Linker Antifaschismus

#unteilbar Warum die Bewegung #aufstehen die Linke spaltet

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Derzeit sind die Debatten hinsichtlich Antifaschismus wirklich spannend. Interessant finde ich z.B. die Begründung, warum die Bewegung #aufstehen sich von der Bewegung #unteilbar abgrenzt und sich an deren antifaschistischen Demonstration in Berlin nicht beteiligen möchte. Diese Begründung wird derzeit im Netz verbreitet ( https://www.heise.de/tp/features/Warum-der-Kampf-gegen-rechts-die-Gesellschaft-weiter-spaltet-4183688.html ) und inspiriert mich dazu, eine eigene Position zu finden.

Als positiv sehe ich die Analyse der eigenen Mitglieder von #aufstehen als eine Spaltung der Linken: auf der einen Seite diejenigen Gerechtigkeitsorientierten, die wirklich abgehängt sind und in Existenzsorge mit jenen konkurrieren müssen, die vor Not und Bürgerkrieg haben flüchten können. Auf der anderen Seite diejenigen Solidaritätsgesinnten, deren Existenz ökonomisch nicht bedroht ist und die ein mehr oder weniger geldsorgenfreies Leben genießen können. Die Analyse beklagt, dass die beiden Gruppen sich nicht begegnen und sich auch nicht austauschen. Das sei schon eine tiefe Spaltung der Gesellschaft. Deshalb würde die Bewegung #aufstehen die Bewegung #unteilbar boykottieren, da der undifferenzierte Gedanke der Solidarität mit Flüchtenden als pseudoantifaschistischer Akt nur Symptome und nicht Ursachen benenne und bekämpfe.

Die Streitschrift macht deutlich, dass die Urheber als Ursache für den Zulauf der AfD den Fakt ansehen, dass die Abgehängten den neoliberalen globalisierten Kapitalismus als Grund ihrer Probleme richtig idenitifizieren würden und faschistische Parteien derzeit das Ventil seien, um ihren Unmut über diese Zusammenhänge zu äußern. Der Kapitalismus an sich sei eng mit Faschismus verwandt und treibe das Proletariat in die Hände derselben. Deshalb müsste wahrer Antifaschismus grundlegend national-antikapitalistisch sein, denn nur gesicherte Grenzen könnten einen gerechten Sozialstaat garantieren. Da #unteilbar diese Auffassung nicht in Gänze vertreten würde, bliebe #aufstehen der Demomobilmachung fern.

Ich habe wohl mein Textverständnis etwas zugespitzt, aber ich nehme mal an, dass ich hier das Grundlegende wiedergegeben habe. Ich sortiere diesen Standpunkt als eine typisch Berliner Weltsicht ein, denn nach meiner Erfahrung werden linke politische Analysen aus der Hauptstadt immer etwas undifferenzierter und radikaler formuliert. Das soll nicht bedeuten, dass ich einzelne Analysen der Streitschrift nicht ähnlich sehe, aber es fehlt mir insgesamt sowohl an Differenzierung, an dialektischer Analyse und an historischer Tiefe. Zugleich spaltet ein solch regider national-radikaler Antikapitalismus ebenfalls die Linke, anstatt gemeinsam Solidarität zu suchen. Ich weiß nicht, ob die Urheber der Streitschrift insgeheim meinen, die Bewegung #Willkommenskultur gegenüber den verzweifelt Flüchtenden im Jahr 2005 wäre der Steigbügelhalter der Faschisten gewesen, besser hätte man sie an den Grenzen verrecken lassen, um auf diese Art einen national gerechten Sozialstaat zu garantieren, schließlich gäbe es ja noch eine große Anzahl von Verzweifelten, die nicht flüchten wollten oer konnten. Das wäre eine enorme Entsolidarisierung, die gedanklich aufkommt, weil ich sie zwischen den Zeilen lese. Eine weitere Entsolidarisierung erkenne ich in der Art, wie Kapitalismuskritik geübt wird. Mir ist die Aussage Kapitalismus wäre ähnlich wie Faschismus oder führe dahin einfach zu platt und undifferenziert. In meinen Augen diffamiert da eine Kaviarlinke so Figuren wie Georg Soros, dem Feindbild der Faschisten.

