Schulterschluss für faire Milch

Westafrika Eine Gruppe Milchbauern aus Burkina Faso und Belgien will sich nicht länger gegeneinander ausspielen lassen

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Schulterschluss für faire Milch

Bild: David Silverman/Getty Images

Die Abschaffung der Milchquote drückt weltweit auf die Preise, die Milchviehhalter für ihre Arbeit erhalten. Belgische Milchbauern wollen dem Verdrängungswettbewerb nicht länger zusehen. Gemeinsam mit ihren Kollegen in Burkina Faso haben sie nun ein besonderes Projekt ins Leben gerufen.

Mit belgischem Humor machten die Nichtregierungsorganisation Tierärzte ohne Grenzen am 1. Juni auf die schwierige Lage aufmerksam, der sich die Milchviehhalter in Westafrika gegenüber sehen. Gehüllt in einen hellblauen Anzug, mit spitzem Strohhut über den Kopf gezogen, pinkelte die kleine Brunnenfigur Manneken Pis am Mittwoch Milch statt Wasser in den barocken Brunnen in der Brüsseler Altstadt. Unterstützt wurde die Aktion von belgischen Milchviehhaltern, die am Internationalen Tag der Milch den vorbeiziehenden Touristen ihre eigenständig vertriebene ‚faire Milch’ anboten.

In der EU gilt seit dem 1. April letzten Jahres das Motto 'Melken ohne Grenzen'. Im Hinblick auf die Liberalisierung des europäischen Milchmarkts haben viele Milchbetriebe in der EU ihre Kapazitäten ausgeweitet. Trotz Monat für Monat sinkender Preise muss ein immer grösserer Teil der Milch als Milchpulver oder Butter eingelagert werden. 350.000 Tonnen Milchpulver türmt sich inzwischen in europäischen Lagerhallen. Gleichzeitig nach Angaben der europäischen Milchmarktbeobachtungsstelle die Milchausfuhren der EU seit 2008 um 300 Prozent angestiegen.

Auf der Suche nach neuen Absatzmärkten nehmen die europäischen Grossmolkereien zunehmend die Einkaufskörbe nord- und westafrikanischer Verbraucher ins Visier. Erwin Schöpges, Vorsitzender der belgischen Genossenschaft ‚Faircoop’ war diese Woche nach Burkina Faso geladen. Alarmiert berichtet er von der Verdrängung einheimischer Milchprodukte: "Beim Schlendern zwischen den Regalen wurde ich fast von der Menge an europäischen Milchprodukten erschlagen, die nach Burkina Faso importiert wurden. Wenn ich die Situation mit der vergleiche, wie ich sie bei meiner letzten Reise auf den Tag genau vor einem Jahr beobachten konnte, stelle ich eine große Veränderung fest: das Angebot ist wesentlich abwechslungsreicher. Der Kunde findet jetzt zum Beispiel H-Milch (im "Tetra- Pak") und er hat die Qual der Wahl zwischen verschiedenen Milchpulversorten: mit Getreide, mit Eisen angereichert, mit Kakaogeschmack und so weiter.“

In Burkina Faso, einem Land, in dem die Lebenserwartung bei gerade einmal 58 Jahren liegt, steht für die Bevölkerung viel auf dem Spiel. Schätzungsweise jeder dritte Burkiner lebt von der Viehzucht. „In Burkina Faso sind es die Frauen, die Milch produzieren. Wenn diese Einkommensquelle zerstört wird, fällt eine ganze Sozialstruktur zusammen, da die Frauen keine Alternative und somit dann kein Einkommen haben“, erläutert Wilhelm Thees, Fachreferent für ländliche Entwicklung bei Miserior. „Während eine belgische Kuh im Schnitt 25 bis 35 Liter Milch pro Tag produziert, gibt eine afrikanische Kuh im besten Fall zwei bis drei Liter. Häufig produzieren sie sogar weniger als einen Liter, insbesondere während der Trockenzeit. Das erklärt sich durch den Mangel an Wasser, angemessener Nahrung und tierärztlicher Pflege in den ländlichen Gebieten“, erklärt Aude Delcoigne, Sprecherin der Nichtregierungsorganisation ‚Tierärzte ohne Grenzen’ die Herausforderungen der burkinischen Milchviehhalterinnen.

