Inspiriert von den Aufständen in Tunesien, Ägypten, Libyen, im Jemen und in Bahrain bleiben auch die Iraker den zivilen Gehorsam schuldig. In einem arabischen Land nach dem anderen werden Mauern der Angst eingerissen. Oder in Frage gestellt wie die von den US-Streitkräften errichteten hässlichen Betonwände, die viele irakische Städte in Sicherheitszonen unterteilen. Die Regierung von Premier al-Maliki reagiert nicht anders, als es die abgewirtschafteten Despoten in Tunis und Kairo handhabten. Als am 25. Februar in Bagdad zu einem „Tag des Zorns“ aufgerufen war, starben 29 Menschen durch Schüsse der Polizei. Nach dem offiziellen Ende der US-Besatzung im Vorjahr wirkt der Irak wie die anderen Diktaturen in Nordafrika und in der Golfregion.
Als Ge
hr wirkt der Irak wie die anderen Diktaturen in Nordafrika und in der Golfregion.Als George Bush noch im Weißen Haus saß, wurde er nicht müde, mit Blick auf syrische Truppen im Libanon zu erklären, es sei unmöglich, unter einer Besatzung freie und faire Wahlen abzuhalten. Die Iraker finden sich plötzlich in der nicht eben glücklichen Lage wieder, ihm beipflichten zu müssen. Ihr Urnengang vor gut einem Jahr, dem mehr als 100.000 US-Soldaten das Geleit gaben, hat ein zahnloses Parlament hervorgebracht, das über genauso viel Macht verfügt wie die ägyptische Nationalversammlung bis zum Sturz Mubaraks.Wie alle Regimes, die von Massenerhebungen bedroht sind, scheut auch das irakische die Parallelen zu einem Polizeistaat nicht wirkliches. Je entschiedener sich die Regierung in Bagdad von der Bevölkerung herausgefordert fühlt, um so gewalttätiger die Reaktion. In Ägypten und Tunesien mussten Hunderte sterben, um Ben Ali und Hosni Mubarak zu stürzen. In Bagdad oder Basra verlangt eine Mehrheit der Freitagsdemonstranten lediglich Reformen, keineswegs die bedingungslose Demission einer „korrupten“ Regierung. Und die hat offenkundig aus den großen Aufständen anderswo gelernt. Sie tut alles, damit es gar nicht erst soweit kommt, dass aufgebrachte Landsleute in der irakischen Kapitale auf dem dortigen Tahrir-Platz in großer Zahl zusammenkommen. So sind alle Brücken über den Tigris gesperrt, wird eine Sechs-Millionen-Metropole zu einem von Feldlagern der Polizei und Armee armierte Festung.Botschaft aus der Botschaft Ministerpräsident al-Maliki lässt mitteilen, er wolle das Demonstrationsrecht nicht abschaffen, halte es aber für besser, wenn sich die Menschen künftig im Fußballstadion von Bagdad oder im Zowra’a-Park versammeln, anstatt Meetings auf dem Tahrir-Platz abzuhalten. Die US-Botschaft greift zu einer Intervention, wie es sie noch nie gab: Sie lässt über das staatliche Fernsehen einen Aufruf auf Arabisch verbreiten, der – höchst dürftig bemäntelt – die Demonstranten warnt, sie sollten mit ihren Forderungen nicht allzu weit gehen. Die Vereinigten Staaten würden voll und ganz hinter der „demokratisch gewählten“ Regierung stehen und unterstützten zugleich das Recht auf friedlichen Protest. Hillary Clinton und Barack Obama sind augenscheinlich verwirrt und desorientiert, welche arabische Diktatur sie nun fallen lassen, und welche sie stützen sollen.In einem ersten Fernsehauftritt seit Beginn der Proteste forderte Premier al-Maliki die Menschen auf, sie sollten zuhause bleiben, da „Baathisten (einstige Gefolgsleute Saddam Hussein – die Red.) und Terroristen von al-Qaida die Proteste unterwanderten hätten. In einer weiteren Ansprache schien er sichtlich mitgenommen, dankte den Demonstranten und versprach Reformen „innerhalb von hundert Tagen“. Doch dann deutete al-Maliki an, der Staat würde mit Gewalt reagieren und Journalisten foltern, sollten sie versuchen, ihn und seine Regierung zu stürzen. Schließlich sei er vor einem Jahr „demokratisch gewählt“ worden.Ikonen der Autonomie Al-Malikis Vorwurf, bei den Demonstranten handele es sich um Baathisten, wird von der Protestszene scharf zurückgewiesen: „Al-Maliki ist ein Lügner“ lautet einer der Schlachtrufe. Andere bringen zum Ausdruck, das Öl des Landes müsse dem Volk zugute kommen und nicht „den Dieben“, sie verlangen Arbeit und eine endlich wieder funktionierende Infrastruktur. Sie skandieren: „Nein zum Terrorismus! Nein zu Saddams Diktatur! Nein zur Diktatur der Diebe, nein zur Besatzung!“ Im kurdischen Teil des Irak, wo mindestens sechs Menschen zu Tode kamen, gehen die Demonstranten soweit, mit den Kurdenführern Masud Barzani und Dschalal Talbani (Letzterer ist Staatspräsident) Ikonen der Autonomie die Gefolgschaft zu versagen.Es könnte für die Iraker sehr viel schwieriger sein, für ihre Würde und Freiheit zu kämpfen als etwa die libysche Anti-Gaddafi-Front, stehen ihnen doch 50.000 US-Soldaten, Tausende von Söldnern privater Sicherheitsdienste und die 1,5 Million Mann der irakischen Nationalarmee gegenüber. Die Gleichgültigkeit der westlichen Medien gegenüber diesem Aufstand ist verdächtig und heuchlerisch, besonders angesichts der bekannt gewordenen Folterung von vier irakischen Journalisten.