Ich bin da eher auf der Seite eines Anthropologen wie David Graeber, der nach meinem Textverständnis historisch aufgezeigt hat, dass Geldwirtschaft vor allem in komplexen urbanen Gesellschaften immer eine Art von Kapitalismus hervorgebracht hat. Man müsste schon das Geld abschaffen, wollte man sämtliche üblen Strukturen des Kapitalismus, die ja auch in der stalinistischen Geldwirtschaft erkennbar waren, komplett abschaffen. Wenn man das Geld nicht abschafft, dann kann man eine Utopie eines guten, gerechten, solidarischen Kapitalismus entwickeln. Grundsätzlich liegt in einer Geldwirtschaft stets Bevorteilung und Benachteiligung, Macht - Ohnmacht, Interessengegensätze und vieles weitere mehr zugrunde. Und selbstverständlich gibt es faschistische Geldwirtschaften und Kapitalisten, wie es eben auch antifaschistische gibt. Mir ist das Gerede vom grundsätzlich bösen globalisierten Kapitalismus einfach zu platt, undifferenziert, undialektisch gedacht.

Gerade auf der Ebene der Globalisierung kann man die Dialektik analysieren. Die EU, als kleine Form der Globalisierung, war und ist ein Friedensprojekt, die Vorstellung in eine national-ökonomische Autarkie eines Wilhelm Zwo zurückzufallen halte ich für grundsätzlich übel. Selbstverständlich sehe ich die Globalisierung kritisch, muss aber feststellen, dass z.B. China, ein Land, welches vor wenigen Jahrzehnten noch von sehr vielen bettelarmen Menschen bevölkert wurde, ein Gewinner ist. Ich verstehe einfach nicht, warauf der national-Antikapitalismus einer Frau Wagenknecht hinauslaufen soll. Auf einen national-autarken linksperonistischen Kirchnerismo-Kapitalismus? Ist das in einem postkriegerischen Europa erstrebenswert und würde 30% Inflation die Leute nicht in die Arme der Faschisten treiben? Oder einem venezoelanischen Links-Kapitalismus, der Importeure und Arme zunächst bevorzugt, bevor die Geldwirtschaft ohne nennenswerte Investitionen, also Substanz ohne Rohstoff, zusammenbricht und keiner mehr irgendetwas von diesem Kapitalismus hat?

Was will #aufstehen? Den Berliner Dogmatismus eines Linksnationalismus in einer Nische pflegen, der die Linke spaltet, anstatt die analysierten Spaltungen zu überbrücken? Dabei ist schon die Analyse zu platt, alle Abgehängten bilden die AfD. Faschisten werden nach meiner Ansicht, genauso wie die NSDAP, überwiegend aus der Mitte der Gesellschaft gebildet, nicht vom Lumpenproletariat oder den H4lern, das ist doch ein Mythos! Schaut euch doch bloß Programmatik und Personal der AfD an. Da ist nix Abgehängtes, nur professoraler Hass und Neoliberalismus.

Ich bin der Meinung, dass der Kapitalismus sich dringend ändern muss, aber mit Sektierertum wird das nicht geschehen. Ändern muss sich die ökologische Ausrichtung, die Regulierungen des Marktes, die Chancengleichheit. Weg mit dem Marktfetisch und der Vorstellung ein schlanker Staat wäre die ideale Basis für einen Kapitalismus! Der Markt regelt sich nicht von selbst und die Fehler, die die GroKo in dieser Hinsicht macht, Stichwort Wohnungsbau, Autoindustrieskandal, Niedriglohnsektor, Migrantenbashing, abgehängte Regionen und anderes mehr, das sind die Gründe für das Erstarken der Neofaschisten. Eine Kaviar-Linke, die davon träumt, der gegebene Kapitalismus möge zusammenbrechen, damit auf den Trümmern eine sozialistische Geldwirtschaft entstehe - wie immer die auch aussehen soll - das ist zum einen Entsolidarisierung mit allen Klassen, auch mit den H4lern, und ein solcher Dogmatismus bildet mit den Faschisten eine Querfront, in der die Linke am Ende nur verliert und mit dem Leben bezahlen wird, mit dem der politischen Bewegung und mit dem individuellen. Deshalb: Schluss mit dem Sektierertum, gemeinsam gegen Faschismus jetzt!

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

4711_please

Seit jeher verfolge ich kritisch die Politik und kommentiere meine Analysen seit Jahren in diversen Medien online.

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