Dschibuti Die Republik am Horn von Afrika ist ein hoffnungsloser Fall von Unterentwicklung und eine wirtschaftliche Fehlgeburt. Selbst die Piratenjäger der EU können nicht helfen
Wenn der Flughafen die Visitenkarte eines Landes ist, dann lässt der Airport Dschibuti nichts Gutes ahnen. Die Abfertigung an der Passkontrolle verläuft so langsam, wie ehemals im Flughafen Scheremetjewo, als Moskau noch die Hauptstadt der Sowjetunion war. Die einzigen Ventilatoren im Gebäude drehen sich dort, wo das Personal sitzt. Jeder Meter näher zum Abfertigungsschalter ist ein Meter näher zum Leben. Auch äußerlich wirkt die Ankunftshalle wie vergleichbare Gebäude in der ehemals sozialistischen russischen Provinz. Nur war es dort niemals so heiß.
Dschibuti ist der kleinste Staat Afrikas. Mit 21.783 Quadratkilometern so groß wie ein mittelgroßes Bundesland. Am Golf von Aden gelegen, umgeben von Äthiopien, Eritrea und Somalia. &
Somalia. „Dschibuti?“ – fragt die Dame am Check-In-Schalter in Hamburg ratlos und bleibt es auch, als man ihr sagt: „Dort, wo die Piratenjäger sind.“Seit 2002 ist die Bundesmarine am Horn von Afrika präsent und als Abteilung der Task Force 150 an der Operation Enduring Freedom beteiligt. Seit zwei Jahren stellt sie auch Schiffe und Mannschaften für die Operation Atalanta, die multinationale Anti-Piraten-Mission der Europäischen Union. Ein bisher erfolgreiches Unternehmen, versichert das Verteidigungsministerium in Berlin, wann immer eine der deutschen Fregatten oder die Besatzung des Seefernaufklärers P3-C die Schnellboote somalischer Freibeuter gejagt, vertrieben oder aufgebracht hat.Deutschlands Soldaten bewohnen in Schibuti das Vier-Sterne-Hotel Sheraton, während die anderen EU-Brigadisten im Fünf-Sterne-Kempinski logieren – ein eigenes EU-Camp zu bauen, wenn Atalanta Ende 2010 vielleicht schon ein Ende findet, hätte sich für die wenigen an Land stationierten Kräfte kaum gelohnt, heißt es. Nur Nationen, die Piraten-Jagd und Anti-Terror-Kampf aus Berufung betreiben, als langfristige Projekte betrachten oder eine koloniale Vergangenheit in Ostafrika vorzuweisen haben, scheinen zu größerer Sesshaftigkeit entschlossen: Die 2.900 Franzosen etwa beanspruchen eine eigene Base, einen Landeplatz für Militärjets und einen weiteren Stützpunkt für die Fremdenlegion. Und das 2.500-Mann-Korps der US-Armee bewohnt gleich ein kleines Container-Camp.Ich kam, um nach kurzer Zeit wieder zu fahren. Mit einem Schiff der Marine wollte ich hinaus in den Golf von Aden, doch das ist eine andere Geschichte. Diese hier handelt von den 48 Stunden zwischen Ankunft und Abreise.Von Nagern verspeistVom Airport in die Innenstadt braucht man weniger als eine Viertelstunde, holpert über Schlagloch-Pisten, vorbei an Slums, Wellblechhütten, Kartonhäusern, abgemagerten Dromedaren. Im Wind flatternden Wäschefetzen. Dschibuti ist eines der ärmsten Länder der Welt, nach der einschlägigen UN-Statistik, dem Human Development Index, belegt es Rang 155 von 182 zu vergebenden Plätzen. Der Betrachter sieht zunächst nur Müll, Müll, Müll. Fetzen von pinken, roten, grünen Plastiktüten hängen in Thujen, Feigenbäumen, Wacholdersträuchen und Buschakazien, treiben an Ecken zu Haufen zusammen, vereinen sich mit ausgeschlachteten Autos und entsorgten Kühlschränken, mit Blechmüll, Kabelmüll, Plastikmüll. Hin und wieder liegt dazwischen die Leiche eines Dromedars auf einem Toyota-Wrack, halb verbrannt von Benzin, halb von Hyänen verspeist.In Dschibuti-Stadt angekommen, bleibt ein Hauptstadtgefühl aus. Ansammlungen von garagenähnlichen Häusern wechseln mit großen Freiflächen. Nur für die omnipräsenten Chinesen werden Wohnviertel mit kitschigen Türmchen-Erker-Villen errichtet. Weithin sichtbar ist der Containerhafen, dem dieses Land einen Teil seiner Einnahmen verdankt. Dschibutis Überleben hängt derzeit von den Alimenten der früheren Kolonialmacht Frankreich ebenso ab, wie von den Einnahmen, die der Piratenjäger EU dem Kleinstaat verschafft.Tief schneidet die Bucht von Tadjourah in das Land hinein und bietet einen natürlichen Schutz für die Hafenkais, deren Umfeld zugleich als Freihandelszone genutzt wird. Äthiopien, landumschlossen, ohne Zugang zum Meer, muss den Großteil seines Handels über Dschibuti abwickeln, was dessen Regierung dank Zoll- und Hafengebühren willkommene Einkünfte beschert. Denn