Die Macht der Bilder

Propagandaschlacht Syrien In kaum einem Konflikt werden mehr gegensätzliche Meldungen oder Vorwürfe benutzt, wie in Syrien. Wie umgehen damit?

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Im Krieg ist das erste was stirbt, die Wahrheit. Das war schon zu Zeiten des 1.Weltkrieges bekannt; und war eine der Wege mit denen US-Republikaner Anfang der 20er Jahre versuchten, einen isolationistischen Kurs in der Außenpolitik zu begründen. Was damals schon stimmte, ist in den heutigen Zeiten der globalen Vernetzung umso bedeutender geworden. Nach dem medialen Fiasko im Vietnamkrieg, lernten vor allem die USA die Macht der Bilder zu schätzen und passten ihre Strategien an. Während damals noch Fotografen wie Don McCullin zwischen den Frontlinien agieren konnten und den Realismus des Krieges, mit all seiner Grausamkeit, aufsaugen und in ihren Bildern wiedergeben, ist in späteren Konflikten sowas nur noch vereinzelt geschehen. McCullin, seiner Zeit eine absolute Reporterlegende, wurde im Falklandkrieg von der britischen Regierung verboten, die Truppen zu begleiten.

Auch andere Regierungen orientierten sich an diesem Beispiel. Die USA führten 2003 für den dritten Golfkrieg die embedded journalists ein; handverlesene Reporter, die den Krieg aus dem von den Militärs erlaubten Blickwinkel erleben. Man wusste, was Bilder bewirken können. Auch die israelische Regierung merkte nach dem Libanonfeldzug 2006 wie sehr die öffentliche Meinung von aufgenommenen Fotos abhängig sein kann und versuchte mit einer Mediensperre in späteren Konflikten dagegen zu steuern; wenn auch nicht besonders erfolgreich. Spätestens ab dem Punkt war klar, dass ein Krieg nicht nur durch Waffen und Geld gewonnen werden kann, sondern auch durch Bilder.

Propaganda als Kriegsmittel

Aktuell sieht man das bei verschiedenen Konflikten. Sowohl der im Jemen, wo sich beispielsweise fast komplett unsichtbar für die meisten internationalen Medien die ersten Beweise erhärten, dass international geächtete Clusterbomben eingesetzt wurden; oder auch in Syrien. Dort ist der Kampf der Bilder schon längst im Gange.

Nahezu alle Konfliktparteien haben die Bedeutung vom medialen Echo erkannt. Von Daesh, die in professionalisierter Grausamkeit mit Videos und lancierten Meldungen versuchen gezielt einen Nimbus aufrecht zu erhalten; der syrischen Regierung, die alte westliche Strategien kopiert hat und nahezu alle gegnerischen Parteien als Terroristen abstempelt; und den zahllosen Milizenverbänden, deren Verbrechen aus strategischer oder tatsächlicher Blindheit teilweise ignoriert werden.

Für Journalisten ist diese Situation in weiten Aspekten unüberschaubar, insbesondere wenn diese aus dem Ausland stammen. Im Gewirr von sechs ausländischen Regierung, zwei größeren Terrororganisationen, geschätzt 1000 oppositionellen sowie einige Dutzend pro-Regierungsmilizen ist es schwer, an wirklich belastbare Informationen zu gelangen. Vor allem da die Propagandamaschinen auf allen Seiten munter laufen. Als ausländischer Beobachter ist man dadurch letztlich auf Informationen aus zweiter Hand angewiesen; und muss mehr oder weniger lernen, diese einem kritischen Bewertungsprozess zu unterziehen.

Deutsche Medien haben damit nicht wirklich angefangen; sowohl in Print- als auch Fernsehmedien wird über den Konflikt in Syrien eher allgemein in eine bestimmte Richtung berichtet. Die meisten Meldungen stammen dann auch aus den größeren Nachrichtenagenturen wie AFP oder Reuters, ebenso vielfach aus der Syrian Observatory for Human Rights. Dabei ist es interessant, dass sogar innerhalb des SOHR Streit herrscht: Es gibt zwei Websites, die beide in Anspruch nehmen die Richtige zu sein. Obwohl nahezu alle großen Medien, von BBC über CNN, größtenteils das SOHR als Quelle nutzen, ist es letztlich ein Ein-Mann Betrieb. Mit einer Sprecherin in Teilzeit.

Auf der Suche nach Wahrheit

Ein letztliches Bild über die Geschehnisse zu bekommen, ist fast unmöglich. Das ist insofern wichtig, da man als unparteiischer Beobachter immer wieder die Meldungen miteinander vergleichen muss. Wenn die USA eine relativ deutliche Kampagne starten und gestützt mit einem Bericht von Amnesty International zivile Tote durch russische Luftangriffe anklagen, so gilt es andererseits ebenso zu ergründen, wie es mit US-geführten Bombardements ausschaut. Das werden die Militärs in den seltensten Fällen offen zugeben. Und selbst wenn, nicht mal dann kann man eine verlässlichere Aussage treffen. Denn kein offizieller Regierungsvertreter wird nach Angriffen die Orte durchkämmen und Tote zählen.

