Vor meinem Haus wird gebaggert

Putingas, Klima, und ... Mein turbulenter Alltag mit Putingas und Klimawandel. Die Strasse ist gesperrt. Irgendeine Firma für Erdbauarbeiten hat den Auftrag etwas an den Gas und Wasserleitungen zu machen.

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Ich wohne in Essen Südostviertel. Die Strasse ist gesperrt. Irgendeine Firma für Erdbauarbeiten hat den Auftrag etwas an den Gas und Wasserleitungen zu machen. Baufahrzeuge und Bagger sind in der Nebenstrassee abgestellt. Das kommt häufiger vor. Vor zwei Jahren wurden in unserer Strasse und im gesamten Viertel Fernwärmeleitungen der STEAG gelegt. Ich hatte dankend abgelehnt angeschlossen zu werden, weil ich meine Wohnung nicht mit irgendeinem Kohle- oder Gaskraftwerk verkoppeln wollte. Kurz darauf wird wieder gebuddelt, das nächste Loch: Es wird Glasfaser verlegt. Der Mann von der Telekom meint, mir unwiderstehliche Angebote machen zu können. Meine Downloadgeschwindigkeit schafft aktuell ein Gigabyte in 6-7 Minuten. Das reicht mir. Ich lehne also ab. Ein paar Monate später haben wir Stromausfall in der Straße. Der Schaden wird direkt vor unserem Haus entdeckt. Genau an der Stelle wo vorher die Telekom graben liess. Hätte man damals nicht die Stromleitung inspizieren und den Schaden entdecken können? Nein, denn die Telekom ist nicht für die Stromleitungen zuständig. Der Netzbetreiber WESTNETZ wird alarmiert und rückt binnen Stunden mit einer Bagger-Eingreiftrupe an. Die Hauptsicherungen im Keller werden von einem Spezialisten abgeklemmt. Nach ein paar Stunden gegen 0:30h haben wir wieder Strom.

Innerhalb kürzester Zeit wurde der Asphalt vier mal an denselben Stellen markiert, mit gewaltigen Trennschneidern geritzt und dann kam der Bagger. Man mag sich gar nicht vorstellen welch umfangreiche technische Infrastruktur dahinter steckt. Die Baufahrzege sind allesamt mit Diesel betrieben. Alle vier Löcher wurden offenbar völlig unkoordiniert voneinander in Auftrag gegeben und ausgeführt. Der Markt regelt das. Die Baufirmen haben Aufträge. Wachstum entsteht. Das Bruttsozialprodukt ist im grünen Bereich.

Beim Blick auf die aktuell frei gelegten Gas-und Wasserleitungen tauchen Assoziationen auf. Wird hier Putins Gas transportiert? Wie lange noch? Lohnt sich überhaupt eine Instandsetzung? Ähnlich beim Wasser. Wie lange noch werden die reparierten Leitungen das "köstliche Nass" 24 Stunden lang transportieren? Die Wasserwerke liefern Ruhruferfiltrat aus dem Essener Süden. Wie ist der Pegelstand der Ruhr? Sind die Staubecken im Bergischen Land ausreichend gefüllt? Oder anders herum. Was passiert bei Starkregen, wenn die reissende Ruhr mit Chemikalien verschmutzt kein nutzbares Uferfiltrat mehr liefert? Gibt es eigentlich eine Hochwasserkarte für Essen, wo ich sehen kann, ob meine Strasse gefährdet ist?

Die Karte gibt es tatsächlich. Sie heisst "Starkregenkarte" und ich finde sie auf Essen.de. Hinter meinem Haus wird eine mögliche Überflutung bis 25 cm ausgewiesen. Genau an dieser Stelle haben wir ebenerdige Kellerfenster. Im Keller steht eine Kühltruhe, die Waschmaschine und ich habe eine kleine Werkstatt da unten. Wie hoch das Wasser im begrenzten Kellerraum dann ansteigen würde, sagt mir die Karte nicht. Sollte ich mir jetzt Sandsäcke kaufen? Die Karte beschreibt ein Ereignis, das einmal in einhundert Jahren auftreten kann. Das war im Ahrtal der Fall. Die Art solcher statistischer Angaben ist verführerisch. Man ist versucht zu denken: Von jetzt ab 100 Jahre, das geht ja noch. Die Statistik stimmt aber immer noch, wenn das Ereignis in Jahr eins auftritt. Also morgen.

Vor kurzem habe ich zwei Balkon-Solarmodule installiert. Sie liefern bei Sonnenschein volle Leistung zwischen 11 und 16 Uhr. Wir bemühen uns jetzt die Spül- und Waschmschine genau in diesem Zeitfenster zu starten. Andernfalls haben wir nämlich Stromüberschuss. Der wandert ins allgemeine Netzt und man bekommt keinen Cent dafür.

Die Gasterme für die Heizkörper habe ich vor zwei Jahren mit der modernsten Version erneuern lassen. Ich bin also auf die ausgebuddelte Gas-Leitung angewiesen. Bei meinem Versorger Naturstrom habe ich 10 Prozent Biogasanteil gebucht, dafür bezahle ich einen Aufpreis. Auch das machte mir bereits Kopfschmerzen. Biogas wird z.t. mit extra dafür angebautem Mais produziert. Mein "Versorger" Naturstrom beteuert, bei ihm sei das nicht so. Ich hoffe mal, dass das stimmt.

Ist solche Infrastruktur einmal angelegt, dann muss sie sich amortisieren. Das dauert Jahre und sie kutzfristig wieder umzumodeln ist unwirtschaftlich. Der Markt regelt das. Es ist die normative Kraft der faktischen Investition. Das gilt auch für die jetzt geplanten Gas-Terminals an der Nordsee. Sie sind teils dauerhaft geplant und müssen sich amortisieren. Schwimmende Provisorien erfordern ebenfalls Investitionen, besonders an Land für die Anbindung an existierende Pipelines. Wer weiss, wie lange die Mietverträge laufen? Kurze Laufzeiten wären um ein vielfaches teurer. Das AKW-Dilemma könnte sich wiederholen. Scholz favorisierte jüngst eine neue Gasleitung von Portugal nach Deutschland. Ist Gas damit noch eine Übergangs-Technologie, wie immer beschworen wird? Man darf zweifeln. Ganz Frankreich ist im Hitznotstand und hat dieselben Probleme wie Brandenburg. Dort werden wir nächste Woche Urlaub machen. Wir sind an einem kleine idyllischen See. Falls der Wald brennt können wir uns ja ins Wasser retten. Während dieser Zeit baggert die Solaranlage zu Hause munter Strom ins Netz. Wir waschen ja nicht.

Aber das Wetter ist wirklich toll.

Der Artikel wurde bzgl. der mobilen Gasterminals leicht überarbeitet.

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Geschrieben von

a-kunkel

Ich betreibe: ,,RÖSTER-das kritische Kaffee-Portal". Seit über 20 Jahren Fair-Handels-Aktivist und mittlerweile Kaffee-Experte / Kaffee-Workshops.

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