Griff zum Reparaturbesteck

EFSF-Abstimmung Der Bundestag steht mit seinem Votum zum deutschen Anteil bei der Euro-Rettung vor einem Beschluss, der notwendig, aber genau genommen schon wieder überholt ist

Wie sollten wir es sehen, das deutsche Parlament, vor dieser Entscheidung des jetzt oder nie, des alles oder nichts? Als demokratischen Souverän, der so entscheidet, wie er will? Oder wie er muss, weil es an Alternativen fehlt? Verweigert Deutschland den Anteil seiner 211 Milliarden Euro Bürgschaft für das insgesamt 440 Milliarden schwere Finanzpaket des Euro-Stabilisierungsfonds (European Financial Stability Facility/EFSF) wäre der Euro zwar nicht am Ende, aber angeschlagen wie nie zuvor und jeder Anspruch auf einen berechenbaren Umgang mit der Schuldenkrise verwirkt. Die hat ein Stadium erreicht, dass sie gleich mehreren Euro-Staaten – nicht nur Griechenland – die Luft zum Atmen nimmt und die ökonomische Existenz zu kappen beginnt.

Von daher kommt es sehr wohl darauf an, wie in Berlin die Regierungsparteien votieren, ob geschlossen oder nicht. Nur wenn klar erkennbar wird, die Exekutive des tonangebenden Eurostaates verfügt über genügend Vertrauen im eigenen Lager und im eigenen Land, werden die Investoren auf den Finanzmärkten darauf vertrauen, dass die mit dem Rettungsfonds verfügbaren Bürgschaften auch gezahlt werden, falls nötig. Man kann es auch so formulieren: die Gläubiger – Banken, Investmentfonds, Versicherungen – wollen wissen, ob sie an ihren Schuldnern großen oder weniger großen Schaden nehmen oder gar weiter an ihnen verdienen. Es hat sich herumgesprochen, dass Griechenland gerade tot gespart wird und als Staat nur solvent bleibt, solange die Troika aus Internationalem Währungsfonds (IWF), Europäischer Zentralbank (EZB) und EU-Kommission das zulässt. Ein Vabanque-Spiel, bei dem außer Zweifel steht, dass es irgendwann den großen Schuldenschnitt geben muss! Eher früher als später. Um so unverzichtbarer sind die Bürgschaften der Euro-Staaten, um so höher müssen sie sein.

Nothilfe mit Verfallsdatum

Schon drängt die US-Regierung, mehr für die Schlagkraft des Rettungsfonds zu tun. Er sollte nicht bei 440 Milliarden Euro verweilen, stattdessen mindestens bei der Garantiesumme von 750 Milliarden landen, die schließlich im Frühjahr 2010, der Geburtsstunde des EFSF, als unabdingbar galten. Das heißt, was der Bundestag am 29. September 2011 voraussichtlich mit großer Mehrheit verabschiedet, kommt einer Nothilfe mit schnell ablaufendem – oder schon abgelaufenem – Verfallsdatum gleich. Es ist mehr Psychologie als Finanzökonomie. Allein schon deshalb, weil das Parlament als Nachzügler handelt und etwas beschließt, was notwendig, aber genau genommen schon wieder überholt ist. Als sich der EU-Gipfel vom 21. Juli darauf einigte, den Rettungsfonds aufzustocken und mit erweiterten Aufgaben zu versehen – da war die Lage der Großschuldner Italien und Spanien kaum so prekär wie im Moment und besagte Troika in Athen nicht abgeblitzt.

Wenn das Parlament den Ereignissen hinterher stolpert, ist das auch ein Symptom dafür, dass die Europäischen Union bisher den großen Wurf schuldig blieb, um die Ursachen der Euro- und Schuldenkrise einzudämmen. Der Rettungsfonds liefert bestenfalls das Reparaturbesteck, kein Therapieprogramm. Seine Bürgschaften versetzen erodierende Eurostaaten in die Lage, als öffentlicher Schuldner ihren privaten Gläubigern zu versichern: Wie pleite wir auch immer sein mögen, gegen den großen Crash sind wir gefeit. Bekanntlich ist ein Land nicht dann insolvent, wenn seine Kassen leer sind. Erst wer keinen Kredit mehr bekommt, weil es an Sicherheiten fehlt, steht mitten im Bankrott. Dieser höheren Rationalität (oder Irrationalität) des Finanzmarktes wird das Parlament Tribut zollen müssen – ob es will oder nicht – und das garantiert nicht zum letzten Mal. Die Demokratie als Schatten ihrer selbst? Nein, schlimmer, als Schatten ohne Selbst.

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Geschrieben von

Lutz Herden

Redakteur „Politik“, zuständig für „Ausland“ und „Zeitgeschichte“

Lutz Herden studierte nach einem Volontariat beim Studio Halle bis Ende der 1970er Jahre Journalistik in Leipzig, war dann Redakteur und Auslandskorrespondent des Deutschen Fernsehfunks (DFF) in Berlin, moderierte das Nachrichtenjournal „AK zwo“ und wurde 1990/91 zum Hauptabteilungsleiter Nachrichten/Journale berufen. Nach Anstellungen beim damaligen ORB in Babelsberg und dem Sender Vox in Köln kam er Mitte 1994 als Auslandsredakteur zum Freitag. Dort arbeitete es von 1996 bis 2008 als Redaktionsleiter Politik, war dann bis 2010 Ressortleiter und danach als Redakteur für den Auslandsteil und die Zeitgeschichte verantwortlich.

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