Sixt adelt den Protest

Kampagnenkritik Wer politisch etwas zu melden hat, wird irgendwann in einer Werbekampagne des Autovermieters benutzt. So ging es Merkel und Schröder – und nun der Castor-Protestbewegung

Im Wendland kommen sehr viele Menschen zusammen, um gemeinsam – tendenziell lager-, generationen- und milieuübergreifend – gegen die Castor-Transporte zu protestieren. Wie nennt man es im Fachjargon der Werbung, wenn sehr viele Menschen, die nicht unbedingt viel gemeinsam haben müssen, auf einem Fleck zusammenkommen? Man nennt das: riesige Zielgruppe.

So betrachtet liegt die Idee des Autovermietungsunternehmens Sixt nahe: Es warb dieser Tage vor Ort mit Transparenten, beschrifteten Pullovern und Flugblättern bei den Castor-Protesten für seine Transporter-Sparte – mit dem Slogan: "Stoppt teure Transporte! Mietet Van von Sixt!" Auf einem Handzettel, der hinter Scheibenwischer gesteckt wurde, stand: "LKW statt AKW!" Medienaufmerksamkeit gibt es sogar gratis.

"Das hat es in der deutschen Werbegeschichte noch nicht gegeben: Werbung bei einer Protestveranstaltung", heißt es im Firmenblog. "In einer beispiellosen Guerilla-Aktion haben sich dazu kurzerhand einige Anhänger der Pullacher' 'Van'-Sparte unter die Castor-Gegner gemischt um dort ihre, als Castor-Protest getarnte, Botschaft zu platzieren."

Die Aktion ist auf den ersten Blick empörend: Ein Autovermieter nutzt die große Bühne des Protests, der irgendwann einmal zur Energiewende führen soll, um für sich zu werben. Man muss Sixt für den Mut bewundern – man kann sich mit solch einer Aktion in Web-2.0-Zeiten ja auch schnell so viele Gegner machen, dass das Image kippt: Vom Autovermieter mit den frechen Politiker-Kampagnen (wie dieser mit Ulla Schmidt, dieser mit Ursula von der Leyen, dieser mit Angela Merkel oder dieser mit Gerhard Schröder) kann das Unternehmen auch zum Autovermieter mit dem guten Draht zur Energielobby werden. Kann – muss nicht. Aber gegebenfalls sollte man wohl viel Spaß bei der Schadensbegrenzung wünschen.

Bemerkenswert an der Guerillakampagne, gesellschaftlich betrachtet, ist jedoch vor allem die Adelung des zivilen Ungehorsams: Der wird nun offenbar tatsächlich wahrgenommen als relevante Äußerung im gesellschaftlichen Diskurs. Wer politisch etwas zu melden hat in diesem Land, muss damit rechnen, früher oder später von Sixt benutzt zu werden, und die Protestierenden bekommen nun also, nachdem sie viele Jahre lang als Splittergruppe abgetan und links liegen gelassen werden konnten, dieselbe Aufmerksamkeit wie die Politiker in den anderen Sixt-Kampagnen. Man kann die jüngste Kampagne daher auch als Nebenwirkung des Erfolgs der Castor-Proteste verstehen: Sie werden ernstgenommen.

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