Der Krieg, den niemand stört

Jemen Das kleine Land auf der arabischen Halbinsel leidet. Doch anders als das Getöse in Syrien, still und heimlich. Woran liegt das?

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Nachdem heute die Friedensverhandlungen der Konfliktparteien in der Schweiz gescheitert sind, schafft es der Bürgerkrieg im Jemen wieder ein wenig in die Schlagzeilen der internationalen Medien. Im Bürgerkriegsland toben schon seit März heftige Gefechte, die aber größtenteils von der Weltöffentlichkeit ignoriert wurden. Das könnte sich rächen.

Eigentlich sollten die von der UN geleiteten Gespräche am Dienstag mit einer einwöchigen Waffenruhe einhergehen, die insbesondere der leidenden Zivilbevölkerung zu Gute kommen sollte. In Magglingen verhandelte unter der Schirmherrschaft vom UN-Sondergesandten Ismail Ould Cheikh Ahmed die jemenitische Regierung mit Delegierten der Houthi-Rebellen. Doch schon am Mittwoch kam es zu Luftangriffen auf die Stadt Taiz mit sieben toten Zivilisten. Von einem wirklichen Einstellen der Kämpfe konnte keine Rede sein, am Freitag brachen die Houthis aus Protest die Gespräche ab. Sie forderten die UN auf, die brüchige Waffenruhe zu festigen, bevor es zu weiteren Verhandlungen kommen kann. Sie warfen den Vereinten Nationen zudem vor, parteiisch zu agieren.

Ihr Protest bezog sich auf die am Freitag gestartete Offensive von Regierungssoldaten angeführt von der saudischen Luftwaffe im Norden des Landes, bei der die Stadt Al-Hasm von den Aufständischen erobert wurde. Als am Samstag die Offensive ausgeweitet wurde, sind die Kämpfe in aller Härte wieder ausgebrochen und damit auch die Friedensverhandlungen letztlich gescheitert.

Woran liegt das? Obwohl sogar Barack Obama zum Einhalten der Waffenruhe aufrief, sah sich keine Konfliktpartei dazu veranlasst. Dabei steigt das Leid im Jemen von Tag zu Tag. Hilfsorganisationen überbieten sich gegenseitig in Warnungen, die Lage im Land ist laut Mark Kayne von Save the Children die „weltgrößte Krise“ und schlimmer als alles, was er bisher gesehen hat.

Dennoch wurde gestern Nacht erst wieder Sanaa bombardiert und sogar das Haus des omanischen Botschafters beschädigt. Es scheint, als wäre jegliche Vernunft in diesem Konflikt schon lange verloren gegangen.

Der Mangel ist allgegenwertig

Mangel ist ein Wort, das man bei der Beschreibung der humanitären Lage im Jemen öfters gebrauchen kann. Inwiefern ein Land, das vor Beginn der Krieges 90% seiner Nahrungsmittel, 70% seines Benzins und nahezu alle Medikamente importieren musste, auf freien Warenverkehr angewiesen ist, sollte klar sein. Dennoch richteten sich von Beginn des Konfliktes die Angriffe gegen die Infrastruktur. Der letzte funktionierende Flughafen in Sanaa wurde bereits Ende März zerstört, was Hilfslieferungen aus der Luft unmöglich machte. Der Hafen von Hobeida, der im Norden des Landes liegt und ein Knotenpunkt für den Warenverkehr ist, wurde im August massiv angegriffen und eine Seeblockade auferlegt, die bis heute noch anhält. Sowohl der Flughafen als auch der Schiffhafen waren zum Zeitpunkt ihrer Zerstörung unter Kontrolle der Houthis, weswegen diese Vorwürfe an die saudische Luftwaffe richteten. Auch Stephen O’Brien von der UN bezeichnete die Angriffe auf Hobeida „inakzeptabel“ und als „Verstoß gegen internationales humanitäres Recht“.

