Genozid als Radioprogramm

Bühne Reenactment oder wie ein Völkermord gemacht wird: Milo Rau stellt in „Hate Radio“ im Berliner HAU die Hetze eines Senders nach, der den Bürgerkrieg in Ruanda anheizte

Der schweizerische Journalist und Autor Milo Rau und das International Institute of Political Murder zeigten am vergangenen Wochenende am Berliner HAU 2 Hate Radio. Es handelt sich um das Reenactment einer Sendung des ruandischen Völkermordradios RTLM. Der äußerst populäre Sender, der damals die angesagtesten Moderatoren beschäftigte, die coolsten Rhythmen spielte und in einem schwach alphabetisierten Land große Autorität besaß, wird in der Inszenierung zum entscheidenden Propagandamedium des brutalen Genozids, der im Jahr 1994 in Ruanda innerhalb von 100 Tagen fast einer Million Angehörigen der Tutsi-Minderheit und gemäßigten Hutus das Leben kostete.

Beim Reenactment werden Fakten zusammengetragen, um mit Schauspielern möglichst genau eine historische Situation nachzuspielen. Die Zuschauer werden so zu Zeugen der propagandistischen Arbeit des detailgetreu nachgebauten Senderstudios. Die drei Moderatoren, Kantano Habimana, Valérie Bemeriki und der Italo-Belgier Georges Ruggio, gespielt von Überlebenden des Genozids, mischen Nachrichten aus dem In- und Ausland mit Kommentaren zu den Aktivitäten der UN vor Ort und einem infamen Geschichtsquiz. In Wellen steigert sich der lässige Plauderton in euphorische Hassreden.

Besonders aufschlussreich ist die Selbstverortung der Ideologen im internationalen Machtgefüge, also die Sicht der Hutu auf die lästigen UN-Beobachter, der Beifall für Frankreich, weil es dem Waffenembargo gegen Ruanda nicht zustimmen wollte. Dazwischen wird flotte Musik gespielt, man raucht und fläzt sich lässig, aber latent aggressiv in den Sesseln.

Isolierte Situation

Was eins zu eins gezeigt, ja, was geradezu zelebriert wird, ist die Banalität des Bösen, seine Oberfläche. Dramaturgisch eingerahmt wird diese Situation bei Hate Radio von großformatigen Videoaufnahmen, in denen die Opfer heute zu Wort kommen. Zwei Überlebende berichten von unfassbar brutalen Massakern und den Umständen der eigenen Rettung, ein Ermittler befragt den Moderator Georges Ruggiu zu seinem Werdegang. Die beiden Ebenen ermöglichen eine doppelte Perspektive auf die Ereignisse, die allerdings statisch in der Empörung verharrt.

Mit der Konzentration auf die isolierte Situation des Senders bleibt Hate Radio hinter der deutlich brisanteren Produktion Ruanda Revisited von Hans-Werner Kroesinger zurück, die im Jahr 2009 ebenfalls am HAU gezeigt wurde. Kroesinger befragte in seinem Projekt die Umstände des Genozids in Ruanda auf die Mitschuld der westlichen Welt, indem er das Publikum damit konfrontierte, wie in den Gremien der Vereinten Nationen gegenüber der Weltöffentlichkeit taktiert wurde. Er wies auf die obszöne Vermischung von wirtschaftlichen und politischen Interessen in der Region hin und auf das entscheidende Detail – dass die Unterscheidung zwischen Hutu und Tutsi, die während des Völkermordes über Leben und Tod entschied, von den belgischen Kolonialherren eingeführt worden war.

Milo Rau und sein Team setzen einen anderen Akzent, wenn sie sich nur auf die Situation in Ruanda konzentrieren und der Frage nachgehen, wie Genozide eigentlich gemacht werden. Die Qualität der Arbeit liegt darin, dass sie durch die ausgiebige Recherche zur Vergangenheitsbewältigung im Land beitragen kann.

Hate Radio wird demnächst in Zürich (am 25., 27.-29. Januar) und in Luzern (2. und 3. Februar) gezeigt

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