Viele können nicht mehr

Amoklauf Für viele US-Soldaten ist es ein Alptraum, nach Afghanistan in den Krieg zu ziehen. Nach dem Amoklauf von Fort Hood wird das Berufsprinzip der Armee in Frage gestellt

Es wirkt irgendwie vereinfachend, dass der mutmaßliche 13-fache Todesschütze vom US-Stützpunkt Fort Hood Nidal Malik Hasan heißt und nicht Jimmy Jones oder Bob Schmidt. Manege frei zum Spekulieren über die religiösen Hintergründe der Bluttat! Verbindungen zu al-Qaida? "Islamofaschistische" Websites besucht? Auffällig gebetet? Haben Vorgesetzte "Warnzeichen" übersehen? Interessant alles, vielleicht auch relevant, kaschiert aber eine Frage, die US-Militärs und Präsident Obama immer weniger beantworten können: Wie lange noch lässt sich Krieg führen mit Soldaten, von denen viele traumatisiert sind und psychisch leiden, und trotzdem zum zweiten, dritten oder vierten Mal an die Front geschickt werden?

Major Hasan diente als Armee-Psychiater, er hat genau diese angeschlagenen und an so genannten posttraumatischen Belastungsstörungen leidenden Soldaten behandelt – und zum Einsatz vorbereitet. Nach Aussagen von Familienangehörigen sollte Hasan selber gegen seinen Willen nach Afghanistan verlegt werden. Dabei wollte er raus aus der Armee. In den USA gehört es zum guten Ton, den Männern und Frauen in Uniform zu danken für ihren Dienst. Bei Flugreisen teilt der Pilot den Passagieren oft mit, an Bord befänden sich auf Sitzen soundso Soldaten; dann wird geklatscht. Aber für die meisten Amerikaner ist der Krieg am Hindukusch weit weit weg.

Die Nation hat 1973 mit der Abschaffung der Wehrpflicht den nun freilich implodierenden Gesellschaftsvertrag geschlossen. "Freiwillige" würden in Zukunft kämpfen und dafür bezahlt werden. Diese Freiwilligen kommen aus der Arbeiterschicht, zunehmend aus ländlichen Regionen, wo es keine große Perspektive gibt. Sie sind junge Männer und Frauen, die wenig politische Macht haben, um die zu beeinflussen, die Entscheidungen treffen über Krieg und Frieden. Auch wenn zu Wehrpflichtzeiten gut Betuchte Wege fanden, nicht nach Vietnam zu müssen: Die Streitkräfte haben damals die Bevölkerung besser repräsentiert als heute: Entsprechend stärker war auch der Druck auf Präsident Richard Nixon.

Der Gesellschaftsvertrag funktionierte im Frieden. 2,1 Million Soldaten waren zu Vietnam-Zeiten in Uniform, jetzt sind es noch 1,4 Millionen. Und die führen seit 2001 Krieg, und viele können nicht mehr. Ein Fünftel der Kriegsheimkehrer aus Afghanistan und dem Irak leide an einem posttraumatischen Stress-Syndrom oder an Depressionen, warnt das militärnahe Institut "Rand Corporation" vergangenes Jahr. Im Mai 2009 hatte ein GI in Bagdad in einer Einrichtung, in der psychisch angeschlagene Soldaten behandelt wurden, um sich geschossen und fünf GIs getötet. 2008 nahmen sich nach offiziellen Angaben 133 GIs und 41 Marineinfanteristen das Leben. In Fort Hood, dem größten US-Militärstützpunkt, soll es seit 2001 zu 75 Selbstmorden gekommen sein.

Über Major Hasans Tatmotive wird man noch länger rätseln. "Experten" werden ihre Wahrheiten auftischen. Derzeit rätselt man freilich auch, was Präsident Obama zu Afghanistan beschließen wird. Gibt der Commander-in-Chief dem massiven Druck seiner Generäle nach, und schickt 40.000 bis 80.000 Soldaten zusätzlich (zu den dort bereits stationierten 67.000 GIs) nach Afghanistan? Zum zweiten, dritten oder vierten Fronteinsatz. Bei der Debatte darüber dürfte Obama auch Fragen hören, ob Afghanistan noch immer ein Krieg der Notwendigkeit ist für die nationale Sicherheit der USA.

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