wirtschaftlich gesehen, ist Dschibuti eine Totgeburt. Lediglich ein Viertel der Landesfläche sind nutzbar, es gibt weder Industrie-Unternehmen noch Rohstoffe, von Infrastruktur und Technologie ganz zu schweigen.Jenseits vom Seehandel und Militärbasen den eigentlichen Kern dieses Staates zu finden und zu erahnen, welcher Geist seine Bewohner beseelt, ist schwer. Was war, bevor die Kolonialherren kamen, bevor sie sich aus dem rissigen Boden, über den seit jeher die Nomaden der Afar und Issa streiften, ein Stück herausnahmen? Als sie Grenzen zogen um ein Gebiet, dessen Boden die Sonne Tag für Tag zu ausgetrockneten Schollen zusammen backt? Der zu wenig hergibt, um die noch heute nomadisierenden Menschen zu ernähren? Wenn Gottes üppiger Garten im grünen Gürtel Zentralafrikas lag, dann hatte sich der Teufel den seinen am Horn von Afrika geschaffen.Morbiden Charme verbreitet die Stadt nur in der erfrischenden Morgenkühle, wenn die Sonne den Marché Central streift, der von postkolonialen Verwaltungsbauten umstellt ist. Alles andere ringsherum bezeugt das gelassene Temperament von Menschen, die für ein Leben in der Wüste geboren wurden und feste Behausungen nicht als Refugium betrachten, das Sorgfalt und Pflege verdient.Mittags fällt Dschibuti in einen tiefen Schlaf, werden Fensterläden und Haustüren geschlossen, nur die Fliegen summen noch. Die Händler liegen unter Bananenblättern am Straßenrand. Die Sonne ist Glut und selbst der Wind nur ein heißer, die Schleimhäute austrocknender Luftstrom. Erst wenn das Licht fahl und kalt wird, wenn die Dunkelheit irgendwo im Westen aufsteigt und sich wie eine riesige Wolkenfront nähert, erwacht Dschibuti zum Leben. Frauen mit und ohne Tschador, züchtig verhüllte oder nur mit einem Wickelrock bekleidete, scheu tippelnde und mit dem geraden festen Schritt der Nomaden ausschreitende, huschen über die Straßen und verschwinden in den Läden der Schneider aus Bangladesch, der Goldhändler aus Indien, der Hauhaltswarenverkäufer aus Äthiopien. Über 50 Prozent der Bewohner sind arbeitslos, Jobs haben in der Stadt nur Gastarbeiter. Trotzdem ist Dschibutis Basar einer der teuersten Ostafrikas. Obst, Gemüse, Taschen, Stoffe, Kleidung – alles wird importiert, über das Meer oder mit Lastwagen aus Äthiopien, über die Bahntrasse aus Addis Abeba.Am Abend vibriert Dschibuti wie jede Stadt, in der sich die angestaute Lethargie eines versunkenen Tages in Bewegung und Musik entlädt. Vom Minarett ruft der Muezzin, Textilverkäufer hängen ihre Waren an lange Ketten. Auf billigem Stoff prangen schief die Logos von Nike, Puma oder Gabana und was der Markt der Mode an Namen sonst noch hergibt. Händler mit Bauchläden schieben sich durch die Schlendernden, bieten überteuertes Kunsthandwerk aus Kenia und Uganda, Billigschund aus China. Renner der Saison: Feuerzeuge, auf denen man das Gesicht von Osama bin Laden, Che Guevara oder George Bush – welche Kombination – oder den Körper einer nackten Frau hervor zaubern kann.Wie knorrige Bäume Noch besteht Hoffnung, das Land zu erkennen, wenn man die Stadt verlässt und den Schildern folgt, die zu kleinen Orten führen, an denen fünf Häuser um einen Platz stehen, und der Clan die Menschen zusammen hält. Die Hoffnung führt durch einsames Land, manchmal zu einem Parkplatz. Wer dort aussteigt, kann in schwindelerregende Abgründe schauen und auf das Gerippe eines ausgebrannten Lastwagens, dessen Bremsen versagten.Weiter zum Lac Assal, Afrikas tiefstem Punkt, 155 Meter unter dem Meeresspiegel. Vor 20 Jahren durch einen Erdrutsch vom Meer abgeschnitten, ist der See fast vertrocknet, nur eine dicke Salzschicht, die aus der Ferne die wundersam kühlende Assoziation von Schnee hervorruft, ist geblieben.Gerunzelte Männer vom Stamm der Afar schaufeln dort hockend und unter gnadenloser Sonne mit bloßen Händen das Salz, während ihre Dromedare geduldig warten. Männer, ausgetrocknet wie das Land, der See, die Erde. Die Haut der Hände dünn geätzt. Kein Wort englisch oder französisch können sie sprechen. Schweigend, Salz schaufelnd lassen sie die Betrachtung der Fremden über sich ergehen und scheuchen diese schließlich mit einem ungeduldigen Wedeln der Arme fort. Beim Rückblick im Autospiegel sieht man sie aufrecht dem Wagen nachsehend, wie knorrige Bäume, dem See entwachsen.
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