Antworten als Fragen

Syrien und die Medien Aus Rebell wird Islamist, aus Islamist Rebell. Das Chaos in Syrien überträgt sich auf die Berichterstattung, Medien fragen zu wenig und antworten zu viel.

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Der Belagerungsring von Aleppo scheint vorerst durchbrochen zu sein. Die verschiedenen Rebellengruppierungen haben nach intensiven Kämpfen den Ramouseh-Distrikt im Süd-Westen der Stadt teilweise von der Regierungsseite erobert und zumindest formell die Belagerung für beendet erklärt. Erst gestern wurden jedoch pro-Regierungstruppen um die verlorenen Gebiete neu zusammengezogen und erste Gegenangriffe gestartet. Auch die russische Luftwaffe operiert wieder intensiv in den Gefechten und überzog unter anderem den verlorenen Gebäudekomplex um die Ramouseh-Artillerie Schule mit einem Bombenteppich. Der Durchbruch dort markierte gestern einen wichtigen Schritt für die Rebellen, die sich danach mit Mitkämpfern von der anderen Stadtseite zusammenschließen konnten. Nun wurde der nördliche Hamadaniyah-Distrikt zur Militärzone erklärt, das Rebellenbündnis Jaish al-Fatah (z. dt. Armee der Eroberung) rief Zivilisten auf die Gebiete herum zu verlassen. Die Regierungsseite zog unterdessen einen langen Verteidigungsring auf; bald sollen die ersten Offensiven anlaufen.

Eines ist klar: Die Kämpfe um Aleppo laufen gerade erst an. Einige Beobachter bezeichnen die jetzige Schlacht als einer der heftigsten und blutigsten im gesamten Konflikt, allein in den letzten Tagen starben vermutlich mehr als 500 Kämpfer auf allen Seiten. Zu zivilen Opfern gibt es wenige Angaben, deren Lage dürfte aber mitten im Kampfgebiet katastrophal sein.

Die Situation in der Stadt hat zumindest fürs Erste die internationale Aufmerksamkeit wieder auf Syrien gelenkt, nachdem es medial still um den Bürgerkrieg im Land geworden ist. Nun wurden eine ganze Reihe Artikel und Berichte zu den Ereignissen geschrieben und gesendet, wobei der Tenor in den deutschen Medien relativ ähnlich ist. Ob Spiegel, Zeit oder FAZ, die Berichterstattung über Syrien unterscheidet sich nur in Nuancen. Das durchgängige Narrativ handelt von der Assad Regierung, die äußerst brutal und rücksichtslos mit Unterstützung der russischen Luftwaffe gegen Rebellen vorgeht und oft zivile Opfer billigend in Kauf nimmt. Auf der anderen Seite stehen oppositionelle Kräfte, die mehr oder weniger in religiöse und moderate getrennt werden. Dazu kommt Da’esh und kurdische Milizen, die größtenteils als pro-demokratisch dargestellt werden.

Es soll hier nicht um eine Analyse der einzelnen Gruppierungen in Syrien gehen, sondern inwiefern die Berichterstattung in den deutschen Medien ein bestimmtes Bild fördert und andere auslässt. Beispiel die jetzigen Kämpfe um Aleppo: Die FAZ bezeichnete heute in einem Artikel die beteiligten Ahrar al-Sham als „Gruppe“. Spiegel Online verwendet in einem verblüffend ähnlich aufgebauten Beitrag die gleiche Bezeichnung, Zeit Online veröffentlichte einen von der Struktur her relativ ähnlichen Text, ersetzte aber das Wort „Gruppe“ mit „islamistische Miliz“. Wie soll ein Leser das verstehen? Welche Bezeichnung ist nun wirklich die zutreffende? Interessanterweise gab es bei Spiegel Online wenige Tage zuvor einen Beitrag zu Syrien mit dem Titel „Die Islamisten sind Aleppos letzte Hoffnung“, der wiederum mit der Aussage des heutigen Artikels nicht ganz konform ist. An anderer Stelle im Spiegel werden die Kräfte, die Aleppo zurückerobern, als „Rebellenbündnis unter Führung von Islamisten“ bezeichnet. Selbiger Artikel nennt jedoch Ahrar al-Sham als einer der Hauptkräfte hinter den Offensiven, insofern gehen die Aussagen des Artikels nicht wirklich auf (und lesen sich im älteren Beitrag auch anders).

Leser bekommen dementsprechend durch die Beiträge kein konsistentes Bild von der Lage. Mehr noch, das letztlich zugewiesene politische Couleur unterscheidet sich von Medium zu Medium. Liest man beispielsweise ein Interview vom Deutschlandfunk mit dem Nah-Ost Experten Michael Lüders, wird wiederrum eine andere Sichtweise vermittelt. Lüders lehnt die Bezeichnung Rebellen ab und präferiert eher den Terminus Islamisten für die Kräfte in Aleppo. Zudem sieht er nicht Ahrar al-Sham als Hauptkraft, die nicht mal erwähnt werden, sondern den ehemaligen al-Kaida Arm Jabhat al-Nusra, die nun Jabhat Fatah al-Sham heißen und sich zumindest offiziell von al-Kaida losgesagt haben.

Al-Kaida ist ein interessantes Stichwort. Im Jemen, berichteten mehrere Medien, gab es am Wochenende mehrere Luftangriffe gegen hochrangige al-Kaida Mitglieder, drei von ihnen wurden getötet. Zumindest bis jetzt wurde das nicht von FAZ, Spiegel oder Zeit aufgenommen. Dabei wäre die Wortwahl interessant gewesen. Immerhin gilt al-Kaida gemeinhin als Terrororganisation, der ehemalige Ableger Fatah al-Sham wird so jedoch nur von syrischen und russischen Medien bezeichnet. Schwer zu sagen, ob diese Bezeichnung auch in den deutschen Medien Anwendung finden sollte. Geht es andererseits um die Hamas, wird der Zusatz „radikal-islamisch“ nahezu immer verwendet (s. [1] oder [2]). Zurecht oder nicht, darum soll es an dieser Stelle nicht gehen. Sondern darum, das die von vielen Medien angelegten Maßstäbe nicht wirklich konsistent sind.

Ahrar al-Sham als Gruppe zu bezeichnen, um darauf zurückzukommen, könnte man durchaus als schmeichelhaft bezeichnen. Mitte Mai 2016 durchkämmten Kämpfer der Miliz in der eroberten Stadt al-Zara mehrere alawitische Häuser und richteten 19 Zivilisten. Im August vor drei Jahren lastete ihnen Human Rights Watch die Tötung von 190 Zivilisten an.

Inwiefern ist die Frage nach der Bezeichnung wichtig? Es geht nicht nur um die Meinungsbildung bei den Lesern, die auf Basis der verwendeten Wörter Gruppierung einordnen. Es geht auch darum, dass eine Finanzierungs-/ und Ausrüstungskampagne für moderate Rebellen läuft. Islamist statt Kämpfer kann ziemlich entscheidend sein. Wie schmal diese Trennung jedoch ist, zeigte vor kurzem die Harakat Nour al-Din al Zenki: Bis mindestens Oktober 2015 noch von Saudi Arabien und der CIA finanziert und ausgerüstet, köpften vergangenen Monat mehrere Männer der Gruppe einen 12-Jährigen Palästinenser vor laufender Kamera. Im Februar dieses Jahres sprach ein FAZ Redakteur noch mit einem Anhänger der Gruppierung. Deren Bezeichnung im Artikel: Bewegung.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Abrahan Garcia

Angehender Orientalist

Abrahan Garcia

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