Doch wie der belgische Viehhalter Schöpges berichtet, sind es nicht alleine die niedrigeren Preise der europäischen Milchprodukte, die den Bauern in dem westafrikanischen Land Probleme bereiten: „Ich konnte mit dem einen und anderen Kunden aus der Gegend sprechen, die ihre Einkäufe erledigten. Und ich habe verstanden, dass sie von der Qualität der lokalen Milch nicht überzeugt waren, selbst wenn sie zugaben, dass sie ohne Zusatz von Konservierungsstoffen besser ist... Über ihr Marketing haben die multinationalen Unternehmen eine Angst verbreitet, einheimische Milch zu trinken. Ihre Werbeslogans wie "Nährt und schützt" überzeugen die Verbraucher und sagen indirekt aus, dass die lokale Milch nicht gut ist."

Mit Unterstützung der burkinischen Union der Mini-Molkereien wollen 160 Viehzüchterinnen im Süden des Landes nun offensiv auf den europäischen Importdruck reagieren. In der Kleinstadt Bittou feierten sie am 31. Mai den Startschuss des Projekts ‚FaireFaso’. Nach dem erfolgreichen Vorbild ihrer Kollegen in Belgien, Österreich und Luxemburg wollen sie die Bäuerinnen ihre Milch künftig mit einer eigenen Marke vertreiben den Viehzüchtern so auskömmliche und stabile Preise garantieren. Nachholbedarf sehen die örtlichen Bäuerinnen nicht alleine bei der Bewerbung ihrer Produkte.

Im heissen Klima der Region muss Rohmilch innerhalb kurzer Zeit behandelt werden, damit sie nicht verdirbt. Doch in der 30 Jahre alten Mikro-Molkerei von Bittou werden bislang alle Arbeitsschritte durch langsame Handarbeit ausgeführt. Liefern zu viele Viehzüchterinnen ihre Milch in der Molkerei an, muss ein Teil des kostbaren Rohstoffs weggeschüttet werden. Damit ‚FaireFaso’ Erfolg hat und keine Viehhalterinnen, die sich an dem Projekt beteiligen wollen, abweisen muss, sollen Maschinen und ein Kühlfahrzeug angeschafft werden. Die Nichtregierungsorganisation Oxfam und die ‚Faire Milch’-Bauern aus Belgien haben deshalb 30.000 Euro eingesammelt, um die Initiative in Bittou zu unterstützen.

Dass das Überleben der burkinischen Milchwirtschaft dauerhaft nur gelingen kann, wenn auch die politischen Rahmenbedingungen stimmen, darin stimmen die beteiligten europäischen und afrikanischen Bauernorganisationen überein.

Burkinische und europäische Verbände haben sich deshalb auf einen gemeinsamen Forderungskatalog geeinigt, den sie am 3. Juni dem zuständigen Minister Koutou Somanogo überreicht haben. Die Bauernorganisationen fordern die Europäische Union auf, wirksame Massnahmen gegen die Überproduktion auf dem europäischen Milchmarkt zu ergreifen. Ein weiteres Problem sehen die Viehzüchter in der Einfuhrpolitik der westafrikanischen Länder. Derzeit liegt der Einfuhrzoll auf Milchpulver bei fünf Prozent. Zu niedrig aus Sicht der Bauernorganisationen, die die Zolleinnahmen zur Entwicklung der Wirtschaft vor Ort eingesetzt sehen wollen.

Stolz auf die gemeinsam geleistete Arbeit und in ihren Überzeugungen bestärkt kehren die Bauern des unabhängigen Dachverbands ‚European Milk Board’ zurück an ihre Höfe. „Wir dürfen unsere selbstgemachten Probleme nicht nach Afrika verschieben. Wer die Entwicklung anderer Länder hemmt, beeinträchtigt seine eigene Entwicklung“, fasst Johannes Pfaller aus Süddeutschland seine Eindrücke zusammen. Der Belgier Schöpges stimmt zu: "Unsere Länder gleichen sich zwar so wenig wie Tag und Nacht. Nichtsdestotrotz sind die Probleme der Bäuerinnen und Bauern identisch.“

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Hanna Penzer

Geboren in der Stadt, die singt und lacht. Lebt seit 2009 als freiberufliche Übersetzerin in Brüssel. Politikwissenschaftlerin und Kompostmeisterin.

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