Zur Lage der 5. französischen Republik

M. le Président Macron: Die europäische Linke ist in ihrer Sicht auf Macron gespalten. Viele fürchten ihn als Steigbügelhalter des FN. Ist die Art des Widerstandes gegen Macron gerechtfertigt?

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Ist Paris nach den nuits debout letztes Jahr erwacht? Mir scheint, zum Teil ja. So fand ich das Wahlprogramm des unterlegenen PS-Kanditaen Hamon sehr erstaunlich. Er wollte aus der Atomenergie aussteigen, und vertrat die futuristische Position, die Siemens-Chef Käser im November 2016 vorsichtig andachte: durch das Fortschreiten der Digitalisierung der Ökonomie wird in Zukunft wahrscheinlich langfristig weniger Arbeit, zumindest aber eine mittelfristige starke Verwerfungen auf dem Arbeitsmarkt stattfinden. Deshalb wäre die Einführung von Bürgergeld sinnvoll, um die Brüche abzufedern.

Mélanchon hat Hamon offensichtlich die Show gestohlen, nicht zuletzt, weil die Leute von der PS nichts mehr wissen wollen, ihr traut kaum noch jemand etwas zu. Mal unabhängig von der Lage der PS finde ich Hamons linke Ideen interessanter als Mélanchons Klassenkampf. So wie ich Macron sehr viel interessanter und besser finde als Fillon.

So scheint es mir, als sei Paris zum Teil nicht erwacht. Denn es gilt gegenüber Macron zweierlei: zum einen ist er ein ziemlich unbeschriebenes Blatt, niemand weiß wirklich, was er zu verwirklichen sucht und dann auch umsetzen kann. Er markiert einen Umbruch in der 5. Republik. In dieser Situation finde ich Varoufakis Einwand richtig, es wäre wichtig eine Front gegen die front aufzubauen, wie schon einmal mit Chirac (!). Warum dem jungen Macron keine Chance geben? Weil er Investmentbanker ist? Da kommt der typische Beißreflex der Linken: ein zu Fleisch gewordene Klassenfeind als Präsident? Ist ein Präsident, der die Märkte kennt, nicht eventuell vorteilhaft, auch hinsichtlich linker Politik? Denn die Vorstellung von Mélanchon, die Märkte zu revolutionieren, entweder innerhalb Europas, sonst eben alleine, ist schon sehr abenteuerlich. Das wird nicht gehen ohne erhebliche Verwerfungen auf dem Arbeitsmarkt, die dann wieder Le Pen in die Karten spielen. Zudem dürfte sein Paternalismus sehr vielen Franzosen sehr schnell erheblich auf die Nerven gehen. Mélanchon ist mir viel zu selbstgerecht.

Macron steht für neoliberale Austeritätsreformen? Das kann ich so deutlich nicht erkennen. So möchte er die 35-Stunden-Woche nicht antasten, wenn ich das richtig verstanden habe. Erstaunlich, dass die französische Linke es nicht feiern kann, dass Frankreich diese erkämpfte Errungenschaft als Alleinstellungsmerkmal hat. Wenn das unangetastet bleibt, wäre es das nicht wert, sich Macron kompromissbereit zu zeigen? Vieles wird davon abhängen, ob er durchregieren kann, und mit wem er welche Kompromisse machen muss. Das entscheidet sich bei den Parlamentswahlen. Ich stimme mit Varoufakis überein, der meint, schaut mal, was Macron draus macht und leistet Widerstand, wenn euch seine Politik nicht gefällt. Was Schröder und Merkel in Deutschland durchgezogen haben, wäre in Frankreich nach meiner Einschätzung her gar nicht so konfliktlos möglich. Schließlich ist ein Generalstreik jenseits des Rheins jederzeit denkbar.

Die Alternative Le Pen bedeutet für mich einen Bürgerkrieg in Frankreich. Es wird in einer solchen faschistischen Revolution kaum einen offenen linken Widerstand mehr geben. Insofern finde ich das Argument verwerflich, man votiere nicht für Macron, weil Macron nur die Vorstufe von Le Pen sei – und riskiert dabei Le Pen direkt. Diese isolierte Radikalisierung der französischen Linken mit Mélanchon, sein totalitäres Alles-oder-nichts, könnte analog zur Weimarer Republik ebenso Steigbügelhalterfunktion haben. Nur eine gewisse Einigkeit der verschiedenen linken Gruppen, analog zum spanischen Bürgerkrieg, kann Le Pen die Stirn bieten. Der kleinste gemeinsame Nenner, die Ablehnung einer faschistischen 6. Republik, sollte Anlass bieten, Macron gegenüber kompromissbereit zu sein. Die Ankündigung, die 35-Stunden-Woche nicht anzutasten, könnte man schon als eine Vorleistung Macrons für Kompromisse sehen. Nicht alleine Macron trägt Verantwortung für einen Aufstieg der Faschisten. Auch die Linke sollte ihre Steigbügelhalterfunktion überdenken.

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Geschrieben von

4711_please

Seit jeher verfolge ich kritisch die Politik und kommentiere meine Analysen seit Jahren in diversen Medien online.

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