Der Sturz des Pharao

Muslimbruderschaft Die Revolution nach der Revolution lässt Ägypten nicht zur Ruhe kommen. Nun droht der Kampf um die Macht zu eskalieren

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Protest gegen Mohammed Mursi auf dem Tahrir-Platz in Kairo, November 2012
Protest gegen Mohammed Mursi auf dem Tahrir-Platz in Kairo, November 2012

Foto: Y. Weeks/VOA (CC)

Mit dem Todesurteil für 529 Mitglieder der Muslimbruderschaft rückt nun wieder das Thema Ägypten in unsere Medien. In einer Massenanklage verurteilte das ägyptische Militärregime insgesamt 1200 Muslimbrüder, die im Zuge der Demonstrationen nach der Absetzung von Präsident Mohammed Mursi Anschläge und Überfälle auf Polizei und Militär ausgeübt haben sollen. Die Verteidiger der Angeklagten kritisierten das Urteil und sprachen von einer Farce, einem Schauprozess. Damit erreicht der Machtkampf im Land der Pharaonen seinen nächsten traurigen Höhepunkt.

Rückblick: Nach dem Sturz des westlichen Diktators Hosni Mubarak kam es in Ägypten zu den ersten freien Präsidentschaftswahlen im Juni 2012, aus der Mohammed Mursi als Sieger hervorging und er somit als der erste demokratisch gewählte Präsident Ägyptens in die Geschichte des Landes einging. Doch Mursi, ehemaliges Mitglied der Bruderschaft, machte innenpolitisch viele Fehler, sodass er ein Jahr nach seiner Machtübernahme vom Volk wieder gestürzt wurde.

Ägypten hatte schon zu Zeiten von Mubarak eine abgewandelte Militärjunta, mit einer extrem mächtigen Armee, die den Staat im Staate bildete. Mursi versuchte, diese politische Macht des Militärs zu superieren und verstrickte sich in diverse Machtkämpfe mit der Justiz und der Armee. Anders als beispielsweise die Islamische Revolution im Iran, in deren Zuge alle ehemaligen Regime-Anhängern sowohl in Justiz, Armee und Staat entfernt wurden, blieben diese in Ägypten auch nach dem Sturz von Mubarak größtenteils im Amt. Zusammen mit den wirtschaftlichen Problemen, unter anderem dem Zusammenbruch des Tourismus, und dem sehr autokratischen Führungsstil von Mursi, führte dies schließlich zu seiner Absetzung.

Obwohl er durch seine Außenpolitik durchaus Anhänger gewinnen konnte, durch die Annäherung an den Iran, der offenen Unterstützung für die Hamas in Palästina und es seinem Engagement zu verdanken war, dass die israelische Offensive "Operation Wolkensäule" im Gaza-Streifen November 2012 relativ schnell beendet wurde, verlor Mursi schnell das Vertrauen der Bürger.

Auch wenn man davon ausgehen kann, dass seine Dekrete, mit denen er sich über die Verfassung und das Militär stellen wollte, dem tobenden Machtkampf mit der Armee geschuldet waren, versuchte Mursi sich als neuer Pharao zu gerieren, so Friedensnobelpreisträger El-Baradei. Auch die zahlreichen Massenproteste und Straßenschlachten mit vielen Opfern zwischen Mursi-Anhängern und Gegnern brachten das Land schließlich an den Rand des Chaos, bis das Militär, unter dem Jubel der Bevölkerung, einschritt und die Regierung stürzte. Damit wurde Ägypten offiziell das, was es schon immer war, eine Militärjunta.

Die momentanen Anklagen gegen die Mitglieder der Muslimbruderschaft gehen auf die Proteste im Juli 2013 nach dem Sturz von Mursi zurück. In deren Zuge kam es zu regelrechten Straßenschlachten zwischen den Muslimbrüdern und der Armee mit vielen Toten und Verletzten. Die genauen Vorwürfe der Justiz beziehen sich auf die Räumung zweier Protestlager der Muslimbruderschaft, bei der mehr als 600, andere Quellen sagen 2600, Menschen gestorben sind. Auch in den darauffolgenden Monaten kam es immer wieder zu Zusammenstößen zwischen Demonstranten und Sicherheitskräften sowie zu einigen Anschlägen auf Polizisten. Wobei man dabei betonen muss, das diese von einer al-Qaida nahen Terrorgruppe verübt worden waren und die Muslimbrüder sich ausdrücklich davon distanzierten.

