Überall Verrat

Stasi In Potsdam wird mit einer Montagsdemonstration gegen die rot-rote ­Koalition in Brandenburg protestiert, doch außer Vera Lengsfeld geht kaum jemand hin

Rot-Rot ist Verrat“, steht auf einem der Transparente. „Die Wende verraten – Sozialdemokraten“ auf einem anderen. Zur 6. Montagsdemonstration gegen die neue Landesregierung sind nicht ganz 100 Menschen nach Potsdam gekommen, am Nauener Tor brennen ein paar Kerzen. „Es geht um unser Land“, lautet das Motto. In Wahrheit geht es um die Stasi, IM-Fälle und die neue Koalition. Ein älterer Herr von der Union der Opferverbände spricht vom Verrat der SPD an Willy Brandt. Dann steigt Vera Lengsfeld auf das provisorische Podest und sagt: „Die Kultur des Verrats blüht immer noch in der Linken.“ Überall Verrat.

20 Jahre nach dem Fall der Mauer und dem Kollaps der alten SED herrscht in Brandenburg ein geschichtspolitischer Ausnahmezustand. Noch gegen jede rot-rote Koalition ist die Vergangenheit ins Feld geführt worden. In Potsdam aber ist es anders, nicht nur wegen der verstrichenen Zeit. Hier waren es frühere Inoffizielle Mitarbeiter, welche sich offen ihren Biografien gestellt haben und für die Linkspartei mit der SPD von Matthias Platzeck verhandelten. Mit jemandem, der aus der Umweltbewegung der DDR kam. Doch dann wurden neue MfS-Fälle bekannt, überraschend auch für die Linkspartei – erst einer, dann zwei, dann drei. Seither dominiert das Thema den Winter des Wende-Jubiläums. Und hat große Geschäftigkeit ausgelöst.

Mit Ulrike Poppe wurde inzwischen eine Landesbeauftragte für die Stasi-Unterlagen berufen. Die Opposition hat zudem eine Enquete-Kommission ins Spiel gebracht, die sich der Nachwende-Zeit widmen soll – also jenem „Brandenburger Weg“, der von den einen als Ausdruck der Konsensdemokratie gelobt und von den anderen als geschichtsvergessener Irrweg in die „kleine DDR“ kritisiert wird. In dieser Woche diskutiert der Landtag über ein neues Abgeordnetengesetz. Jeder, der 1990 älter als 18 Jahre alt gewesen ist, soll auf eine frühere Tätigkeit für die Staatssicherheit durchleuchtet werden. Eine Expertenrunde stellt dann fest, wie „belastet“ die Betroffenen waren. Der Entwurf wird von allen Fraktionen gemeinsam getragen.

Die politische Konkurrenz wird draußen am Nauener Tor ausgetragen, mit großer Symbolik. Aber die neuen „Montagsdemonstrationen“ bemächtigen sich einer Tradition, der sie nicht gewachsen sind. 1989 bröckelten die versteinerten Verhältnisse, weil sich immer mehr Menschen anschlossen. Heute kommen in Potsdam von Mal zu Mal weniger.

„Die Mitglieder der Linkspartei repräsentieren mehrheitlich die DDR, die auch vor Mord nicht zurückschreckte“, kann man das Geschichtsverständnis der Initiatoren auf einem Transparent nachlesen. Ein „loser Zusammenschluss von Bürgern“ steht dahinter, einfache Leute aber auch viele Unternehmer und Selbstständige aus Potsdam haben den Aufruf unterschrieben, und ein paar Journalisten aus Berlin. Und selbstverständlich Vera Lengsfeld. Es ist ihr ganz persönlicher Kampf, der sie hierher führt. Von der Staatssicherheit über den „Verrat“ des Gregor Gysi an seinem Bundesgeschäftsführer Dietmar Bartsch zu den „finanziellen Leichen“ im Keller der Linkspartei braucht sie nur vier Sätze. Eine Freundin hat auf ihre Bitte hin ein Lied geschrieben, und dann singen sie: „Sag, wo die Milliarden sind, wo sind sie geblieben.“ Die Melodie ist von einem bekannten Antikriegslied ausgeborgt. Auch das ein kleiner Verrat.

Die Politik und die Stasi ist auch Thema des Freitag-Salons am 21.1. im Berliner Ballhaus Ost, Pappelallee 15. Beginn: 20 Uhr

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Geschrieben von

Tom Strohschneider

vom "Blauen" zum "Roten" geworden

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