Um deutliche Worte war Peter O. Chotjewitz selten verlegen. Ein Kommentar zu den jüngsten Protesten in seinem Wohnort Stuttgart? „Demos sind Rollenspiele“ und gewalttätige Auseinandersetzungen mit der Polizei „die Rülpser und Fürze der Demokratie“. Das war wenige Monate vor dem Tod des Schriftstellers und Juristen im Dezember 2010.
Ein gefestigtes Weltbild attestierte ihm Joachim Feldmann vor wenigen Jahren im Freitag, halb bewundernd, halb spöttisch. Eine klare Haltung nahm Chotjewitz in seinem bekanntesten Hörspiel von 1968 ein: Die Falle oder die Studenten sind nicht an allem schuld. Darin verdichtete er Textmaterial rund um die Proteste gegen den Vietnamkrieg und den Schah-Besuch in Berlin zu einer Collage.
Die Rollen sind klar verteilt: Demonstranten, Polizisten und Bürger bilden drei säuberlich getrennte Sprechergruppen, eine literarische Diskursanalyse. Chotjewitz hat mit dem Regisseur Richard Hey einiges darangesetzt, das Stück „echt“ klingen zu lassen. Angefangen vom Einsatz der damals noch jungen Stereofonie, die ein realistisches Klangbild erzeugt, über technische Unsauberkeiten, die Authentizität suggerieren, bis zur Verwendung von Mitschnitten auf Demonstrationen.
Filbingers Kabinett beschließt
In eine solche Szene muss der damalige Kultusminister Baden-Württembergs Wilhelm Hahn geschaltet haben, als er am 29. Januar 1969 in seinem Autoradio das zweite Programm des Süddeutschen Rundfunks anstellte und die Sendung für eine Reportage hielt. In Heidelberg war es zu Zusammenstößen zwischen Studenten und der Polizei gekommen; Hahn wähnte sich inmitten des Geschehens. Empört über die Darstellung informierte er Ministerpräsident Filbinger. Das Kabinett beschloss, das Hörspiel sei mit Aufgaben und Satzungen einer öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalt nicht vereinbar.
Dank guter Beziehungen zu Filbinger verhinderte der SDR-Intendant Hans Bausch größeres Aufsehen. Anstatt den Kabinettsbeschluss entgegenzunehmen, diskutierte der Rundfunkrat Die Falle. Das Stück wurde zwar mehrheitlich abgelehnt, die Freiheit des Rundfunks aber betont, ein solches Stück senden zu dürfen.
Chotjewitz’ strenger Formwille und seine Experimentierfreude waren im Rundfunk dieser Tage gut aufgehoben. In den sechziger Jahren knüpfte das „Neue Hörspiel“ an Experimente aus der Weimarer Zeit an, als Walter Ruttmann mit Filmtonband arbeitete, Walter Benjamin Kinderhörspiele schrieb und Bertolt Brecht über die Umwandlung des Rundfunks von einem Distributions- in ein Kommunikationsmedium nachdachte.
A-A-Anti-Atom
Ähnliches schwebte wohl der Stuttgarter APO vor, die 1969 dazu aufforderte, Chotjewitzens Hörspiel über Transistorradios im öffentlichen Raum zu hören, um Passanten damit zu konfrontieren. Die Aktion wurde jedoch zurückgezogen: Für eine Institution der etablierten Gesellschaft – den öffentlich-rechtlichen Rundfunk – wolle man keine Reklame machen.
Auch wenn in Die Falle „1968“ in jeder Minute mitschwingt, lässt das Hörspiel Raum für Assoziationen. Dann legen sich über die Ho-Chi-Minh-Rufe Eindrücke von der letzten Anti-Atom-Demo. Oder auch die jüngsten Bilder und Sprechchöre in Syrien, Tunesien, Ägypten.
Die Falle oder die Studenten sind nicht an allem schuld, 5. Juni, 18.30 Uhr, DLR Kultur.
Julia Tieke ist Projektleiterin der Wurfsendung von DLR Kultur. Im Anschluss an Die Falle wird ihr Bericht "Es ist vielleicht nicht alles so gewesen, aber es könnte alles so gewesen sein." Peter O. Chotjewitz und Urs Jaeggi Zeitgeschichte im Hörspiel gesendet
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