Syrien

Everbody's Vietnam Nichts neues aus Syrien. Die Kämpfe gehen weiter, der Prozess scheitert weiter. Der Konflikt entwickelt sich zum Sumpf der Mächte.

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Es war für bestimmte Kreise einer der erfreulichsten Nachrichten seit langer Zeit. Einheiten der Nur al-Din al Sink-Brigade, eine der vielen Gruppen der Freien Syrischen Armee (FSA), eroberten Anfang April im Norden von Syrien in einer groß angelegten Offensive die Grenzstadt al-Rai von Da’esh. Unterstützt wurden sie dabei von Artilleriefeuer der türkischen Armee und massiven Luftschlägen von US-Jets. Mindestens die türkische Regierung hatte bereits im Vorfeld die Einheiten der FSA aufgerüstet und als verlängerter Arm in Syrien aufgebaut; der Einsatz in al-Rai sollte ihre Feuerprobe sein. Auch deswegen war die Freude groß: Ein kontrollierbarer, gemäßigter Rebellen-Verband bot Da’esh die Stirn und entriss ihnen eine Stadt. Das war ein großer strategischer Erfolg, der weitreichende Auswirkungen hätte haben können.

Doch die Ernüchterung kam prompt. Nach nicht einmal drei Tagen setzte Da’esh zum Gegenschlag aus, eroberte al-Rai zurück, verdrängte die FSA-Brigade und bemächtigte sich ihrer Ausrüstung. Es war nicht das erste Mal, dass ausländische Regierungen versucht haben, über die Unterstützung von Rebellengruppen einen Hebel in Syrien zu installieren. Es war auch nicht das erste Mal, dass der Plan gescheitert ist. Beispielsweise mussten 2015 US-Generäle vor einem Ausschuss zugeben, wie ein 500 Millionen USD schweres Projekt zur Aufrüstung von syrischen Rebellen im Kampf gegen Da’esh komplett an die Wand gefahren wurde. Konstatiert mussten Strategen der Anti-Assad-Linie feststellen, dass es nicht so einfach war, mit Ausbildung und Waffenlieferungen auch direkte Kontrolle über die Gruppen zu erhalten. Ein syrischer Rebell berichtete in einem Portrait, wie er nach monatelangen Training in Katar mit frisch gesponserten Waffen an die Front zurückkehrte, um Extremistengruppen zu bekämpfen, aber letztlich lieber gegen die syrische Regierung vorgehen wollte. Aus menschlicher Sicht für einen syrischen Mann, der seinen besten Freund durch Scharfschützen des Regime verlor, verständlich, aber für die fernen Strategiezentren eine verzwickte Situation.

Der Rebell, interviewt in einem Safe House in der Türkei, sprach über die Unmöglichkeit sowohl gegen die Regierung als auch Extremistengruppen vorzugehen, besonders da bei einem jener Verbände, dem al-Qaida Ableger Jabhat al-Nusra, viele sunnitische Männer aus Syrien selbst kämpfen. Da al-Nusra zudem die rigorosere Opposition zur verhassten syrischen Regierung darstellt, verschwimmen die Grenzen zwischen ihnen eher als das sie aufgehen.

