Diese verdammte Individualität!

Performance Der Künstler Jonathan Meese erklärte im Berliner Brecht-Haus seine Weltsicht und warum die Diktatur der Kunst die einzige Alternative zum Status-Quo ist

Ist das denn so schwer zu verstehen? Bereits seit 2007 müht sich Jonathan Meese ab, sein Publikum von dem kranken Zustand der Welt zu überzeugen, damit es sich endlich irgendwann der einzigen Alternative zuwendet: der „Diktatur der Kunst“. Als Zeugnis seines Feuereifers sind jetzt auf 662 Seiten Ausgewählte Schriften zur Diktatur der Kunst (Suhrkamp, 2012) erschienen, und bei seinem Auftritt im Literaturforum im Brecht-Haus vergangene Woche in Berlin redete er sich in Rage für sein erklärtes Ziel. Ihm zur Seite: Der Kritiker Ingo Arend als Fragesteller und der Herausgeber der Schriften, Robert Eikmeyer, als Meese-Versteher.

Denn was soll das wort- und bildreiche Geschimpfe über die „Betroffenheitskacke“, das „pupspolitische Engagement“ und die „Ich-Versautheit“ von Jonathan Meese? Er reduziert die Welt auf die einfache Formel vom Befehl- und Meldeempfänger und bezeichnet sich in diesem Sinne als die „Ameise der Kunst“. Weg mit der grassierenden Kreativitätssucht, es reicht, den Instinkten zu vertrauen wie ein Tier oder ein Baby. Laut Künstler ist unsere Gesellschaft ideologieverseucht und das trotz der Erfahrungen mit dem Chefideologen Hitler, auf den Meese sich gern beruft. Erst wenn der Hitlergruß nur noch als Körperbewegung wahrgenommen werde und seine geschichtlichen Bezüge verliere, sei die Gefahr gebannt.

Kämpfer im Niemandsland

„Dieser Kackdreck muss weg, damit was neues Geiles kommen kann“, forderte er in seinen nicht enden wollenden Tiraden. Sie sind keine Sprachspiele, wie Ingo Arend vermutete, sondern „Verdauungsprozesse“ von Zeichen, so Robert Eikmeyer. Es gehe ihm nicht darum, Kommunikationsregeln zu erlernen, die Verstehen nach Ludwig Wittgenstein erst möglich machen, sondern im Gegenteil, diese durch immer neue metabolische Versuchsanordnungen zu durchbrechen. Was irrational klingt, folgt einer durchaus nachvollziehbaren Logik. Da spielt einer nicht mehr mit und überlässt der Kunst das Feld, die dem Künstler das Ich abtrainieren soll. Jonathan Meese geriert sich als Soldat: sein immergleicher Look, die langen Haare, die Trainingsjacke mit den drei Streifen, das ist seine Uniform.

Er verdammt die Individualität als Ablenkungsmanöver. „Wenn die alle die gleichen Klamotten tragen, könnte ich denen endlich wieder in die Gesichter gucken.“ Der Romantiker Jonathan Meese auf der Suche nach dem, was (wirklich) ist. Er traut der Kunst heilende Kräfte in Bezug auf eine zu erneuernde Gesellschaft zu, darin ist er Joseph Beuys ganz nah. Allerdings sehnt sich Meese nach einem Raum jenseits von Politik, Religion oder Spiritualität. Weg mit dem gesellschaftlichen Überbau, zurück zur menschlichen Natur. Er stilisiert sich als einsamer Kämpfer im Niemandsland zwischen Realität und der noch anzubrechenden neuen Zeit.

Bei seiner als Lesung und Gespräch getarnten Performance im Brecht-Haus warb Jonathan Meese um die Gunst des Publikums, relativierte humorvoll das, was ihm heikel zu sein schien, bekräftigte, dass es ihm dennoch ernst sei mit seinem Zukunftsszenario – und sein Publikum hatte Spaß. Meese scheint nicht bloß in Dauerschleife mit Kraftausdrücken unterhalten, sondern tatsächlich etwas verändern zu wollen. Da fordert einer mit künstlerischen Mitteln immer ungeduldiger die Machtergreifung durch die Kunst, da es mit der „Diktatur der Demokratie“ als „totalste Gehirnwäsche“ so nicht mehr weitergehen könne. „So Ich-versaut bin ich übrigens noch“, gibt Meese zu, „ich will’s erleben!“

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Geschrieben von

Cara Wuchold

Kulturjournalistin

Cara Wuchold

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