Hamed Abdel Samad

Eine kritische Reflexion Abdel Samads neues Buch will provozieren - das tut es auch. Jedoch anstatt zu antworten, bedient er Vorurteile. Was daran falsch ist und was an dessen Thesen falsch ist.

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Hamed Abdel Samad hat ein neues Buch geschrieben: "Mohammed - Eine Abrechnung". Darin will er aufräumen mit der Mystifizierung des Propheten, sein Leben und seine Taten kritisch untersuchen, ihn "begraben". Samad möchte die Muslime aus der Reserve locken, sie zur Reflektion über ihre Religion bringen und eine Reformation einleiten, weswegen er von einigen alternativ-rechten Medien auch bereits als Martin Luther des Islams bezeichnet wurde.

Jedoch ist fraglich, ob ihm das gelingen wird. Ähnliches wollte er bereits in seinem früheren Buch "Der islamische Faschismus - Eine Analyse" erreichen, mit kaum spürbaren Erfolg. Vielleicht liegt das an der Härte seiner Thesen, immerhin verlangt er von Muslimen viel. Samad möchte nicht nur eine kritische Reflektion über den Propheten, sondern eine Abschwörung. Das ist schwierig, denn Mohammad ist ein zentraler Bestandteil im Islam: Er ist Teil des islamischen Glaubensbekenntnisses und jeder Gläubige soll wenn immer er dessen Name erwähnt, den Zusatz "Frieden und Segen sei auf ihm" hinzufügen. Schwierig, plötzlich eine Kehrtwende zu machen und den Propheten als "krankhaften Tyrann", "Kriegsfürsten" und "Massenmörder" zu betrachten.

In der Zeit veröffentlichte er einige Abschnitte seines Buches, die seine zentralen Thesen beinhalten. Beispielhaft sollen im Folgenden zwei davon analysiert werden:

1. These: Die letzten Suren des Koran legten mit ihrer Kriegsverherrlichung und Verdammung der Ungläubigen die Saat der Intoleranz. Da der Koran als das ewige Wort Gottes gilt, das für alle Zeiten Gültigkeit hat, sehen heutige Islamisten die alten Kriegspassagen als Legitimation für ihren weltweiten Dschihad.

Es ist schwierig, eine der religiösen Kernfragen im Islam in einem Satz, Absatz oder gar einer Seite zu umfassen. Der Gründer der malekitischen Rechtsschule, Malik ibn Anas, sagte einst: "Diese Religion ist eine Wissenschaft, also achte darauf, von wem du sie lernst". Damit beziehte er sich auf die großen theologischen Dispute, die nach dem Ableben es Propheten und den vier rechtmäßigen Kalifen entstanden sind. Der größte und auch wichtigste Streit war der um die Bedeutung des Korans, der in der Minha (Inquisition) mündete, die der Abbasiden-Kalif al Ma'mum ausrief. Dabei wurde jedem religiösen Theologen die Frage gestellt, ob der Koran von Gott erschaffen sei oder unerschaffen. Um diese Frage drehte sich der damalige Streit zwischen Traditionalisten und Rationalisten (Mu'tazila).

Für die Traditionalisten war der Koran unerschaffen, Teil von Gott, ewig, göttlich. Somit stand es dem Menschen nicht zu, diesen zu interpretieren oder neu zu lesen; während die Rationalisten den Koran zwar als heilig ansahen, aber durchaus als interpretierbar. Sie brachten den menschlichen Geist in die Religion mit ein. Der Theologe Abd al-Jabbar argumentierte, dass Gottes Offenbarung im Koran alleine nicht ausreiche, um die Wahrhaftigkeit Gottes zu erfahren, sondern dies erst mit der Einbindung der menschlichen Vernunft geschehen kann. Eine der hartnäckigsten und standhaftesten Verteidiger der Position der Traditionalisten war Ahmad ibn Hanbal, der später die gleichnamige erzkonservative Rechtsschule begründete, auf die sich Salafisten, Wahabiten und nicht zuletzt auch Dschihadisten berufen. Al Ma'mum war übrigens der letzte Kalif, der politische und religiöse Macht besaß. Nach der Minha gab es eine Teilung zwischen politischer Authorität, die den Herrschern blieb, und religiöser Authorität, die an die Ulama übertragen wurde, den Rechtsgelehrten.

