Rettung aus höchster Not

Kirgistan Die aus sieben postsowjetischen Staaten bestehende Organisation des Vertrags für kollektive Sicherheit (OVKS) soll den Massenmord in Osch und Dschalal-Abad beenden

„Wir haben das alles schon einmal erlebt.“ Mit diesem Satz lässt sich die unter zentralasiatischen Beobachtern des jüngsten Aufruhrs in Kirgistan herrschende Sicht zusammenfassen. Jedes Mal, wenn in der Republik die politische Stabilität wankt, eskalieren die ethnischen Spannungen und münden in Gewalt gegen die usbekische Minderheit.

Das geschah bereits 1990, in der Zeit, als die Sowjetunion auseinanderbrach. Der Auslöser war damals, dass ortsansässige Kirgisen im südlichen Kirgistan ein von einem usbekisch dominierten Kollektiv bewirtschaftetes Grundstück gewaltsam übernommen hatten. Bis zu 1.000 Menschen kostete die drei Wochen andauernde Gewalt das Leben, die Mehrheit von ihnen Usbeken. Heute ist der Grund ein politischer. Die meisten Usbeken im Süden unterstützen die Übergangsregierung Rosa Otunbajewas, während die Mehrheit der Kirgisen dem früheren Präsidenten Kurmanbek Bakijew die Treue halten, der im April aus dem Amt gedrängt wurde und sich nun im weißrussischen Exil aufhält.

Russlands Schlüsselrolle

Der von Bakijew-Anhängern im Mai unternommene Versuch, die Interimsregierung durch die Einsetzung einer alternativen Autorität in Dschalal-Abad, dem Heimatstandort Bakijews, zu entmachten, missglückte, da die Regierung Otunbajewa zusätzliche Sicherheitskräfte einsetzte. Die hieraus erwachsende Frustration der Bakijew-Partisanen richtet sich nun gegen die ethnischen Usbeken.

Während die Politik hier offen zutage tritt und bisweilen sogar dramatische Formen annimmt, ist der im Hintergrund wirkende ökonomische Faktor nicht ganz so offensichtlich: Obwohl sie nur 15 Prozent der Gesamtbevölkerung stellen, kontrollieren die Usbeken fast den gesamten Handel Kirgistans. Hierin liegt ein wichtiger Grund für den Unmut der Mehrheitskirgisen, der die ethnischen Usbeken in Zeiten verschärfter Unsicherheit zur Zielscheibe werden lässt.

Russland hat die Entwicklung in der kleinen Republik mit fünf Millionen Einwohnern schon immer mit Interesse beobachtet und eine wichtige Rolle beim Sturz Bakijews gespielt, nachdem dieser sein Versprechen gegenüber dem Kreml, den Amerikanern nicht länger die Luftwaffenbasis in Manas zur Verfügung zu stellen, gebrochen hatte. Moskau hat die Interimsregierung in Bischkek finanziell und diplomatisch unterstützt, um ihr bei ihrer Konsolidierung zu helfen, möchte aber nur ungern militärisch in die inneren Angelegenheiten Kirgistans eingreifen und Truppen nach Osch, Dschalal- Abad und in die umliegenden Dörfer schicken, wie es Otunbajewa erbeten hatte.

Stattdessen schwebt Moskau ein multinationales Friedenskorps vor, das Recht und Gesetz im Süden wiederherstellen soll. Mit der aus sieben Nationen bestehenden Organisation des Vertrags für kollektive Sicherheit (OVKS) existiert hierfür bereits ein Instrument. Die OVKS wurde 2002 ins Leben gerufen und besteht aus Russland, Usbekistan, Kirgistan, Kasachstan, Tadschikistan, Armenien und Belarus. 2009 schuf sie eine schnelle Eingreiftruppe, die gegen Terroristen vorgehen und die internationale Kriminalität bekämpfen soll, eine Idee, für die Moskau sich schon seit Jahren eingesetzt hatte. Kurz nachdem Russland 2002 auf dem ehemaligen Trainingsgelände für sowjetische Piloten in Kant den ersten ausländischen Luftwaffenstützpunkt in Kirgistan errichtet hatte – gerade einmal 30 Kilometer vom Luftwaffenstützpunkt in Manas entfernt, den die USA für ihren Krieg in Afghanistan nutzen –, erklärte der damalige Präsident Putin, man wolle dort eine Task Force aufbauen, und betonte, dass diese auch für das Dach der multinationalen OVKS sorgen solle. Vor diesem Hintergrund ist es für die Regierung Otunbajewa keine Alternative, Washington um Truppen für den Süden des Landes zu bitten.

Keine Gefahr

Beide Luftwaffenstützpunkte – Manas ebenso wie Kant – befinden sich jedenfalls in der Nähe von Bischkek im äußersten Norden des Landes und keiner von beiden ist in Gefahr, von übereifrigen Anhängern Bakijews überrannt zu werden. Einer der Vorteile einer multinationalen OVKS-Truppe würde darin bestehen, dass diese auch aus usbekischen Soldaten besteht, schließlich muss das Land gegenwärtig mit Zehntausenden von Flüchtlingen aus Kirgistan fertig werden. Aber während die humanitäre Krise sich angesichts der anhaltenden ethnisch motivierten Gewaltausbrüche verschärft, sollte eine schnelle Eingreiftruppe vor allem eines: ihrem Namen Ehre machen.

Der in Indien geborene Dilip Hiro studierte in Indien, Großbritannien und den USA. Er arbeitet als Journalist und Publizist. Sein letztes Buch trägt den Titel: Inside Central Asia: A Political and Cultural History of Uzbekistan, Turkmenistan, Kazakhstan, Kyrgyzstan, Tajikistan, Turkey and Iran (2009)

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Übersetzung: Holger Hutt
Geschrieben von

Dilip Hiro | The Guardian

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