Es schien für Israels Premier kein größeres Vergnügen zu geben, als nach US-Vizepräsident Joe Biden nun auch das Nahost-Quartett vorzuführen. Das hat sich in Moskau gerade erst effektvoll als Front der Standhaften präsentiert, an der Israels Unbotmäßigkeit nur zerschellen kann. Tut sie aber nicht. Benjamin Netanjahu macht kurz vor seinem USA-Besuch keinerlei Anstalten, die Israelisierung Ost-Jerusalems abzubremsen, geschweige denn abzusagen. Dies wäre das Mindeste, sollte möglich sein, was das Nahost-Quartett – es rekrutiert weltpolitische Schwergewichte wie die USA und Russland, die EU und UNO – verlangt: Dass Ost-Jerusalem demnächst keine Adresse für israelische Siedler, sondern palästinensische Minister ist.
Doch warum sollte Netanjahu darauf eingehen? Die Einladung ins Weiße Haus ist ihm trotz aller Renitenz sicher. Obama wird diesen Verbündeten weder mit offenen Armen begrüßen noch als Saboteur beschimpfen – er muss ihn empfangen.
Hang zum Masochismus?
Als seine Außenministerin davon sprach, es sei ein „Affront“ gewesen, neue Siedlungsprojekte in Ost-Jerusalem ausgerechnet in dem Augenblick zu verkünden, als vor wenigen Tagen Vizepräsident Biden Israel besuchte, vergaß sie ein Adjektiv. Hillary Clinton hätte von „kalkuliertem Affront“ sprechen sollen, um dem Verhältnis ihrer Regierung zu Netanyahus Mitte-Rechts-Kabinett gerecht zu werden. Vermutlich verzichtete sie darauf, um die unweigerlich daraus folgende Frage zu vermeiden: Warum lässt man sich derartige Ruppigkeiten gefallen?
Gewiss treibt die US-Regierung weder der Hang zum Masochismus noch die Angst vor dem großen Crash. Die nach oben offene Skala dosierter Provokationen, wie sie Netanjahu gern ausschöpft, erschüttert das Fundament der amerikanisch-israelischen Beziehungen nicht wirklich. Es sind Sonderbeziehungen. Intensiver als das transatlantische Verhältnis. Elf Minuten, nachdem am 14. Mai 1948 der Staat Israels proklamiert wurde, traf aus Washington das Fernschreiben mit der diplomatischen Anerkennung ein. Ohne Israel wären die USA im Nahen Osten imperialer Eroberer. Mit Israel sind sie Schutzmacht eines von Feinden umgebenen Staates und berufen, Beistandspflichten zu erfüllen. Die enden nicht an den Grenzen Israels, sondern erfassen eine ganze Region.
Gaza darf explodieren
Was derzeit die Geister scheidet, ist eher taktischem Dissens geschuldet. Israels Premier will seine Koalition mit den Hardlinern aus der Partei Jisra'el Beitenu und der orthodoxen Shas-Partei nicht gefährden und deshalb in der Siedlungsoffensive das Tempo halten. Washington will es drosseln, damit die verhandlungswilligen Palästinenser des Mahmud Abbas wieder mit Israels Emissären über Checkpoints, Transitwege und Straßenschilder reden, dabei ihrem Staat keinen Schritt näher kommen, aber so tun können, als wäre genau das der Fall. Die Obama-Regierung wünscht, in der Palästina-Frage den Rücken frei zu haben, bevor sie in der Iran-Frage eine ultimative Lösung ansteuert. Sei es durch verschärfte Sanktionen (Treibstoff-Embargo) oder einen Militärschlag. Wenn es soweit ist, kann Gaza ruhig explodieren. Das regeln die Israelis wie Anfang 2009 mit der Operation Gegossenes Blei. Die Westbank hingegen darf nicht explodieren, dann steht die Region in Flammen. Deshalb muss mit Abbas verhandelt werden, ob das den Israelis passt oder nicht.
Es versteht sich, diese Umstände machen das Weiße Haus erpressbar, doch sie fügen den israelisch-amerikanischen Beziehungen keine irreversiblen Schäden zu. Wer glaubt, das gerade auftrumpfende Nahost-Quartett sei in dieser Lage mehr als eine diplomatische Schaufensterpuppe, die anmutig nickt, tut sich intellektuelle Gewalt an. Das nächste Iran-Statement der EU wird nicht nur Bände, sondern mit dem Mund der Amerikaner sprechen und an das berühmte Löschblatt erinnern, das gerade noch so zwischen enge Verbündete passt. Mit andern Worten, die EU, aber auch die UNO werden sich im Nahost-Quartett keine Spielräume verschaffen, um mit den USA auch Israel wirklich unter Druck zu setzen.
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