Es muss deprimierend gewesen sein: Schon im April reiste Josette Sheeran an das Horn von Afrika und warnte vor einer Hungerkrise. Doch ihre Worte verhallten. Jetzt beschäftigt sie sich täglich mit der Situation in Somalia: Sheeran leitet als Exekutivdirektorin das Welternährungsprogramm der Vereinten Nationen, das dort Lebensmittel verteilt.
Den Hunger der Welt in das Rampenlicht der Öffentlichkeit zu rücken, das ist die wohl wichtigste Aufgabe von Sheeran. Damit kennt sich die frühere Journalistin aus: Auf Pressekonferenzen überrascht sie mit knackigen Sätzen, sie weiß, was Medienvertreter hören wollen. Auch vor drastischen Formulierungen schreckt die US-Amerikanerin nicht zurück: Im Jahr 2008 nannte sie die Lebensmittelkrise einen
einen „stillen Tsunami“, zwei Jahre später sagte sie, es sei „nahezu kriminell“, wenn die Weltgemeinschaft nichts gegen das Leid hungernder Kinder unternehme.Genützt haben diese deutlichen Worte wenig. Im vergangenen Jahr hungerten 925 Millionen Menschen, schätzt die UN-Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation FAO, 2011 könnte diese Zahl durch die Hungersnot in Somalia noch steigen.Die Staaten sehen genau hinSheerans Welternährungsprogramm (WFP) liefert nach eigenen Angaben Essen für rund 100 Millionen Menschen in 75 Ländern. Vor fast 50 Jahren gegründet, bezeichnet sich das WFP heute als weltgrößte Hilfsorganisation. Sheeran ist Chefin von knapp 11.000 Mitarbeitern und kann über ein Jahresbudget von knapp vier Milliarden US-Dollar verfügen. Zum Vergleich: Die nichtstaatliche Entwicklungsorganisation Oxfam beschäftigt 10.000 Menschen und setzt pro Jahr eine Milliarde US-Dollar um.Direktorin einer so großen Organisation zu sein, das bedeutet Macht, aber auch Verantwortung. Die Öffentlichkeit und die geldgebenden Staaten sehen genau hin, wenn das WFP in die Kritik gerät. Im Vorjahr ging ein Report an den Weltsicherheitsrat, darin heißt es, in Somalia komme nur die Hälfte der Lebensmittelhilfe bei den Bedürftigen an. Die anderen 50 Prozent würden von korrupten Geschäftsleuten und islamistischen Rebellen abgezwackt. Sheeran musste das WFP verteidigen: „Es gibt dafür null Beweise.“Die US-Regierung hielt Millionen von Dollar zurück. Erst nachdem eine unabhängige Untersuchung die Vorwürfe entkräftigte, bekam das WFP die zugesagten Hilfsgelder. Außer dem möglicherweise angekratzten Image habe der Sicherheitsrat-Report keine langfristigen Folgen gehabt, heißt es beim WFP.Aufstieg unter George W. BushDer Draht zur US-Regierung ist ohnehin sehr eng: Bis zu ihrem Amtsantritt als WFP-Exekutivdirektorin im April 2007 arbeitete Sheeran als Staatssekretärin im US-Außenministerium, zuständig unter anderem für Entwicklung, Handel und Landwirtschaft. Zuvor war sie in der Handelsvertretung der Vereinigten Staaten tätig – einer Agentur, die der Regierung unterstellt und für die internationale Handelspolitik der USA zuständig ist. Dort verhandelte Sheeran auch mit Entwicklungsländern, um deren Märkte für die US-Wirtschaft zu öffnen.Ihren Aufstieg hat sie wohl ihrer politischen Einstellung zu verdanken: Sheeran gilt als überzeugte Anhängerin der rechtskonservativen Republikaner, die mit George W. Bush als Präsident von 2001 bis 2009 regierten. Bush persönlich soll Druck gemacht haben, um Sheeran in das Amt der WFP-Direktorin zu hieven. Er hat damals angeblich gegenüber dem FAO-Generaldirektor Jacques Diouf und dem angehenden UN-Generalsekretär Ban Ki Moon mit Finanzkürzungen gedroht, sollte Sheeran abgelehnt werden.Und Bush hatte Macht: Die USA bezahlen fast das halbe Welternährungsprogramm. Auch die zwei Vorgänger von Sheeran waren US-Bürger, seit nunmehr fast 20 Jahren stellen die Vereinigten Staaten die WFP-Spitze. Neben Sheeran galt 2006 auch Walter Fust als aussichtsreicher Kandidat, er leitete im Schweizer Außenministerium die Abteilung für Entwicklungszusammenarbeit. Als Sheeran durchgesetzt wurde, war die Freude in der Bush-Administration offenbar so groß, dass die Ernennung nicht von der UNO selbst verkündet wurde, sondern vom damaligen US-Botschafter bei den Vereinten Nationen, John Bolton. Er sagte, Sheeran sei für die Aufgabe „außerordentlich gut qualifiziert“.Immer weniger GeldDer Wechsel zum WFP war für die Amerikanerin nicht bloß ein Karrieresprung. Persönliche Gründe dürften eine ebenso große Rolle gespielt haben: Ihr Vater James organisierte kurz nach dem Zweiten Weltkrieg Lebensmittellieferungen für die hungernden Menschen in Frankreich. Als Militärfallschirmspringer der Alliierten landete er am D-Day in einer französischen Kleinstadt.Heute hat Josette selbst drei Kinder und organisiert den Hilfseinsatz in Somalia. 172 WFP-Mitarbeiter sind direkt vor Ort, 150 weitere arbeiten von der kenianischen Hauptstadt Nairobi aus. Nach WFP-Angaben werden dort 1,5 Millionen Menschen mit Nahrungsmitteln versorgt, 2,2 Millionen weitere bräuchten ebenfalls Hilfe, werden aber nicht erreicht – vor allem wegen der islamistischen Milizen im Süden des Landes, heißt es beim WFP.Das UN-Programm hat aber auch mit mangelnden Finanzressourcen zu kämpfen. Seit 2008 verlangen die Staaten vom WFP zwar immer teurere Einsätze, geben aber immer weniger Geld. Jahr für Jahr klaffen die Zahlen weiter auseinander. Das ist nicht unbedingt Sheerans Schuld: In Zeiten der Finanzkrise sind die Staaten nicht gerade spendierfreudiger geworden. Für die Hungernden macht es das nicht besser: Jeder siebte Mensch geht Nacht für Nacht hungrig ins Bett. Für Sheeran gibt es noch viel zu tun. Ob sie im nächsten Frühjahr erneut für das Amt der WFP-Direktorin kandidiert, ist noch unklar.