Diese kurze Geschichte soll eines zeigen: Samads obige These gilt sicherlich für bestimmte Konfessionen im Koran, aber sie in der Pauschalität zu formulieren ist schlichtweg falsch. Der Islam an sich, und vor allem der schiitische Islam, haben verschiedene Disziplinen der Rechtsfindung, die von Streitgesprächen (kalam) über Analogieschlüssen (quiyās) bis zu eigenen Lehrmeinungen (Idschtihād) gehen. Einfach zu behaupten, der Koran sei die einzige Quelle des Rechts und auf ewig gültig, ignoriert das Konzept der Fiqh und ist deswegen falsch. Die Rolle der Vernunft übrigens ist auch heute noch ein Streitpunkt in der theologischen Welt.

2.These: Sunnitische Gelehrte, die den sexuellen Dschihad unterstützen, berufen sich auf den Propheten, der seinen Soldaten während langer Kriege erlaubte, "Genuss-Ehen" mit Frauen zu schließen. Hier spielt die Frage nach der Moral keine Rolle, denn es geht um ein noch höheres Prinzip: den Dschihad.

Damit will Samad die Rolle von Mohammad im Bezug setzen mit der Frauenfeindlichkeit, die in vielen islamischen Ländern herrscht. Prinzipiell trifft er dabei einen Punkt, der wichtig ist. Frauenfeindlichkeit ist ein großes Problem. Aber kein islamisches, sondern ein menschliches. Insbesondere in Schwellen- und Entwicklungsländern ist dieses Problem schwerwiegend: Diskriminierung, sexuelle Belästigung und auch Gewalt gegenüber Frauen sind große Thematiken, die angegangen werden müssen. Jedoch ist es wichtig, dieses Problem nicht als rein islamisch zu kennzeichnen. In Teilen Indiens brauchte es keinen Islam für die Massenvergewaltigungen, ein Ehemann muss nicht Moslem sein, um seine Hand gegenüber seiner Frau zu erheben und es braucht nicht die Lehren des Koran, um Frauen im Beruf zu benachteiligen.

Samad macht in diesem Punkt einen schweren Fehler, in dem er das Problem einer paternalistischen Gesellschaft mit religiösen Fragen vermischt. Im Kern trifft er eine wichtige Aussage, denn Frauenfeindlichkeit existiert insbesondere in den konservativen Teilen der islamischen Welt und ein Prozess, der dagegen arbeitet, ist von großer Bedeutung. Aber dafür sollte man auch die Sachlage richtig einordnen. Die Vergewaltigungen von Daesh beispielsweise, sind kein Zeichen für die Verankerung von sexueller Gewalt im Islam, sondern der Verankerung von sexueller Gewalt in Kriegen. Ob europäische Soldaten in Mali oder Rebellen in Südsudan, Vergewaltigung ist eine Urwaffe im Krieg, die nicht allein zu Zeiten des Propheten angewendet wurde. Dieser Unterschied ist wichtig zu vollziehen.

Übrigens: Um die Frauenfeindlichkeit im Islam zu belegen,zitiert Samad den Theologen as-Suyuti (wenn auch mit Schreibfehler). Dabei gilt dieser als moderner Scholastiker, der beispielsweise die These vertrat, dass die Suren im Koran, die zu Gewalt aufrufen, als wirkungslos zu betrachten sind.

Was Samad erreichen will, eine Reflexion über den Islam zu generieren, wird ihm mit diesem Buch nicht gelingen. Dafür provoziert er zu viel, polemisiert er, ist zu populistisch. Darum wird ein Großteil seiner, wie er zumindest behauptet, Zielgruppe, die Muslime, das Werk ignorieren. Bei den 57% der Deutschen, die den Islam als Bedrohung wahrnehmen, wird das Buch hingegen gut ankommen. Weil es ihre Vorurteile stützt. Vor allem da Samad eine wissenschaftliche, sachliche Arbeit imitiert und deswegen die Leser seine Thesen als fundiert ansehen werden. Wenn Samad eine tatsächliche Neuauslegung des Islams erreichen möchte, sollte er wie Nasr Abu Zaid oder Reza Aslan an die Vernunft der Gläubigen appellieren. Anstatt den radikalen Luther, den Kant geben. Mit seinem neusten Buch erreicht er hingegen nun eins: Gute Verkaufszahlen.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Abrahan Garcia

Angehender Orientalist

Abrahan Garcia

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