Argentinien in Dauerkrise

Wieder eine Staatspleite? Die Peronisten haben die Wahl in Argentinien gewonnen und stellen nun den Präsidenten und die Vizepräsidentin

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Es war keine große Überraschung, dass Alberto Fernández und Cristina Kirchner die Wahlen gewonnen haben. Bereits bei den Vorwahlen im August zeichnete sich ab, dass die Peronisten einen großen Vorsprung in der Wählergunst auf den Amtsinhaber Mauricio Macri haben würden. Das Land befindet sich in einer Dauerkrise und Macri hat alle Versprechen von vor vier Jahren gebrochen und den Karren noch mehr gegen die Wand gefahren.

Erstaunlicherweise sah ich heute Karen Miosga in den Tagesthemen erläutern, dass es ja eigentlich die Peronisten gewesen wären, die Schuld an der Krise hätten. Und die ARD titelt mit: Linksruck in Argentinien. Dazu möchte ich folgende Einwände erheben:

Die Peronisten sind nicht links. Sie stehen weder in der Tradition noch real in einem marxistischen oder bakuninschen Kontext. Perón war im 20. Jahrhundert ein entschiedener Gegner der Sozialisten. Es gibt in Argentinien eine sozialistische Liste, die sich links nennt und in der genannten europäischen Tradition steht. Allerdings hatte Juan Perón, der gewisse Symphatien für den Nationalsozialismus pflegte, eine Ökonomie im nationalsozialistischen Sinne betrieb, einen Populismus und eine Politik geführt, die die Arbeiter und einfachen Leute in den Mittelpunkt stellte. Ähnlich verhält es sich bei den heutigen sogenannten Linksperonisten, doch ihre Wirtschaftspolitik bleibt nationalkapitalistisch, sie haben kein sozialistisches Konzept. Der „Linksruck“ bezieht sich also nur auf den Wechsel der Klassenpolitik, Niedriglöhner und arme Menschen stehen eher im Mittelpunkt bei den Linksperonisten, nicht auf die Art der Ökonomie. Alberto und Cristina selber gehören zu den Reichen, Sie würden sich politisch in der "Mitte" der Gesellschaft verorten, ihre Wahlliste (Partei) nennt sich folglich 'Front für alle', wobei 'Front' ein klassisch politischer Ausdruck in Lateinamerika für 'Partei' ist. Es ist nicht so einfach, komplexe ideologisch-politische deutsche Begriffe wie 'Mitte' und 'links' auf andere Gesellschaften zu übertragen, vor allem, wenn da gewisse europäische Traditionen und Hintergründe fehlen, die solche Begriffe erst prägen. Wenn die Tagesschau von einem Linksruck spricht, bedeutet das weder die Einführung eines sozialistischen Staates, noch dass das Kapital der Reichen angetastet wird. Es ist damit vielmehr der Schwerpunktwechsel von einem tendenziellen Manchesterkapitalismus, der die Reichen bevorzugt, zu einer eher 'sozialen Marktwirtschaft' gemeint, die eher auf einen gesellschaftlichen interessenausgleich setzt. Dabei impliziert der Begriff 'Linksruck' das nicht, Ich halte ihn daher für irreführend, er impliziert eher eine fragwürdige ideologische Disposition der Nachrichtenredaktion der ARD, was die Frage aufwirft: möchte sie grundsätzlich die 'soziale Marktwirtschaft' gegen einen Manchesterkapitalismus eintauschen?

Cristina hatte als Präsidentin viele Geschenke für Leute mit niedrigen Einkommen gemacht, dabei aber die Reichen eher verschont und die Mittelschicht belastet. Das hatte auch zu ihrer Abwahl 2015 geführt. Der Haushalt war damals zwar zerrüttet, viele Wirtschaftsexperten hatten sich gewundert, dass ihre Politik überhaupt halbwegs funktionierte, denn nach den klassischen Lehrbüchern hätte es eigentlich einen kompletten Zusammenbruch geben müssen. Doch eine erneute Staatspleite stand nicht im Raum. Das ganze Wirtschaftsleben war streng reguliert und sie nutzte gern die Gelddruckmaschinen, um ihre Geldgeschenke zu realisieren. Allerdings war die peronistische Finanzpolitik strikt nationalökonomisch autark (mit wenig ausländischen Investoren und wenig merkantilistisch mit strengen Importkontrollen, hier ist auch wieder die Nähe zur nationalsozialistischen Ökonomie zu sehen, von wegen 'Linksruck'), die Staatsverschuldung nach außen war relativ gering. Die strengen Regulierungen, wie z.B. Kapitalverkehrskontrollen, und die durch Schuldenschnitte und Rückzahlungen 2015 relativ niedrige Auslandsverschuldung waren Folgen des desaströsen Staatsbankrotts von 2001, verantwortlich dafür waren damals neoliberale Rechtsperonisten und der IWF. Unter anderem war der heutige Bundesbankchef Jens Weidmann in dieser Zeit für den IWF tätig und hatte mit experimenteller neoliberaler Geld- und Finanzideologie den argentinischen Karren tief in den Dreck gezogen.

