Es war ein kalter und nasser Tag im Dezember 2001. Ich besuchte gerade den Hauptsitz von DaimlerChrysler Financial Services in Berlin. Kurz zuvor hatte ich dort einen Managerposten aufgegeben. Ich traf mich mit einem Kollegen und hatte gegen den eiskalten Berliner Wind meinen Palästinenserschal umgewickelt und trug eine Wollmütze auf dem Kopf. Als wir uns der Tür zur Vorhalle näherten, zuckte die Sicherheitsbedienstete – eine reizende Dame aus der ehemaligen DDR – sichtlich zusammen und trat zwei Schritte zurück. „Oh Gott! Sie sind es, Herr Baker.“ Sie war atemlos und schrie fast. „Ich dachte gerade, es ist Zeit zu sterben!“ Da wurde mir klar, dass meine Zeit als im Westen lebender arabischer Moslem gekommen war.
Spulen wir vor bi
wir vor bis zum heißen Sommer 2011: Die Terroristen haben es schließlich geschafft, dass ich gegen meinen Willen gewohnte Verhaltensmuster geändert habe. Ich kann nichts dagegen tun, mich packt große Angst, wann immer ich einen von ihnen sehe. Leute, die ihre Waffen im Namen Gottes schwingen, jagen mir einfach einen höllischen Schrecken ein, denn mit solchen Menschen lässt sich nicht diskutieren. Sie besitzen, modern gesprochen, die beste Breitbandverbindung zu dem Mann da oben, sie sind Leute mit einem göttlich-schnellen Flatrate-Vertrag, der erst mit dem Tod endet. Töten im Namen von ... Sie laden nicht hoch. Sie laden nach.Wann immer ich also einen weißen, blonden, blauäugigen Europäer sehe, wechsle ich die Straßenseite. Wenn ich ein Flugzeug besteige, hoffe ich, dass kein Hans neben mir sitzt. Wenn ich an einem sonnigen Nachmittag im Park den Grill anzünde, bete ich, dass sich nur olivenhäutige, Knoblauch essende Familien in der Nähe befinden. Ich meine, man weiß ja nie, wann ein zweiter Anders Breivik auftaucht, oder?Die Mutter aller MauernSeit 9/11 stehe ich auf der anderen Seite dieser Gleichung. Als Amerikaner palästinensischer Herkunft wurde ich einer Musik ausgesetzt, die ich weder komponiert habe noch jemals wollte, noch verdient habe, hören zu müssen. Nur weil ich Gitarre spiele, bedeutet das noch lange nicht, dass ich verantwortlich bin für musikalische „Verbrechen“, die Dieter Bohlen oder Good Charlotte begangen haben.Es wurde immer demütigender, wie regelmäßig ich an Flughäfen „zufällig“ zur Überprüfung herausgepickt wurde. Es kam soweit, dass ich mich an den seltenen Tagen, an denen ich wie jeder andere einfach weitergehen durfte, noch bedrohter fühlte. Fragen durchfluteten mein Hirn: „Sind diese Kerle eigentlich kompetent?“ Ich möchte genauso sicher sein wie der Typ neben mir, verdammt noch mal! Es geht hier um MEINE Sicherheit!Als ich fürchtete, dass die Welt – zumindest meine Welt als dunkelhäutiger und lockenhaariger Moslem – zusammenbrechen würde, traf ich 2003 die verrückte Entscheidung, mit meiner Frau und den Kindern nach Palästina zu ziehen. Immerhin bestand die minimale Chance, dass wir irgendwas ein bisschen besser machen könnten ... Ja, sicher. Es war die Zeit von Präsident W, von Bulldozer Ariel Sharon, von Invasionen und Übergriffen und einem zunehmend isolierten JaSir Arafat.Auf der Suche nach einer Lösung machten wir uns also auf in die wilde Westbank. Wir verließen Berlin, die Stadt der gefallenen Mauer, und gingen nach Ramallah, die Stadt, die dabei war, die Mutter aller Mauern zu bekommen. Als dann die privaten israelischen Baufirmen kamen, bewaffnet bis an die koscheren Zähne – oder nicht ganz koscheren, da viele von ihren Angestellten eher rumänisch aussahen oder thailändisch –, und begannen, die Straße aufzureißen, die so viele Jugenderinnerungen in sich trug, um die Betonfundamente zu gießen, konnte ich nicht anders, als mich 50 Jahre zurückversetzt zu fühlen, ins Berlin des Jahres 1961. Andererseits bauten die immer korrekten (Ost-)Deutschen ihre Monstrosität auf ihrer Seite der Grenze, während Israel so viel palästinensisches Land an sich riss, wie es konnte.Eingequetscht im "versus"Mauern, Sicherheit, Selbstmordattentate, unsere Lebensweise, al-Qaida muss aufgehalten werden! Fürchte dich nicht, Amerika, Israel ist auf deiner Seite! Die Anschläge vom 11. September machten Israel das größte Geschenk seit dem gelobten Land. Es war „Us versus