Es ist eine komplexe Lage in Syrien mit vielen Akteuren und divergierenden Taktiken. Saudi Arabien war vermutlich bei der Aufrüstung der FSA nicht beteiligt. Stattdessen starteten sie 2013 eine Trainingsmission für Jaish al-Islam (JAI), die aus dem Zusammenschluss mehrerer Gruppen im Osten von Damaskus entstand. Damit stieg Riad in den zwei Fronten Krieg ein: Gegen al-Qaida und gegen die syrische Regierung. Geführte wurde die Gruppe von Zahran Alloush, dessen Vorgängergruppe zu den effektivsten Kampfverbänden um Damaskus zählte. Alloush, der einst von einer Säuberung Syriens von Alawiten und Schiiten sprach, starb während einer Waffenruhe durch einen russischen Luftschlag Ende 2015. Das kam kurz nachdem Saudi Arabien in Riad eine Konferenz veranstaltete, bei der neben JAI auch Ahrar asch-Sham teilnahm. Beide Gruppen sollten damit als moderat und unterstützungsfähig angesehen werden, der russische Luftschlag hat das ziemlich schnell verpuffen lassen. Heute ist JAI sowohl Teil der Islamischen Front (Wirkbereich Idlib) als auch der Kommandozentrale Fatah al-Halab (Wirkbereich Aleppo), hat ihr Kerngebiet jedoch weiterhin im Osten von Damaskus in Ghouta. Dort kam es diese Woche zu heftigen Gefechten mit al-Nusra, nachdem es zuvor schon Spannungen zwischen beiden existierten, bei denen eine dreistellige Anzahl an Menschen getötet wurde. Ahrar asch-Sham, die Verbindungen zu beiden Gruppen unterhalten, bleiben bei diesem Konflikt währenddessen neutral.

Asch-Sham beteiligte sich stattdessen an einer Offensive zusammen mit al-Nusra im Süden von Hama und eroberte vor wenigen Tagen von der syrischen Armee das Dorf al-Zahra. Dabei kam es zu einem Massaker an Alawiten: Mindestens 19 Frauen und Kinder wurden von Kämpfern der Verbände in ihren Häusern erschossen. Momentan läuft die Gegenoffensive, in der mit Hilfe der russischen Luftwaffe versucht wird, das Dorf zurückzuerobern. Das ist nicht unbedingt selbstverständlich: Letzte Woche noch zogen sich russische Jets aus dem Norden Syriens zurück und ließen somit die dortigen pro-Regierungsverbände ohne Luftunterstützung. Auch nachdem Rebellengruppen mehrere Angriffe starteten und in Khan Tuman im Süden von Aleppo den wohl blutigsten Tag im bisherigen Konflikt für iranische Streitkräfte verursachten. Bei der Offensive, die unter der Koalition Jaish al-Fatah geführt wurde, nahmen neben asch-Sham und al-Nusra ebenso die Turkestan Islamic Party (TIP) teil. Die TIP ist ein chinesischer Verband, der in Khan Tuman seine eigene Feuerprobe überstand und sich als schlagkräftige Gruppe präsentieren konnte. Ihren letztlichen Einstand in Syrien zementierten sie mit der Exekution von zwei gefangen genommenen iranischen Soldaten. Momentan wird die Gegenoffensive vorbereitet mit Berichten von über 500 eingeflogenen Iranern, die bestehende Verbände stärken sollen. In den nächsten Tagen wird diese anrollen.

Auch an anderer Stelle kam es zu Gebietsverlusten für die Regierungsseite, unter anderem etwas weiter südlich von Aleppo in Tal al-Eis, die ebenso dem Fehlen russischer Luftunterstützung zugerechnet wurden. Auf der einen Seite offenbart es die Tatsache, dass Russland und Iran nicht unbedingt die gleichen Interessen in Syrien teilen. Moskaus leichter Rückzug wird als Zugeständnis für den diplomatischen Prozess gewertet, immerhin herrscht momentan Waffenruhe in Teilen Syriens, zumindest auf dem Papier. Obwohl al-Nusra davon eigentlich ausgenommen ist, ließ Moskau einen Großteil seiner Jets auf dem Boden und sendete damit zum einen aus, dass sie bereit für Zugeständnisse sind und zum anderen, dass sie die syrische Regierung nicht auf Teufel komm raus unterstützen werden. Innerhalb eines halben Jahres konnten Assads Truppen immerhin weite Teile Syriens erobern und eine massive Eroberungskampagne starten. Es gab jedoch früher schon Unstimmigkeiten zwischen Moskau und Damaskus. Die jüngste betrifft Aleppo, das Syriens Führung unbedingt erobern möchte. Ambitionen, die man in Moskau nicht unbedingt teilt.

