Ägypten ist nicht Iran

Ägypten Nahost-Experte Sons hält die Gefahr, dass Ägypten zum Gottesstaat wird, für gering.

Der Freitag: Herr Sons, werden die Muslimbrüder das Zepter in Ägypten übernehmen?

Sebastian Sons: Sie spielen eine wichtige Rolle innerhalb der ägyptischen Gesellschaft, aber nicht die wichtigste. Die Muslimbruderschaft wird innerhalb einer neuen Regierung wohl als eine kleinere Kraft beteiligt sein, aber nicht stabilitätsgefährdend.

Wie erklären Sie sich deren bisherige Zurückhaltung?

Wahrscheinlich waren sie selbst überrascht von den Protesten. Das sie sich insbesondere in den Medien so zurückgehalten haben, war vermutlich auch taktisches Kalkül, um nicht die Aufmerksamkeit auf eine islamische Tendenz innerhalb der Demonstranten zu lenken.

Ist der jetzige Vize Husni Mubaraks, Omar Suleiman, die Lösung?

Suleiman ist ein wichtiger und einflussreicher Vertreter des Mubarak-Regimes und scheint dem Westen vielleicht die logischste Lösung, aber die Straße wird ihn als Präsidenten vermutlich nicht akzeptieren. Dafür steht er Mubarak und dem Militär zu nah.

Ist sein Verhalten für Sie noch nachvollziehbar?

Zuerst einmal darf nicht vergessen werden, dass es auch Teile innerhalb der Bevölkerung gibt, die Mubarak nicht sofort abtreten sehen wollen. Er hat zumindest für eine gewisse Stabilität im Nahost-Friedensprozess gesorgt. Außerdem muss man besonders seit seiner Rede am 10. Februar davon ausgehen, dass ihn sein Gesundheitszustand in seinem Urteilsvermögen doch wohl sehr einzuschränken scheint. Von daher ist sein Verhalten vielleicht nicht nachzuvollziehen, aber zumindest zu erklären. Viele Demonstranten hat er erneut enttäuscht, indem er nicht seinen Rücktritt verkündet hat. Auch in den USA war man wohl auf solche Aussagen nicht vorbereitet, so mein Eindruck. Es scheint, als spiele er auf Zeit und klammere sich an die Macht. Einen würdevollen Abgang zu erreichen, wie er es selbst anstrebt, wird jetzt eher schwierig.

Ist die „Revolte am Nil“ schon zu Ende?

Nein, dass kann man so (noch) nicht sagen, die Lage musste sich nur wieder normalisieren – der Betrieb in den Banken, den Supermärkten et cetera wieder Alltag werden. Das bedeutet aber kein unverzügliches Abflauen der Proteste. Im Moment wird allerdings eine Hinhaltetaktik sowohl vom Westen als auch vom Regime Mubaraks betrieben. Die Verhandlungen um vermeintliche Reformen ziehen sich in die Länge. Dennoch wird wohl ein Rückgang der Berichterstattung in den Medien zu erwarten sein. Das hängt allerdings auch davon ab, wie sich Mubarak in nächster Zeit verhalten wird und ob sich die Situation weiter verschärft.

Halten Sie einen Vergleich zwischen dem Sturz des Schahs im Iran 1979 und Ägypten für angebracht?

Auf gar keinen Fall. Der Sturz des Schahs führte dazu, dass Iran zu einer Islamischen Republik wurde. Das ist eine Zuspitzung der Geschehnisse in zwei ganz unterschiedlichen Fällen – die Situation in Ägypten im Jahr 2011 ist nicht zu vergleichen mit der des Irans im Jahr 1979. Ich erwarte keinen islamistischen Staat Ägypten unter Herrschaft der Muslimbruderschaft.


Sebastian Sons ist studierter Islamwissenschaftler und wissenschaftlicher Abteilungsleiter am Deutschen Orient-Institut in Berlin.

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