Billiger, aber ohne Erfahrung

Integration Seit Mai 2010 muss die Vermittlung schwerbehinderter Erwerbsloser bundesweit ausgeschrieben werden. In der Praxis führt das zu Problemen

Die Gruppe, um die es geht, ist klein, aber betreuungsintensiv. Menschen, die zu mindestens 50 Prozent schwerbehindert sind und Arbeitslosengeld II beziehen, haben die Jobcenter bis Mai 2010 an die Integrationsfachdienste (IFD) überstellt. Sie sollten die Betroffenen in Arbeit vermitteln, sie weiterbilden und ihre Arbeitgeber unterstützen.

Nach einer Gesetzesänderung müssen die Jobcenter die Vermittlung von schwerbehinderten Hartz-IV-Empfängern jetzt jedoch bundesweit ausschreiben. Damit verloren viele Integrationsdienste ihren Auftrag an billigere private Bildungsinstitute.

Das ist ein Problem. Denn die Aufgaben, um die es hier geht, sind herausfordernd und verlangen Fingerspitzengefühl, wie Annemarie Stückenschneider vom IFD Münster beschreibt: "Wenn wir einen hörbehinderten Aussiedler betreuen, der weder schreiben kann noch die Gebärdensprache beherrscht, ist es erst mal schwer, mit ihm überhaupt in Kontakt zu treten. Man braucht sehr viel Erfahrung, um so jemanden in einem Arbeitsfeld einzusetzen, in dem seine Einschränkung nicht so zum Tragen kommt."

Der IFD berät auch den Arbeitgeber, etwa darüber, wie man Gehörlose vor Unfällen schützen kann. Im Laufe von 23 Jahren, so Stückenschneider, habe sich der IFD Münster ein sehr komplexes Wissen angeeignet und sei über alle Arten von Behinderungen stets auf dem neuesten Stand. Es gebe Experten für Sehbehinderte, für Hörbehinderte - und für die größte Gruppe, die psychisch Kranken. Gerade bei ihnen sei es wichtig, Ängste abzubauen. Nicht nur auf Seiten der Erkrankten, sondern auch auf Seiten ihrer künftigen Arbeitgeber, wie Stückenschneider betont.

Ein erfolgreiches Konzept: Bis 2009 hat der IFD jährlich überprüft, was aus seinen ehemaligen Schützlingen geworden ist. Drei von vieren waren noch am Arbeitsplatz. Bundesweit haben die Integrationsfachdienste laut Jahresbericht 2009 mehr als 7.300 Menschen in den ersten Arbeitsmarkt vermittelt, die Tendenz der vergangenen sechs Jahre ist steigend.

Uwe Brummerloh, Leiter des Bereichs Markt und Integration beim Münsterschen Jobcenter, sagt: "Wir hätten gerne weiterhin mit den erfahrenen Kräften vom IFD zusammen gearbeitet, aber das ist leider nicht möglich, weil der Gesetzgeber den IFD nicht mehr bevorzugt. Darüber können wir uns nicht hinwegsetzen."

Immer wieder neue Ansprechpartner

Auch Frank Schmidt (Name geändert) empfindet die neue Gesetzeslage als wenig sinnvoll. Der 30-Jährige lebt im Kreis Steinfurt und ist seit dem Ende seiner Ausbildung zum Bürokaufmann vor fünf Jahren arbeitslos. Eine autistische Behinderung erschwert es ihm, auf dem Arbeitsmarkt Fuß zu fassen. Dass die Integrationshilfe alle paar Jahre neu ausgeschrieben werden soll, erscheint ihm als widersinnig: "Wir, die wir ohnehin schon Einschränkungen haben, müssen uns dann immer wieder an neue Institutionen gewöhnen und unbekannten Ansprechpartnern unsere persönliche Geschichte offenbaren. In zwei oder drei Jahren kann wieder jemand anders den Zuschlag kriegen."

Die Politik hat das Problem erkannt: Bereits im April hatte sich der Bundesrat auf Initiative des Bundeslandes Rheinland-Pfalz fast einstimmig dafür ausgesprochen, von der Praxis der öffentlichen Ausschreibung abzuweichen und wieder die Integrationsfachdienste mit der Vermittlung zu betrauen. Die Bundestagsfraktionen von SPD und Grünen haben Anträge gestellt, die in die gleiche Richtung zielen; im Juli lud der Bundestags-Ausschuss für Arbeit und Soziales zu einer öffentlichen Anhörung.

Auch die CDU sieht den Änderungsbedarf, hat sich allerdings noch auf keinen Standpunkt festgelegt. Maria Michalk, die für die CDU-Bundestagsfraktion im Ausschuss für Arbeit und Soziales sitzt, erklärt: "Wir wollen die Bundesagentur zu den Praxiserfahrungen anhören und den Sachverhalt weiter diskutieren."

Wettbewerb, so Michalk, sei durchaus angebracht. "Wir finden aber, dass Vermittlung und Beratung aus einer Hand kommen sollten." Ein gangbares Modell wäre nach ihrer Ansicht die beschränkte Ausschreibung. "Oder man schreibt öffentlich aus, dann sollten aber die Vermittlungsraten bei der Zuschlagerteilung stärker ins Gewicht fallen. Bisher wurden diese Ergebnisse nicht berücksichtigt. Billig ist nicht immer gut." Wer erfolgreich vermittelt, hätte Vorteile – ein Plus für die erfahrenen Integrationsfachdienste.

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