Noch ungenauer sind insbesondere westliche Medien wenn es um die oppositionellen Kräfte geht. Während zumindest Daesh in den meisten Infografiken eine gesonderte Farbmarkierung erhält, sind Rebellen meistens als monolithischer Block dargestellt; was falscher nicht sein kann. Während zwar immer öfter auch Milizen wie Jaish al Islam, Ahrar wa-Sham neben Jabhat al-Nusra und der Freien Syrischen Armee genannt werden, so ist das immer noch nicht mehr als ein grober Überblick über eine äußerst komplizierte Situation. Mit wechselnden Allianzen und Milizen, die genauso schnell verschwinden, wie sie aufgekommen sind, lässt sich schwer zuverlässig arbeiten. Ganz zu schweigen, wenn diese untereinander ziemlich große Meinungsunterschiede haben und widersprüchlich bewertet werden. Die Kritik an der Berichterstattung über den Tod von Zahran Allush, den Führer von Ahrar al-Sham, sei nur ein Beispiel von vielen.

Aktuelles Beispiel: Madaya

Die Widersprüchlichkeit in den Darstellungen verschiedener Seite sieht man in der belagerten syrischen Stadt Madaya. Laut westlichen, regierungskritischen Medien wird diese von der Regierung bzw. der Hisbollah belagert und ausgehungert. Schlagzeilen wie „Assad lässt 40.000 Menschen hungern“ haben nicht allzu lange auf sich warten lassen, nachdem die Geschichte um die Welt ging. Der allgemeine Tonus lautet: Syrische Regierung und Hisbollah lassen Menschen in Madaya verhungern.

Doch ist das die ganze Wahrheit – oder nur ein Teil des Gesamtbildes? Wenn ja, was sind die fehlenden Teile des Puzzles? Hier ein Versuch:
Laut UN hat das Rote Kreuz zusammen mit dem Roten Halbmond am 18.10.2015 zuletzt eine größere Warenladung in die Stadt gebracht. Angeblich so viel, dass es für mehrere Monate reichen müsste. Andere sagen, Teile der Ladung seien bereits verdorben gewesen.
Warum hungern die Menschen dann trotzdem? Eine Gegenerklärung, die kursiert: Die Rebellen, die Madaya halten, halten systematisch die Hilfslieferung unter Verschluss, versorgen sich selbst und verscherbeln die Güter für viel Geld an die Bewohner.
Wer hält überhaupt die Stadt? Auch dazu widersprüchliche Angaben. Während die meisten deutschen Medien keine Namen nennen, existieren dazu auch konkrete Zahlen: 600 Kämpfer seien in der Stadt, 60% Ahrar al-Sham, 30% Al-Nusra und einige von der FSA.
Wieso fliehen die Menschen nicht? Wer hindert sie daran? Größtenteils gibt es keine Antworten darauf. Vorwürfe werden in beide Richtungen gemacht. SOHR beschuldigt die Hisbollah zwei Menschen, die fliehen wollten, getötet zu haben. Diese bekennen derweilen, dass sie die Stadt gar nicht belagern. Den Rebellen wird auf der anderen Seite vorgeworfen die Menschen als Schutzschilde zu missbrauchen.

Es ist mehr als unklar, wer letztlich die Hauptschuld an Madaya trägt – und das sollte zum jetzigen Zeitpunkt auch keine Rolle spielen. Was letztlich sicher feststeht: Menschen hungern, sind teilweise bereits verhungert und benötigen Hilfe. Die syrische Regierung hat bereits verkündet, diese auch zuzulassen, doch näheres zur Umsetzung ist zum jetzigen Zeitpunkt nicht bekannt.

Die UN begrüßt lediglich in einer vagen Pressemitteilung die Entscheidung der Regierung. Sie betonen, dass insgesamt 400.000 Syrer in belagerten Städten leben und mahnt alle Konfliktparteien Zivilisten zu schützen. Auch hier keine detaillierten Informationen.

Vielleicht ist es einfach unrealistisch zu erwarten, dass man Konflikte in der Gegenwart vollends erötern kann. Vielleicht ist es ein Charakteristikum, dass man die letztliche Wahrheit, oder was dieser nahe kommt, erst nach und nach entschlüsseln kann. Bis dahin sollte man zwar deswegen nicht die komplette Berichterstattung ignorieren, aber zumindest mit einem oder zwei kritischen Augen beobachten.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Abrahan Garcia

Angehender Orientalist

Abrahan Garcia

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