Sprachpädagogisch wertvoll

Integration Recep Tayyip Erdogan hat in der Sache Recht, wenn er sagt, türkische Kinder müssten zuerst ihre Muttersprache lernen. Doch Kritik an seiner Rede taugt zum Stimmenfang

Recep Tayyip Erdogan hat den Forschungsstand der Sprachpädagogik möglicherweise nicht extra aufgearbeitet, bevor er seine Rede in Düsseldorf hielt. Doch entsprach seine Empfehlung gegenüber gut 10.000 Deutschtürken und Türkischdeutschen recht präzise der aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnis: Kinder, die mehrsprachig aufwachsen, sollten Sprachen nur von Muttersprachlern lernen. Es ist richtig, wenn Kinder in türkischstämmigen Familien zunächst Türkisch lernen. Das ist sogar besser für sie – solange sie nur früh genug in der Kita auch Deutsch lernen.

Doch wollen die Politiker, die den türkischen Ministerpräsidenten für seine Rede attackieren, ja nicht über kindlichen Spracherwerb streiten. Sondern sie wollen das Gleiche machen wie er: Stimmenfang. Erdogan war in Deutschland auf Wahlkampftour und hat eine typische türkische – für deutsche Ohren also reichlich blumige – Wahlkampfrede gehalten. Er hat dazu weltweit verbreitete Techniken genutzt: etwa das Aufbauen eines Popanzes samt dessen lustvollem Einreißen. Kein Mensch könnte sauber definieren, was der Unterschied zwischen Integration und Assimilation ist. Aber Erdogan tut so, als sei in Deutschland irgendwer von Zwangs-Assimilation bedroht. Das ist etwas ­albern.

Doch mit Sicherheit hat er dadurch die nach Meinung von CSU-Generalsekretär Alexander Dobrindt offenbar super laufende Integrationsdebatte nicht „um Jahre zurückgeworfen“. Dieses Verdienst kommt zuvörderst denen zu, die in den vergangenen Monaten alles getan haben, um speziell die türkische Gemeinschaft in Deutschland vor den Kopf zu stoßen – darunter, wer sonst, Dobrindt.

Denn dies ist der Unterschied zwischen Erdogans Auftritt und dessen Rezeption vor drei Jahren und der Rede nun in Düsseldorf: Die Muslim- und mit ihr die Türkenfeindlichkeit ist hierzulande gewachsen. Erdogans Motive, an die Ängste der Türken in Deutschland zu appellieren, mögen niedrig sein. Sie sind nicht niedriger als die Motive der deutschen Islamfeinde und Rassisten, die in Thilo Sarrazins Schlepptau den Türken das Zusammenleben in Deutschland zuletzt so vergällt haben.

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Geschrieben von

Ulrike Winkelmann

Ressortleiterin Politik

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