Ausgang in die Ewigkeit

Bühne „Fanny und Alexander“ soll den als "Leipziger Handschrift" deklarierten Stil Hartmanns fortschreiben. Unversehens passt es nun in den Kontext der nicht verlängerten Intendanz

Die Kritikerin, die Sebastian Hartmanns Inszenierungen das Etikett „Leipziger Handschrift“ verlieh, hat dem Theater­regisseur keinen Gefallen getan. Als drückendes Signet prangte es über allem Tun des Leipziger Intendanten. Mittlerweile wirbt das Centraltheater selbst damit. Zum Spielzeitauftakt soll Fanny und Alexander diesen Inszenierungsstil fortschreiben.

Die Bezüge zwischen dem Stück und Sebastian Hartmanns kurz zuvor angekündigter Nichtverlängerung seiner Intendanz scheinen nahe zu liegen: Das Stück nach Ingmar Bergmann handelt von zwei Kindern, die aus einer fantastischen Welt voller Magie und Experiment herausfallen und in einem tristen Käfig der Tradition landen. Allein, das Stück stand bereits lange fest und fügt sich thematisch in die anderen Hartmann-Inszenierungen. Thomas Manns Zauberberg aus dem vergangenen Jahr drehte sich als erdschwerer Kraftakt in luftigen Höhen ebenso ums bürgerliche Selbstverständnis wie das in platter Landschaft angesiedelte Fanny und Alexander.

Schweden, Anfang des 20. Jahrhundert. Ein Provinzstädtchen ist hübsch eingeschneit und freut sich auf das Weihnachtsfest. Hier dient neben dem Dom ein Privattheater der Erbauung – es gehört der Familie Ekdahl. Auch diese will Heiligabend feierlich begehen. Doch jäh wird der Theaterfamilie mit Intendant Oskar Ekdahl der Ehemann und Vater, Sohn und Bruder genommen. Nach kurzer Trauerarbeit findet die Mutter Emilie ausgerechnet beim stocksteifen Bischof Trost, müssen Alexander und Fanny in dessen Geist beengendes Haus ziehen. Unter der Fuchtel des gestrengen Geistlichen beginnt für sie ein Martyrium, das Alexander nur durch lodernden Hass durchsteht.

Verrätselt, aus der Welt

In der Reihe der Leipziger Hartmann-Inszenierungen gibt sich Fanny und Alexander als Komplementärstück zur gefeierten Inszenierung Eines langen Tages Reise in die Nacht (2009). Bildete dort das Eingepferchtsein einer Familie das räumliche Grundkonzept, so ist es hier die offene Bühne. Zwischen gedeckter Tafel und zerwühltem Bett oszillieren die Darstellenden nicht minder beklemmend zwischen eingeübtem Spiel und Improvisation. Sie können sich – Hartmanns Ansatz gemäß – aus einem Repertoire von festen Komponenten und beweglichen Versatzstücken bedienen. Und das gelingt am dichten und temporeichen Premierenabend oft punktgenau. Das durchweg gute Ensemble bringt vielfarbene Stimmungen auf die Bühne, die durch die dezente Kulisse in Weiß verstärkt werden. Die Leiden des jungen Alexander finden in einem Lichtkäfig statt, der das Geschehen mal strahlend, mal flimmernd visuell überhöht.

Rettet sich Alexander in künstliche Welten, so tut es ihm der Regisseur gleich: Die Kulisse bricht gen Ende hin auf, und ins Gigantische aufgeblasen ragt Neo Rauchs Gemälde Die Lage in den Bühnenraum: Arbeiterritter in Harnisch gruppieren sich in einer Art Endzeit oder apokalyptischer Ewigkeit, trotzen mit Hämmern und Standarten bewaffnet ihrem Geschick.

Verrätselt, aus der Welt, zum Monument geronnen steht nun bis zur improvisierten Schlussszene auch Hartmanns Bildtheater vor den Zuschaueraugen. Wie im Zauberberg hangelt sich der Regisseur konservativ-brav am Text entlang. Auch das erneute konsequente Suchen nach Sinn und Form mag nach unbestimmtem Ausgang manchen ratlos zurücklassen. Hartmann aber nimmt die (Selbst-)Behauptung des Theaters und sein Publikum ernst – mag man das nun Handschrift oder Marotte nennen.

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