Dort wie der Fokus auf den diplomatischen Prozess gelegt, der zusammen mit den USA wieder neu angefacht werden soll. Man konnte kurzzeitig sehen, wie schnell die Konflikte in Syrien wieder eskalieren können, als Aleppo unter heftigen Beschuss geriet und neben Krankenhäusern auch ein Flüchtlingslager Opfer der Kämpfe wurde. Grenzen scheint dieser Krieg nicht zu kennen, vielleicht setzen die zwei Supermächte deshalb lieber auf Verhandlungen als auf Eskalation. Die Frage ist nur, ob das nicht zu spät ist.

Bereits 2015, als eine Waffenruhe in Syrien ausgerufen wurde, verweigerte sich al-Nusra als eine der wenigen Rebellengruppen, daran teilzunehmen. Oben erwähnter Alloush, Führer von JAI, tat es jedoch. Und wurde getötet. Auch wenn man dem Mann nicht wirklich nachweinen muss, so sollte ein Aspekt genauer betrachtet werden: Den Boost den al-Nusra dadurch erhalten hat. Als eine der wenigen Gruppen, die in vollem Widerstand zur syrischen Regierung stehen und zu keiner Konzession bereits sind, haben sie sich einen Nimbus aufbauen, der von Tag zu Tag wächst. Sie sind nicht dermaßen radikal wie Da’esh, stellen sich auch geschickter in der öffentlichen Wahrnehmung an. Ihr Chef, al-Jolani, gab Anfang 2015 ein Interview mit Al-Jazeera und versuchte sich als moderater, gemäßigter Kopf einer Gruppe zu profilieren, die nicht unendlich fest an al-Qaida gebunden ist. Ihre jüngsten Erfolge gegen die stark verhassten iranischen Truppen, lässt ihren Einfluss weiterhin wachsen. Jedes Mal wenn der politische Prozess in Syrien scheitert, gewinnt al-Nusra, weil sie jeglichen Prozess von vornherein als Zeitverschwendung abtut. Das ist gefährlich, da sie bis jetzt Recht behalten haben.

Die jüngste Waffenruhe hat zwar mit Sicherheit das Leid der Menschen in Teilen Syriens vermindern können, aber wie gezeigt, nicht wirklich die Kämpfe beenden. Im Gegenteil: Die Waffenruhe wurde von mehreren Seiten genutzt, um sich neu zu sammeln und für weitere Schläge auszuholen. Weder in Teheran, noch in Damaskus oder in Kreisen vieler Rebellengruppe wurde die Waffenruhe gern gesehen geschweige denn akzeptiert. Russland und die USA spielen mit dem Feuer, wenn sie weiterhin unsichere Feuerpausen proklamieren, an die sich am Ende keiner hält. Da jedoch die US-Führung ein Ablaufdatum hat, und damit auch ihre Syrien-Politik, dürfte sowas schwer umzusetzen sein. Das Spiel auf Zeit wird von mehreren Seiten weiterhin fortgeführt.

Al-Qaida hat nun, da könnten auch interne Rivalitäten eine Rolle spielen, mehrere Führungskader nach Syrien verlegen lassen. Das Ziel ist ein neues Emirat. Das könnte nochmals einen Ruck durch die internationale Gemeinschaft gehen lassen, dass Syrien nicht ungelöst bleiben kann. Mit gescheiterten Prozessen in Afghanistan, Irak und Libyen dürfte Optimismus aber schwer angebracht sein.

In Sachen Syrien wurden in der Vergangenheit immer wieder Vergleiche aufgestellt: Syrien werde das Vietnam des Irans, der Hezbollah, der Türkei oder Russlands. Mag alles sein, vermutlich eher nicht. Fest steht jedoch eins: Syrien ist Vietnam, es ist das Vietnam unserer Zivilisation.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Abrahan Garcia

Angehender Orientalist

Abrahan Garcia

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