Insbesondere die Seeblockade erschwert die Lieferung von humanitären Gütern ins Land. Saudi Arabien hat ein Kontrollsystem eingerichtet, bei der jedes Schiff in einem langen Verfahren nach Waffen durchsucht wird. Ein zu langes Verfahren für viele, weswegen auch von Seitens alternativen Vorgeschlagen wurden, die jedoch mangels Geld nicht umgesetzt werden konnten.

So fehlt es im Jemen von Wasser, Nahrung bis Benzin und Arznei an allem. Im Jemen schaue es nach 5 Monaten so aus wie in Syrien nach 5 Jahren, sagte ein UN-Arbeiter. Die katastrophale humanitäre Lage liegt größtenteils daran, dass das Land vor dem Konflikt schon als Armenhaus Arabiens angesehen wurde. Während vor dem Krieg mehr als die Hälfte der Jemeniten unter der Armutsgrenze lebten und über 60% eine Form von Hilfsleistungen benötigten, sind diese Anzahl seit März explodiert. 14 Millionen Menschen seien unternährt, davon 1,3 Millionen Kinder. Zehn der 21 Provinzen im Land wurden von der WFP mit dem Level emergency klassifiziert, ein Level unter famine, Hungersnot. Auch der Mangel an Benzin macht den Menschen zu schaffen, ohne Treibstoff gibt es kaum Strom und damit kaum Trinkwasser, da die Pumpen nicht gestartet werden können.

Saudi Arabien unter Kritik

Auch unter den Gesichtspunkten werden die Vorwürfe an der saudischen Regierung immer schwerer. Während die UN zumindest in ihren veröffentlichten Berichten die Blockade des Landes durch Saudi Arabien nicht erwähnt, formulieren andere deutlich drastischere Vorwürfe. Amnesty International bezichtigt alle Konfliktparteien internationales Recht gebrochen zu haben, seit Beginn des Konfliktes im Schnitt 43 pro Tag. Insbesondere die saudische Luftwaffe wird heftig kritisiert. Sie solle ohne Rücksicht auf Zivilisten bombardieren und auch geächtete Streubomben eingesetzt haben, laut AI.

Besonders die Zerstörungen der Infrastruktur sind verheerend. Jemens Außenminister sagte vor der UN, dass der Krieg die Entwicklungen von Jahrzehnten ausradierte habe. Brücken, Krankenhäuser und sogar Schulen seien immer Ziel von Angriffen gewesen, laut AI hat beispielsweise die saudische Regierung in mindestens drei Fälle Schulen angegriffen und teilweise komplett zerstört.

Das lässt Widerstand aufkommen. Insbesondere in Großbritannien, die allerhand Waffen an das saudische Militär verkaufen. Waffen, mit denen auch internationales Recht gebrochen wird. Deswegen gibt es in der britischen Regierungen die ersten leisen Bedenken, durch die Beteiligung am Konflikt im Jemen wegen Kriegsverbrechen angezeigt zu werden. Während diese Kritik zumindest auf der Insel einen Blick auf die humanitäre Situation lenken lässt, verhalten sich die restlichen Länder relativ ruhig was den Konflikt betrifft.

Der vergessene Krieg

Nicht zuletzt deswegen wird der Jemen auch als der vergessene Krieg bezeichnet, zu wenig steht das Land im medialen Blickpunkt. Während in Syrien die meisten Geschehnisse in den Leitmedien Einklang finden, schweigen ebenjene wenn es um den Einsatz von Splitterbomben oder der Bombardierung eines Krankenhauses im Jemen geht.

Auch Regierungen, die mit Saudi Arabien verbündet sind, schweigen im Anbetracht des Krieges dort. Die wenigen offiziellen Erklärungen sind größtenteils nicht mehr als bloße Aufrufe, die so scheint es mehr Alibi-mäßig gemacht werden.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Abrahan Garcia

Angehender Orientalist

Abrahan Garcia

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