An dieser Stelle ist es wichtig, die Organisation der Muslimbruderschaft genauer zu betrachten. Sie wurde von einem sunnitischen Geistlichen 1928 gegründet, der sich gegen die Mandatsmacht der Briten in Ägypten auflehnen wollte. Ihr Ziel war es damals, im säkularen Umfeld der britischen Herrschaft islamische Moralvorstellungen und eine Befreiung von der westlichen Okkupation durchzusetzen. Auch wenn sie sich in der Vergangenheit immer wieder radikalisierten, unterscheidet sich die Muslimbruderschaft doch sehr von den extremistischen Gruppierungen wie ISIS oder Al-Nusra, da sie eher eine Bewegung darstellt als eine bloße Kämpfergruppe.

Die Muslimbrüder unterhalten sehr viele karitative Einrichtungen sowie Krankenhäuser und Schulen, ähnlich wie die Gülen-Bewegung in der Türkei, aber eben in einer radikaleren Form, da sie den bewaffneten Kampf und auch das Martyrium nicht ablehnen. Schon früh spalteten sich die radikaleren Gruppen von der Muslimbruderschaft ab, so dass ein Vergleich mit der al-Qaida tatsächlich nicht sinnvoll ist.

Demgegenüber hat man in Syrien beobachten können, dass sich der bewaffnete Kampf der Muslimbrüder durchaus mit dem von Extremisten vergleichen lässt. Der Machtkampf mit der Baath-Partei von Hafiz Al-Assad, der im Massaker von Hama seinen Höhepunkt fand, zeigt die Gefahr der Bewegung. Obwohl man dies durch die heutige Mitgliedschaft der Muslimbrüder im Syrischen Nationalrat revidieren kann, da sie dort den Djihad ablehnen und auch der palästinensische Zweig der Bewegung, die Hamas, vom Assad-Regime unterstützt wird.

Selbst wenn man die Ausuferung der Gewalt in Ägypten, die von den Muslimbrüdern provoziert wurde, verurteilt, muss man feststellen, dass diese, wie immer, beiderseitig bedingt war. Sowohl die Demonstranten als auch die Sicherheitskräfte haben zu der Eskalation beigetragen. So starben in einem überfüllten und überhitzten Gefangenentransport 37 Muslimbrüder, nachdem dieser stundenlang in der Sonne stand und Polizisten Tränengas in den Waggon sprühten, als die Inhaftierten unruhig wurden. Nach einer versuchten Vertuschung war es einem Guardian-Reporter zu verdanken, dass das Verbrechen ans Licht kam und schließlich von der ägyptischen Justiz aufgenommen wurde.

Insofern ist es interessant, wie andere Staaten zu der momentan Regierung stehen. Die Amerikaner haben sich gescheut, denn eigentlichen Putsch als Putsch zu bezeichnen, denn eine Anerkennung des Aktes als ein Putsch würde ihnen laut US-Verfassung verbieten, das ägyptische Militär weiterhin mit Geldern zu unterstützen, rund 1,5 Milliarden USD werden jährlich überwiesen, was für Obama wiederum den Verlust des letzten Druckmittels auf die Ägypter bedeuten würde. Die neue ägyptische Verfassung reformierte zwar das System und machte es demokratischer, jedoch festigte es auch die Rolle des Militärapparates, außerdem wurde die Abstimmung über die Verfassung im Januar Wahlbeobachtern nach von einem Klima der Einschüchterung begleitet.

Es gäbe viele Gründe, die jetzige Regierung zu kritisieren und sogar zu sanktionieren, davor wird sich der Westen jedoch hüten. Der ausurfernde Terror auf den Sinai-Halbinsel hat gezeigt, wie wichtig ein stabiles und starkes Ägypten für die eigenen Interessen ist. Mubarak wurde aus diesem Grund, ähnlich wie Gaddafi, geduldet, obwohl sein repressiver Herrschaftsstil kein Geheimnis war. Zwar ist Israel nicht mehr abhängig von den ägyptischen Rohöl-Lieferungen, da sie mittlerweile ihren eigenen Bedarf decken, doch hat vor allem die Macht der Muslimbruderschaft die palästinensische Hamas erstarken lassen, was Israels Sicherheit gefährdete. Und ein stabiles Israel ist besonders im Bezug der Erdgas-Exporte für den Westen als Alternative zu Russland interessant.

Die Verurteilungen, die das Land überhaupt in den Fokus rücken, sind nur eine Überspitzung der schon lange herrschenden Gewalt. In Syrien hat es ein Massaker mit 30.000 Toten gebraucht, um den Machtkampf zwischen den Muslimbrüdern und der Regierung zu beenden. Dabei ist in Ägypten die Bruderschaft größer und stärker vertreten.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Abrahan Garcia

Angehender Orientalist

Abrahan Garcia

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