Revolution und Reparatur

Linkspartei Auf Druck aus den eigenen Reihen hat die Linke ihr Wahlprogramm verschärft. Manchen reicht das noch nicht. Im Lager der Realos beginnt schon der Rückzug

Die Spitze der Linkspartei wird dem Wahlparteitag im Juni ein verschärftes Programm für die Bundestagswahl im Herbst vorlegen. Bundesgeschäftsführer Dietmar Bartsch lobte den neuen Entwurf in der Frankfurter Rundschau als „deutlich besser, weil präziser“. Allerdings ging es bei der Überarbeitung keineswegs nur um sprachliche Stringenz: Am ersten Entwurf hatte es teils heftige Kritik gegeben. Die Strömung Antikapitalistische Linke hatte „keine Silbe Systemkritik“ in dem Papier gefunden, die Kommunistische Plattform befand die Fassung für derart „unzulänglich, dass es uns sinnlos erschien, spezielle Änderungsanträge zu stellen“. Außerdem waren die Zielsetzungen bei der Erhöhung der Hartz-Regelsätze und für einen Mindestlohn als zu gering kritisiert worden.

Die neue Fassung, die heute Thema im Parteivorstand ist und im Juni noch von einem Parteitag beschlossen werden muss, wird die innerparteilichen Richtungsdebatten allerdings kaum bremsen. Zwar lobte Parteivize Klaus Ernst das Papier als gelungenen Kompromiss „zwischen den unterschiedlichen Positionen“. Doch schon im Vorfeld haben sich Vertreter der Strömungen bereits wieder beharkt: Die dem Realo-Lager zugerechnete stellvertretende Vorsitzende Halina Wawzyniak sprach von einem Versuch, mit „klassenkämpferischer Rhetorik und Radikalität“ die innerparteilichen Kritiker ruhig zu stellen. Die Wortführererin des antikapitalistischen Spektrums, Sahra Wagenknecht, befand, die „Systemkritik“ sei „noch immer deutlich untergewichtet“ und forderte, die Partei müsse jetzt „den Kapitalismus überwinden, nicht reparieren“.

Die Prominenz der Partei ist jedoch eher skeptisch, ob solche Fragen wirklich aktuell sind und in ein Wahlprogramm gehören. Es gehe nicht um „ideologische Positionierung“, warnte Gregor Gysi im Neuen Deutschland - und gab zu bedenken, dass die Linke auch bei den Wählern ankommen müsse. Wie erreichen wir die Lidl-Verkäuferin und den Stahlarbeiter, wie erreichen wir den Arbeitslosen, den Bäckermeister und die Rentnerin?“ Der Fraktionschef sieht zwar „eine zunehmend kapitalitismus-kritische, aber noch keine antikapitalistische und schon gar nicht prosozialistische Stimmung in der Bevölkerung“.

Unterdessen gehen Realpolitiker wie der Berliner Abgeordnete Carl Wechselberg auf Distanz zu ihrer Partei und warnen vor einer weiteren Radikalisierung. Der Haushaltsexperte hatte vor ein paar Tagen seine Fraktionsämter niedergelegt und mit einem Austritt aus der Linken geliebäugelt. Angesichts der knappen Mehrheitsverhältnisse im hauptstädtischen Abgeordnetenhaus, will Wechselberg nun aber zunächst in der Partei bleiben.

Das hinderte den 40-Jährigen allerdings nicht, ausgerechnet in einem Gastbeitrag für Spiegel-Online scharfe Kritik an der Linken zu üben. Das Hamburger Magazin gilt in Parteikreisen ohnehin schon als Hilfstruppe der ungeliebten Regierungslinken. Wechselberg sieht die Linke „unter enormen Druck von Lafontaine und den neuen politischen Mehrheiten“ geraten. In der Partei hätten im Zuge der Fusion „weitgehend marginalisierte“ linke Grüppchen die Chance für neue Bündnisse mit den im Westen neu hinzukommenden „Linkssektierern“ gesehen - und seien damit mehr und mehr erfolgreich. Dass in Umfragen nur zwei Prozent die Finanz- und Wirtschaftspolitik der Linken für überzeugend halten, sei angesichts des fundamentaloppositionellen Auftretens der Linken kein Wunder. „Gelähmt steht sie“, schreibt Wechselberg in dem Beitrag, „als bloße Protestpartei im gesellschaftlichen Abseits“.

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Geschrieben von

Tom Strohschneider

vom "Blauen" zum "Roten" geworden

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