Like a Slayer

Madonna Madonna begräbt mit ihrem neuen Album "MDNA" den guten, alten Pop. Die Welt erobern längst ganz andere in Benghazi, Istanbul oder Kairo

Das neue Album von Madonna war bis zu seiner Veröffentlichung selbst für die Presse unüblich unsichtbar. Obwohl heuer „alles so schön zuckrig, klebrig, süß“ (Die Sterne) ist - der Pop ist so unsichtbar wie nie. Die neuen Booklet-Pics von Madonna sind nur noch Variationen der Erotica-Motive, die Songs verzichten weitestgehend auf neuartige Finesse, selbst die Lyrics verraten Selbstzweifel: „Every record sounds the same“.

Warum also noch das Original nehmen, wenn es schon bessere Kopien gibt? Im Türk-Pop sind Burcu Günes und Ebru Gündes die poetischeren Style-Madonnen, der J-Pop und die populäre Visual-Key-Szene in Tokio machen vor, wie man Geschlechter spielerisch neu definiert, die ungarischen Chalga-Diven der Band Preslava oder Galena exerzieren prachtvolle Erotik auf höchstem Niveau, feministische Provo-Effekte setzen heute die Russin Choc-O-Lady, die Brazil-Rapperin Flora Matos oder die Libanesinnen Najwa Karam und Haifa Wehbe, die längst ein größeres Publikum haben als Madonna und gerade deshalb in mehreren muslimischen Ländern Auftrittsverbot. Express yourself! – auf MDNA ist dieser Schlachtruf dagegen nur noch selbstironisch formuliert: „I'm born through everything like a bomb“.

Feminismus: Woanders

Madonna war in den 80/90ern Aufklärerin und Stil-Ikone, Role Model und wirkliche Tabu-Brecherin (bei aller werbeträchtigen Inszenierung), aber mittlerweile ist sie die prominenteste Protagonistin einer politisch korrekten Probiotik, der jede Lust, jedes Verlangen und jede Sehnsucht abhanden gekommen ist. „Love don't live here anymore“: Der im besten Sinne multikulturelle und tolerante American Quilt, den sie vor einigen Jahren noch besang, ist zerflickt worden von linken wie rechten Moralin-Junkies, die das pursuit of happiness nur noch wahlweise kommunitaristisch oder ultra-kapitalistisch definieren.

Bruce Springsteen schreit auf seinem neuen Album mit viriler Energie seine ursprüngliche Wut heraus auf die amerikanischen Zustände. Bei Madonna möchte man schon seit Frozen gar nicht mehr wissen, was sie zu sagen hat: alt-mütterliche Erziehungs-Tipps und fettarme Ernährungs-Irrtümer. Wirklich aufgeklärt war die Pop-Moderne eigentlich nie, aber in den immer noch verklemmten 80ern und 90ern war das Material Girl Madonna notwendig, um den Popper-Spießern den Spiegel der Libertinage vorzuhalten und eine Isla Bonita zu offerieren. Heute aber entblößen andere gekonnter die anti-sexuelle Hysterie linker Feministinnen, christlicher Nervensägen oder Kreuzberger Neo-Bürger: Lady Bitch Ray, Nicki Minaj, Ida Corr, die Song-Writerin Keyshia Cole oder die Cosplayerin Christina Aguilera, die mit jedem Album besser wird. Früher, da wusste Madonna noch, was Frauen wollten. Mittlerweile aber hat das Bad Girl androgyne Oberarme und ihre Chauvi-Kritik ist in biederem Opportunismus geendet. „Ein gutes Mädchen wird wild, ich bin dabei, mich zu verlieren“ singt sie auf MDNA.

Madonna mia! Da wird man mit besten Gründen zum Musik-Reaktionär: Früher war alles besser! Der Pop à la Madonna ist tot, sie hat ihn miterschaffen und mitbeerdigt. Sein Versprechen lösen längst andere ein – im Süden wie im Osten. Das weiß Madonna selber: Für eines ihrer letzten Videos engagierte sie Krumbing-Tänzer, die den Baile-Funk aus Rio inszenierten. Der Horizont wird erweitert in Benghazi, Istanbul oder Kairo - aber bestimmt nicht mehr im rauch- und kohlehydratfreien Los Angeles oder New York. That's the Power of Good-Bye.

MDNAMadonna, Interscope (Universal) 2012, 12,98

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