Für die Liebe noch zu mager

Kino Mit „Westwind“ von Robert Thalheim verfilmt eine wahre Liebesgeschichte aus der späten DDR - und weiß weder mit der Liebe noch der Geschichte viel anzufangen

"Wir kommen aus zwei verschiedenen Welten und können uns doch ganz normal unterhalten“, stellen ein Mädchen aus Ost-Berlin und ein Junge aus Hamburg fest. Die verschiedenen Welten erklären sich aus Zeit und Ort des Treffens: Ende der achtziger Jahre, ungarische Disko, Mauer steht noch.

Nun könnte man darüber streiten, wie weltverschieden sich DDR und BRD in einer spätpubertär-popkulturellen Perspektive kurz vor dem Mauerfall ausnahmen. Aber das ist nicht das Problem, das man mit Robert Thalheims Film Westwind hat. Das Problem ist viel banaler und gegenwärtiger: Das Mädchen und der Junge können sich nämlich gar nicht miteinander unterhalten. Sie wissen einfach nicht, was sie sagen sollen.

Thalheim hat in Westwind die tatsächliche Geschichte seiner Produzentin Susann Schimk verfilmt. Zwei Leistungssportler­zwillingsschwestern, Isabel (Luise Heyer) und Doreen (Friederike Becht), reisen im Sommer 1988 in ein Pionierlager am Balaton. Am Rande des Geländes lernen sie eine Gruppe Hamburger Jungs kennen. Doreen verliebt sich in Arne (Franz Dinda) und steht irgendwann vor der Frage, entweder Arne zu verlassen oder ihre Schwester.

Exponat und Impression

Das Zeitkolorit verleiht der Geschichte Tiefe – Doreens Entscheidung ist, vom damaligen Wissensstand betrachtet, eine für das Leben. Das herkömmliche Theater könnte darin die großen Themen entdecken: Verrat, Liebe, Tragik, das ganze Programm. Der jüngere deutsche Film kann damit leider nichts anfangen. Thalheim ist bislang zwar aufgefallen, weil in seinen Filmen auch Themen wie Hartz IV (Netto) und Auschwitz (Am Ende kommen Touristen) vorkamen. Zudem gilt er, der in West-Berlin Geborene, als DDR-Versteher, weil er weiß, dass sich hinter dem Kürzel DEFA kein Versicherungsanbieter verbirgt. Aber im Grunde, und das zeigt Westwind, wirkt Thalheim als Filmemacher so sprach- und positionslos wie ein Großteil seiner Absolventenkollegen. Und mit der DDR weiß er auch nichts anzufangen.

Die Erzählung von Westwind zerfällt in zwei Komplexe: die Exponats- und die Impressionsszenen. In den Exponatsszenen ist die DDR das Museum, das man dem heutigen Zuschauer im Hubertus-Knabe-Duktus erklärt (Trinkröhrchen statt Strohhalm, Morgenappell). Die Impressionsszenen versuchen sich am Gefühl, das aber nur aus Klischees besteht: Wo ein Zug- oder Autofenster offen steht, muss umgehend händehampelnd hinausgejuchzt werden. Wer nicht so gut drauf ist, steht im Schattenriss vor dämmernder See.

Wo die Gefühle herkommen und um welche Gefühle es sich handelt, unter denen hier gelitten und über die sich gefreut wird, vermag der Film dagegen nicht zu sagen. Wenn Arne und Doreen nicht die meiste Zeit zusammen gezeigt würden, hätte man kaum gemerkt, dass sie sich ineinander verliebt haben. Wobei Friederike Becht als einzige Akteurin immerhin so etwas wie Begehren zu wecken vermag. Franz Dinda erscheint dagegen von Beginn an als männlich-verzagter Grübler, der beim Flirten schon so betrübt wirkt, als stünde er vor der für den jüngeren deutschen Film kanonischen Frage, ob er seine Beziehung beenden, in Osnabrück Wirtschaftspädagogik studieren oder doch lieber einkaufen gehen soll.

Als Doreen sich von Isabel kurz drückend verabschiedet, hat man jedenfalls den Eindruck, sie ginge nur noch ein bisschen länger aus – und wechselte nicht in eine andere Welt.

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Geschrieben von

Matthias Dell

Filmverantwortlicher

Matthias Dell

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