Perspektiven für die Flüchtenden

Diskussion Ein visionärer Diskussionsbeitrag, wie die Interessen der Flüchtenden mit den Interessen Europas politisch eventuell in Einklang zu bringen sein könnte

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Die Kriege und Diktaturen, die nah an Europa wüten, zeitigen ihre Effektivität: die Opfer machen sich auf den Weg zu uns. Sie tun das nicht, weil Deutschland so toll ist, sondern, weil ihr Leben im Herkunftsland gefährdet und unmöglich gemacht wird.

Inzwischen mehren sich die journalistischen Stimmen, dass das ganze Elend ein außenpolitisches Versagen ist. Im Spiegel fordert z.B. Herr Nelles eine stärkere militärische Option, ob er damit deutsche Bodentruppen meint, die laut Kienzle und Todenhöfer nötig wären, um den Krieg gegen die „IS“ zu gewinnen, bleibt offen.

In den „Deutsche Wirtschaftsnachrichten“ prangert ein Kommentar die außenpolitische Falschheit an, die die USA und Europa hinsichtlich der arabischen Länder verfolgt. Todenhöfer unterlegt mit Quellen des US-Kriegsministeriums, dass die Regierung der USA Interesse an einer Selbstzerfleischung der arabischen Länder hätte. Auch ohne antisemitische Ressentiments wäre es plausible sich vorzustellen, dass nach 9/11 ein völkisches Rachebedurfnis mit einer Strategie des „Ausblutens“ von Terroristen fern ab der USA und mit einer Strategie der Isolierung Russlands sich verbindet.

Was fehlt, ist eine europäische Außenpolitik, die sich z.B. von Interessen des militärisch-industriellen Komplexes unterscheidet. Kriege als Geschäftsmodell: steht dafür nicht auch der BND als Filiale des Big Brother? Für Polen und die Balten ist es zu einfach, sich die Flüchtlinge, die das Elend ja nur näherbringen, also die Folgen ihrer ja an sich autonomen Außenpolitik, abzuwehren und zu verdrängen. Es wird ja häufig erwähnt, dass sie sich vor einem Krim-Schicksal fürchten, dann aber reflektieren sie nicht, dass im Worst-Case die eigene Bevölkerung das gleiche Schicksal leiden muss, wie die Flüchtlinge aktuell. Diesem Schicksal in Europa kann nur entgehen, wer einen friedlichen Ausgleich mit Russland sucht. Eine dauerhafte, eskalierende Kalte-Krieg-Situation ist nicht geeignet, eine Ausdehnung des ersten europäischen Krieges im 21. Jahrhundert zu verhindern. Das Risiko halte ich für extrem, sei es wegen der Möglichkeit eines technischen oder menschlichen Fehlers, sei es wegen globaler Kriegsinteressen durch politisch-administrative Verwerfungen.

Doch Polen und Balten schaffen es genauso wenig wie die übrigen europäischen Länder eine von den USA eigenständige, nicht ausspionierte Diplomatie zu betreiben, obwohl sie grundsätzlich andere geopolitische Interessen als die USA haben. Wenn Europa radikal keine Flüchtlinge haben möchte, und das ist ja im Grunde das humanitärste Leitmotiv, Gründe zum Flüchten abzuwehren, darf es z.B. das Angebot eines Assad nicht ausschlagen zu verhandeln, wie es ja bereits 2012 bestand. Eine europäische Strategie des Übergangs von Assad zu anderen Verhältnissen unter Einbeziehung russischer Interessen (Mittelmeerhafen) ist genauso fällig wie eine europäische Strategie der Perspektiven im Irak, sowie in Afganistan.

Eine Außenpolitik für die Menschen übernimmt die Perspektive der Flüchtenden. Eritrea z.B. als erbärmliche Diktatur, die die Menschen quasi versklavt, generiert viele Flüchtlinge. Es wundert mich, dass Europa nicht mehr Einfluss ausüben kann auf ein Land, das 7 Mio Einwohner hat bei einem jährlichen pro-Kopf BIP von 295$. Ich vermisse eine Diskussion der Möglichkeiten des Einflusses, zivile und militärische, und der Perspektiven für das Land durch Nationbuilding.

Selbstveständlich müssen wir uns hier um die Flüchtenden kümmern. Aber nicht nur, in dem wir sie aufnehmen, sondern auch dadurch, dass wir Ihnen eine Perspektive in ihrem Herkunftsland bieten, was mir ja das radikalste Interesse der Flüchtenden scheint. Wenn dieses Interesse politisch gemacht größer ist als dasjenige anderer Staaten oder des militärisch-industruellen Komplexes, würden wir darüber diskutieren, ob eine zivile, militärische und demokratische Grundausbildung und ein In-Sold-Nehmen für die militärische Befreiung des Staates mit dem Ziel der Wahl einer verfassungsgebenden Versammlung, also einem staatlichen Neutart, sinnvoll oder eben nicht sinnvoll ist.

Was gar nicht geht, ist die Ignoranz gegenüber den Elenden. Sie ist im Grunde faschistisch, denn der Unterschied zwischen Abwehr von Flüchtenden und die aktive physische Vernichtung, von der so einige rechte Mordbuben wieder träumen, ist nur marginal. Die Politik hätte sich nach den Weltkriegen des letzten Jahrhunderts kaum geändert. Das "es ist schön fürs Vaterland zu sterben" des WK I mutierte zu "es ist schön, wenn ihr sterbt, denn dann kann ich euch berauben, mein selbstdefiniertes Volk rassisch säubern und ihr nervt nicht mehr" und kommt an in "es ist schön, wenn ihr sterbt, denn dann verrasst ihr nicht mein Volk und nervt nicht mehr."

Das darf keine Option für ein wertebewußtes Europa sein.

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Geschrieben von

4711_please

Seit jeher verfolge ich kritisch die Politik und kommentiere meine Analysen seit Jahren in diversen Medien online.

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