Them“ – Wir gegen die Anderen, und die Glücklichen wie ich landeten eingequetscht in dem „versus“. Es machte auch keinen Unterschied, dass alles in unseren Körpern, Seelen und unserem Sein uns direkt in der Mitte der US-Seite platzierte: die Tatsache, dass wir mit der Sonnenbräune geboren waren, die sie immer haben wollten, Richtung Mekka beteten und keine Angst davor hatten (oder es zumindest nicht zugaben), zu sagen, dass wir nicht mit allem übereinstimmten, was auf Fox News gesendet wird – all das bedeutete, dass wir es mit „Them“ hielten. Einen Ausweg schien es nicht zu geben.Nicht, dass wir es nicht versucht hätten! Als Anhänger vom größten und letzten Propheten Mohammad war ich sicherlich ein eher gentrifiziertes Beispiel. Ich war ein Amerikaner der dritten Generation, verheiratet mit einer deutsch-palästinensischen Christin, die sowohl den israelischen als auch den deutschen Pass besitzt. Ich entwickle Unternehmensstrukturen und Zentralbanken, anstatt Busse und Gebäude in die Luft zu sprengen. Ich spreche drei Sprachen, von denen ich Arabisch definitiv am schlechtesten beherrsche, und vor allem: Ich singe und spiele Gitarre in einer Rockband. Wie wenig bedrohlich kann man noch sein, Bruder? Al-Qaida? Ich? Du musst verrückt sein. Aber was die Sesselpatrioten vielleicht am meisten fuchste, war, dass ich mich immer genauso geweigert habe, mich mit der sich selbst hassenden Arabersorte à la Fouad Ajami ins gleiche Boot zu setzen. Beides ist nicht mein Ding.Schließlich lebten und liebten wir Palästina (diese Erfindung unserer überaktiven Imagination) und erduldeten vier Jahre die wundervolle Misere, der israelischen Bürokratie ausgeliefert zu sein. Im August wurden wir kurzerhand gemeinsam mit Tausenden anderen palästinensischen und ausländischen Arbeitskräften aus dem Land geschmissen. Wir packten zusammen und machten uns wieder auf nach Berlin. Zumindest hatten wir US- und EU-Pässe und die Fähigkeit, woanders unseren Lebensunterhalt zu verdienen. Deutschland ist im Grunde genommen nicht schlecht, wirklich gar nicht so schlecht.Ein düsterer Morgen im Januar 20119/11 begann für uns in den Hintergrund zu treten wie ein schlechter Traum. Die Tragödie dieses Tages versank gemeinsam mit Hunderten und Tausenden anderer Tragödien im Nahen Osten im Sonnenuntergang unserer von Nachrichten verdorbenen Gehirne. Die Kinder wuchsen heran, die Firma lief gut, und das Sauerkraut war essbar. Bis eines düsteren Morgens im Januar 2011 die Illusion der Vernunft über uns zusammenbrach.Während ich in den USA war, stürmte eine maskierte, schwer bewaffnete deutsche Spezialeinheit unsere Wohnung in unserer sehr gutbürgerlichen Berliner Nachbarschaft. Und zwar – verdammt noch mal – um halb sieben Uhr morgens! Sie suchten mich, weil irgendein hergelaufener Idiot behauptet hatte, ich hätte ihn fünf Monate zuvor an einer Tankstelle mit einer Pistole bedroht. Dass dieser Mann, ein älterer Deutscher aus einer anderen Zeit, überhaupt keine Beweise, keine Zeugen (es war eine gut besuchte Shell-Tankstelle mitten in der Stadt) hatte, war nicht von Bedeutung. Dass dieser schreckliche Lügner die Polizei erst mehr als zwei Monate nach dem angeblichen „Vorfall“ davon informierte, war auch irrelevant. Was zählte war seine Behauptung, ich sei ein „großer, dunkler, arabisch aussehender Mann mit dicken schwarzen Haaren und einer Lederjacke“. Egal, dass mein Haar eher nach Michael Jordan als nach Michael Jackson aussieht und ich überhaupt keine Lederjacke besitze, von einer Waffe mal ganz abgesehen. Der 11. September und die Angst, die er erzeugte, leben weiter.Ich würde die ganze Geschichte wahnsinnig gerne umdrehen, um zu sehen, was passiert. Aber, um ehrlich zu sein, würde ich hoffen, dass mich die Polizei aus der Wache wirft, denn die Nachwirkungen des 11. September und die Anschläge in Norwegen sollten durch die Wahrheit ausgelöscht werden. Es ist „Us vs Them“. Aber die Seiten werden nicht – und wurden auch noch nie – von Religion, Ethnie oder Nationalität definiert oder danach, ob jemand Justin Bieber mag. Sie werden dadurch definiert, sie nicht nach diesen Kriterien zu definieren.
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