Die internationale Presse ist in Syrien ausgesperrt. Sie bekommen keine Visa mehr, in die umkämpften Zentren des Landes werden sie nicht mehr vorgelassen. Stattdessen übernehmen Bürgerjournalisten, Aktivisten und Oppositionelle die Berichterstattung via Internetvideos und Skype- und Handygesprächen.
Die Videos haben oft ähnliche Inhalte: es sind verwackelte Bilder verletzter und toter Körper, schreiende Menschen, brennende Häuser und Bombenangriffe und hochemotionale Augenzeugenberichte meist vermummter Syrer. Dazu kommen Bilder aus den Krankenhäusern und von Massenbeerdigungen. Fernsehsender wie ARD oder ZDF fügen verschiedene Videoaufnahmen zu einer eigenen Dramaturgie zusammen. Schockieren dürfen die Bilder allemal; blutgetränkte Str
8;nkte Straßen sind noch innerhalb der Grenzen des Zeigbaren, Aufnahmen von Mörsergranaten entstellter Körper und Köpfe werden verpixelt oder herausgeschnitten. Begleitet werden die Videos oft von den analytischen Kommentaren der Auslandskorrespondenten aus sicherer Entfernung, zum Beispiel hinter der türkischen Grenze, die nicht vor Ort sein können. Das syrische Staatsfernsehen zeigt Bilder ganz anderen Inhalts. Friedliche Straßenszenen in Endlosschleife sollen die Lage verharmlosen. Berichte von Massakern seien schlicht erlogen, heißt es dort.Als Quelle blenden die Nachrichtensender meist „Amateur-Video“ oder „Internet-Video“ am Bildrand ein, genauere Angaben erfolgen fast nie. Stattdessen erklären die Sprecher: „Die Bilder, die uns aus Homs erreichen..., Internetvideos zeigen..., Amateurvideos zeigen..., Menschen, die Videos per Internet senden...“. Die Videos stammen von Kanälen auf Youtube wie „syrian4all“, auf dem die Bilder verschiedener Aktivisten zusammenlaufen; dort sind auch die Szenen zu sehen, die von den Nachrichtensendern nicht mehr gezeigt werden. Der Kanal „Syrian Revolution“ von „FreeMediaSyria“ versammelt wiederum die Berichterstattungen verschiedener arabischer Nachrichtensender, die teils analytischeren Charakters sind. Die Urherber dieser hauptsächlich arabischen Videodatenbanken, sind nicht ausfindig zu machen; aus gutem Grund. Viele Blogger und Aktivisten schützen ihre Identität aus Angst vor der Verfolgung durch das Regime. Trotzdem muss die Frage erlaubt sein: wer kann eine glaubwürdige Berichterstattung garantieren?Anders der Blogger Danny Dayem. Der Brite syrischer Herkunft gehört zu den nicht ausgebildeten Bürgerjournalisten, die vor Ort berichten, und ihre Videos über das Internet bereitstellen. Unter Nicknames wie tchie91 oder syrian4allworld (der offensichtlich mit dem gleichnamigen Youtubekanal vernetzt ist), werden die Videos hochgeladen und über Facebook, Twitter und schließlich die Nachrichtendienste weiter verbreitet. Dayem dokumentiert die Gräueltaten in Syrien, steigt in Krankenwagen ein und kommentiert die Lage vor Ort. Er ist außerdem zum Korrespondenten vor Ort für Sender wie BBC oder CNN geworden; dort skypt er live in den Nachrichtensendungen, nebenher werden die Amateurvideos zur Bebilderung der Lage gezeigt.Auch die Tagessschau greift auf Dayem zurück. „Seine Informationen sind für uns nicht nachprüfbar, aber seine Verzweiflung scheint echt zu sein.“, wird eines seiner Videos kommentiert. (link) Authentizität über Emotionalität zu erwecken scheint eines der wichtigsten Antriebsmotoren der Inszenierung der Bilder in den Nachrichten zu sein. Paradoxerweise ist die Authentizität gleichzeitig meist nicht eindeutig belegbar – die einzigen Anhaltspunkte, woher die Bilder kommen und von wann sie stammen, bieten Datum und Ort des Update. Eine wirklich verlässliche Quellenlage der Videos, die durch das Netz geistern, ist nur sehr selten gegeben.Das Filmkollektiv Abou Naddara sucht eine Alternative zu diesen gewalttätigen und teils dekontextualisierten Bildern. Sie drehen Kurzfilme, welche die gewaltfreie Seite der Revolution hervorheben und dem Voyeurismus der blutigen Szenen etwas entgegensetzen. Charif Kiwan, Sprecher des Netzwerkes, spricht von einer „problematischen Reaktion“, die beim Zuschauer durch die blutige Brutalität in den Nachrichten ausgelöst wird. Die Zuschauer sollen „nicht nur wegen dieser beklagenswerten Bilder solidarisch mit der syrischen Revolution sein,“, fährt er fort, „denn sie ist vielmehr als das“. Die Kurzfilme variieren in ihrer kreativen Bandbreite von stillen Alltagsszenen über kleine animierte Filme. Auch dieser leise Widerstandfür die Freiheit der Syrer wird über das Netz verbreitet: Abou Naddara veröffentlicht seine Kurzfilme über die eigene Webseite und Facebook.