlicht keinen blassen Schimmer.“Der Schottische EffektUnd sie waren Schotten. Aus einer vergangenes Jahr im British Medical Journal veröffentlichten Studie über den so genannten Scottish effect (die Sterblichkeitsrate liegt hier um 15 Prozent höher als in England und Wales) geht hervor, dass der Anstieg hauptsächlich auf Männer bis 45 Jahren und mindestens ein Drittel der Todesfälle auf problematischen Drogenkonsum, hauptsächlich den von Heroin zurückgeht. Dies lässt sich mit der besonderen schottischen Mischung von Risiken erklären. Zunächst wäre da die Frage des Selbstvertrauens. „Engländer zu sein ist die Norm“, sagt Welsh. „Schottischsein wird zunehmend als minderwertig und zweitklassig angesehen. Es gab schon immer die Vorstellung von zwei Arten von Schotten – diejenigen, die nach London gegangen sind und es zu etwas gebracht haben und die Zweitklassigen, die zuhause geblieben sind. Das ist sehr negativ besetzt.“ In Thatchers Großbritannien waren „Schotten Verlierer, junge Leute waren Verlierer, die Arbeitslosen waren Verlierer“, wie Bell es formuliert.Dann gibt es da besondere kulturelle Gewohnheiten. „Crack und Kokain wie im Süden oder auch Aufputschmittel wie in Birmingham oder Manchester konnten sich hier nie durchsetzen. Es ist nie eine Szene entstanden. Traditionell bevorzugen hier viele sedative Drogen, wie Opiate – Heroin oder Temazepan. Wenn man diese Drogen dann auch noch mit Alkohol kombiniert, ist dies ein zusätzlicher Risikofaktor.“Es gibt auch eine ausgeprägte Vorliebe für Nadeln. „Das ist wie Whiskey oder Bier“, sagt Welsh. „In Schottland hatten wir schon immer einen Hang zu den gefährlicheren Sachen. Die Engländer sind da anders. Sie bevorzugen die sanfte Tour – ein Pint Bier in der Kneipe. Das ist zumindest mein persönlicher Eindruck.“ Und es ist effizienter. „Ich will hier keine Klischees reproduzieren“, sagt Welsh, „ aber es ist kostengünstiger, Heroin zu injizieren als es auf einer Folie zu verbrennen und regelrecht in die Luft zu blasen.“In Schottland wurde die Sache als rein ordnungspolitisches Problem behandelt: die Behörden machten es den Usern vorsätzlich schwer, an saubere Nadeln zu kommen, zwangen sie somit zum gemeinsamen Gebrauch und trugen so direkt zu einem explosionsartigen Anstieg der Aids-Infektionen bei. „Dundee und Edinburgh waren die zwei Hauptbrennpunkte“, sagt Mark. „Viele Leute, mit denen ich zusammengearbeitet habe, waren in meinem Alter und achtzig Prozent von ihnen waren HIV-positiv. Es gab keine antiretroviralen Medikamente, so dass viele von ihnen starben.“Clean dank Alkohol „Es gibt Fälle, wo drei Generationen von Drogen-Usern unter einem Dach leben. In manchen Familien ist der Großvater Alkoholiker, der Sohn war alkohol- und heroinabhängig und der Sohn ist auf Heroin. Eine Generation früher gab es vielleicht starke Trinker, da es auf den Docks aber Arbeit gab, hatten sie einen Grund, sich nicht zugrunde zu richten.“ Beim örtlichen Hilfsprojekt The Junction sagt Sprecherin Sam Anderson, wenn die Jüngeren nicht auf Heroin seien, dann auf etwas anderem: „Die Kids, mit denen wir es nun zu tun haben, haben Onkel und Tanten aus jener Generation. Sie wissen um die schlimmsten Konsequenzen und greifen daher eher zu anderen Drogen. Es ist aber nicht so, dass die zugrunde liegenden Probleme nicht mehr existieren würden. Sie entscheiden sich lediglich für einen anderen Weg.“Dennoch ist der Heroin-Konsum während der vergangenen zehn Jahre Mikey zufolge unglaublich angestiegen. „Vor zehn Jahren war es kein Problem, an Gras ranzukommen – heute ist das mit Heroin genauso leicht.“ Wie leicht? „Zwei Minuten.“ Keiner unserer Gesprächspartner hat Hoffnung, dass sich in naher Zukunft daran etwas ändert.. Laut Angaben des schottischen Parlaments leben 1,2 Millionen schottische Haushalte in Armut – 25 Prozent der Bevölkerung. „Ich sehe da eine neue verlorene Generation heranwachsen.“Die Generation Trainspotting stirbt unterdessen 30, 40 Jahre zu früh. Zum Teil sind es die Folgen einer Langzeitabhängigkeit, von seelischen wie körperliche Wunden oder chronisch schlechter Gesundheit und Armut. Zum Teil ist aber auch hier wieder Naivität mit im Spiel, die von der in der Gesellschaft herrschenden Doppelmoral noch unterstützt wird. Viele der Sterbenden sind gar nicht mehr auf Heroin. „Sie werden dir stolz verkünden, sie seien clean. Das heißt soviel wie: „Ich nehme keine Drogen mehr, die gesellschaftlich nicht akzeptiert sind. Ich bin kein dreckiger Junkie mehr.“ Aber viele von ihnen haben sich mit Hepathitis C infiziert, ohne dass dies diagnostiziert oder behandelt worden wäre, und somit ihre Leber geschädigt. „Diese Leute trinken dann 'ne halbe Flasche Wodka am Tag und saufen sich damit regelrecht zu Tode. Das sagt viel aus über die Wahrnehmung von Drogen in unserer Gesellschaft.“Einige der Namen wurden geändert
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