Papstrede Ein Papst spricht im Bundestag: welch eine Sprecherposition! Doch über die eigentlich interessanten Fragen sprach er nur hinter verschlossenen Türen mit der Kanzlerin
Wenn etwas berichtenswert ist an der Rede des Papstes im Bundestag, dann dass er seine Rednerolle selbst offensiv bestimmt hat. Zu dem Streit, den es gab, haben somit beide Seiten Stellung genommen: die Gegner des Auftritts, indem sie ihm fernblieben - und man war so ehrlich, die leeren Bänke auf der linken Seite nicht aufzufüllen -, der Papst aber, indem er die Deutung seines Besuchs im Bundestag durch die CDU nicht übernahm. Deren Begründung war gewesen, dass er schließlich Oberhaupt eines Staates sei, des Vatikanstaats, und es schon vor ihm 33 Staatsmänner aus aller Welt gegeben habe, die vor dem Bundestag eine Rede hielten. Benedikt indes, so formulierte hinterher Gregor Gysi, sprach als das Oberhaupt der Kirche.
Aber das ist noch zu wenig gesagt. Der Papst
Der Papst verschwieg nicht, dass sich das Oberhaupt der Kirche anders zu dem Staat, der einlädt, verhält als das Oberhaupt irgendeines Staates. Denn die Kirche ist nach ihrem Selbstverständnis auf die Staatenwelt aktiv bezogen. Sie ist ihr Gegenüber. Daraus ergeben sich Macht- und Kompetenzgrenzen (die Kirche hat in die Politik nicht einzugreifen) wie auch Kommentierungsrechte und -pflichten (sie soll laut sagen, selbst um den Preis der Martyriums, was ihr wahr zu sein scheint). Benedikt machte das deutlich, indem er gleich einleitend den Heiligen Stuhl "als Partner" der Staatenwelt bezeichnete und im selben Atemzug ankündigte, er wolle über die Grundlagen des Rechts und die Aufgaben der Politiker sprechen.Da hat er, mit einem Bibelwort zu sprechen, das Licht der Kirche nicht hinter den Scheffel gestellt. Die Frage ist nur, wie hell dieses Licht denn leuchtet. Ein Papst spricht im Bundestag: welch eine Sprecherposition! Was könnte so eine Gelegenheit für Folgen haben, wenn da jemand stünde, der etwas zu sagen hätte! Und nun muss man noch wissen, daß da ein Mann stand, der auch gelegentlich dazu aufruft, Karl Marx wieder zu lesen. War es da nicht sinnvoll, den Abgeordneten die Leviten zu lesen? Er hatte vorher bereits mit der Kanzlerin gesprochen, und zwar, nach Angela Merkels Worten, "über die Finanzmärkte" und "die Tatsache, dass die Politik schon die Kraft haben sollte, für die Menschen zu gestalten und nicht getrieben zu sein". Wenn er sich nun anschickte, eine Rede über die Aufgaben der Politiker zu halten, wäre das ein naheliegendes Thema gewesen. Wenn westliche Staatsmänner nach China reisen, sprechen sie über Menschenrechtsverletzungen: nicht nur intern mit ihren Gastgebern, sondern auch öffentlich. Der Papst hingegen ging öffentlich nicht über Allgemeinplätze hinaus.Der Papst weiss viel mehr darüber, was falsch läuft, als er sagtEr sagte, es sei die Aufgabe des Politikers, zu erkennen, was das Rechte sei, und danach zu handeln. Wenn Politiker eines Unrechtsstaats sich der Aufgabe nicht stellten, müsse Widerstand geleistet werden. In der Demokratie sei es aber nicht so evident, wo die Grenze zwischen Recht und Unrecht verlaufe. Nun folgte eine Vorlesung darüber, dass Europa, "das Abendland", in Jerusalem, Athen und Rom seine geistigen und rechtlichen Quellen habe und dass daraus eine bleibende Richtschnur des Denkens und Handelns hervorgegangen sei. Es habe nämlich immer gegolten, dass Natur und Vernunft, auch praktische, also moralische Vernunft zusammengehörten, Sein und Sollen nicht getrennt werden könnten. Dagegen stehe heute der Positivismus, der alles aufs Funktionieren reduziere. Man müsse zur alten Sicht zurückkehren, zum "Naturrecht", das heute fälschlich als katholische Sonderlehre angesehen werde. Ja, es gebe welche, die das schon getan hätten - die Ökologen. Die ökologische Bewegung der 1970er Jahre sei ein Schrei nach Vernunft gewesen, jener Vernunft, die mit der Natur im Bunde sei. Mit dem Zusatz, es sei ja klar, dass er nicht für eine bestimmte Partei Propaganda machen wolle, erntete der Papst Heiterkeit.Es geht tatsächlich darum, wie man das Verhältnis von Funktionieren und Ökologie bestimmt, beim Stuttgarter Bahnhofsstreit etwa und in aller Weltpolitik. Aber das wussten wir bereits. Und der Papst selbst weiß viel mehr darüber, was falsch läuft, als er sagt. Warum sagte er den Abgeordneten nicht, wie groß der Umweltraum der Bundesrepublik Deutschlands ist und wie schnell daher wieviel Anspruch auf Schadstoffausstoß zurückgenommen werden muss? Es ist freilich für einen Papst in der heutigen Zeit nicht leicht, konkret zu werden, wenn es um das Verhältnis von Natur und moralischer Vernunft geht. Denn da würden sich gleich auch andere Themen aufdrängen: die Missbrauchsfälle, der Kondomgebrauch. Die Kirche scheint nicht unbedingt die klügste Institution zu sein, von der wir über das Verhältnis von Natur und vernünftiger Moral Aufschluss erwarten dürfen.Aber abgesehen davon ist es auch typisch, dass der Papst knifflige politische Fragen allenfalls mit der Kanzlerin hinter verschlossenen Türen, nicht aber vor der Öffentlichkeit anspricht. Die Kirche hält es heute nicht mehr mit den Faschisten. Aber das Übel der faschistischen Zeit, dass sie sie sich vorwiegend als "Partner" der Mächtigen sieht, hat sie in unsere demokratische Zeit hinübergerettet.
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