Der neoliberale Mauricio Macri trat dann mit den Versprechen an, zu deregulieren, was einem Versprechen zur Normalisierung gleichkam, die hohe Inflation zu senken und insgesamt Wirtschaft und allgemeinen Lebensstandard zu heben. Das alles ist ihm gänzlich misslungen, er hat keines seiner Ziele erreicht, das Land steht desaströser da als vor seinem Amtsantritt.

Merkwürdigerweise findet die Redaktion der tagesthemen, dass dem Präsidenten daran keine Schuld trifft, hatte er doch schon ein Desaster vorgefunden. Eine seltsame Aussage von Frau Mioska, die doch impliziert, dass egal wer regiert aus einem Desaster eh nix mehr werden kann. Warum sich die Nachrichtenredaktion auf die Seite von Mauricio schlägt, anstatt Neutralität bei einem außenpolitischen Thema zu waren, finde ich als Zahler der höchsten TV-Gebühren weltweit seltsam. Ich finde, dass da keine journalistische Qualität abgeliefert wird, dass die Ideologie und Unkenntnis, die die Redaktion da an den Tag legt, sich selbst konterkariert.

Denn Mauricio bekam die Inflation nicht unter Kontrolle. Das lag und liegt daran, dass eigentlich kein Argentinier seit den desaströsen Erfahrungen der letzten 40 Jahre dem argentinischen Peso mehr traut. Ökonomie ist in erster Linie Vertrauen und wenn das weg ist, sieht es düster aus. In seiner Not wandte sich Mauricio an den IWF, und dabei hat es ihm an empirischen Misstrauen gemangelt, die Lobby der Reichen hat ihm da sicher auch etwas zu sehr eingeflüstert.

Jedenfalls wurde Mauricio mit Christine Lagarde, der neuen EZB-Chefin, schnell handelseinig, und so wurde der größte IWF-Kredit in der Geschichte des IWF gereicht: über 55 Mrd. Dollar. Die oppositionellen Peronisten, genauso wie die kritische argentinische Öffentlichkeit, waren strikt dagegen. Denn die vorher moderate Auslandsverschuldung von etwa 50% des BIPs wurde auf einmal verdoppelt auf 100%. Sonst sind die Neoliberalen ja eher für Austerität, aber um den Kumpel Mauricio zu stützen, gilt offensichtlich kein strenges Regiment mehr. Geld- und Finanzpolitik mal wieder unter politischen Vorzeichen also, kennt man ja schon in der EU.

Was geschah nun mit dem vielen Geld? In den deutschen Qualitätsmedien wurde immer wieder kolportiert, das Problem wären die vielen ausländischen Investoren, die ihr Geld aus Argentinien abzögen, weshalb der Peso unter Druck geriete. Das ist Unsinn, weil es nach der Staatspleite von 2001 und durch die ökonomische Autarkie von Cristina bis Macri kaum ausländische Investoren gab. Was es aber wohl gab und gibt sind reiche Argentinier, die ihr Vermögen noch aus besseren Zeiten gerettet haben, oder die durch aktuelle Exportwirtschaft zu Geld gekommen sind. Diese Inländer haben nun die guten Dollar des iWF gerne zur Kapitalflucht genommen, ein Umstand, der nämlich schon immer der Grund für die Pesoschwäche war. Man kann sagen, die reichen Argentinier haben den IWF geplündert, mit Hilfe von EZB-Chefin Christine. Darunter war auch der Finanzminister von Mauricio, der ein Offshore-Konto besaß, und der dann auch zurücktreten musste. Da ist es eben schwer Wahlen zu gewinnen.

Liebe tagesthemen-Redaktion und liebe Karen Miosga: bitte stellt es nicht so dar, dass die Peronisten am aktuellen ökonomischen Desaster Argentiniens, die erneute Staatspleite, Schuld seien. Das geht ganz auf das Konto von Mauricio und seiner Gehilfin Christine, dass die Auslandsverschuldung heute 100% des BIPs beträgt und es ungewiss ist, ob und wie Argentinien das zurückzahlen kann. Letztlich wird die Konsequenz aus der Beihilfe zur Kapitalflucht, die Plünderung der Devisenreserve bis zum Staatsbankrott, nur die Mittel- und Unterschicht treffen. Aber vielleicht ist es ja auch das, was die Redaktionsideologen als 'Politik der Mitte' bezeichnen?

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

4711_please

Seit jeher verfolge ich kritisch die Politik und kommentiere meine Analysen seit Jahren in diversen Medien online.

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