Wer ist der wahre Souverän?

Der Fall John Dalli Die Demokratie in unserem System ist nicht allgegenwärtig, es gibt Strukturen, in denen der Markt das Volk als Souverän superiert. Ganz nach dem Motto "too big to fail"

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Das Thema Wahlen wird uns die nächsten Woche des Öfteren beschäftigen. Neben den Kommunalwahlen finden demnächst auch die Wahlen für das europäische Parlament statt. Vom 22.-25.5 werden in allen EU-Ländern die Volksvertreter für das Parlament gewählt, in Deutschland sogar ohne einer 3% Sperrklausel. Dabei verkörpern diese Wahlen den eigentlichen Verlust des Volkes als Souverän und verschleiern wer wirklich die Macht in Europa besitzt.

In einem kapitalistischen System leben viele Staaten durch ihre Wirtschaft und dadurch auch von den vielen Unternehmen im Land. Angela Merkel hat mit ihrer Bezeichnung der "marktkonformen Demokratie" genau auf dies hinweisen wollen, über die Überordnung des Marktes im Vergleich zur Staatsform. Die Demokratie hat sich nach dem Markt zu richten, die Bürger nach den Unternehmen. Insofern ist es auch nachzuvollziehen, dass in einem solchen System viele Firmen eine immense politische Schlagkraft besitzen. Dieser sogenannte Lobbyismus ist in nahezu allen politischen Systemen und Ebenen spürbar und während es zum Beispiel in den USA vollkommen normal ist, dass über die Hälfte der Kongressmitglieder Millionäre sind, obwohl der Salär das eigentlich nicht zulässt, geben sich andere Länder wie Deutschland Intransparent in diesen Bereichen.

Viele der großen Parteien im deutschen Bundestag werden von Unternehmen und Privatpersonen gesponsert. Dabei ist es interessant, dass die meisten Firmen und Medienmogule die gleichen Parteien öfters mit Spenden unterstützt haben, also scheint die politische Ideologie kein Kriterium zu sein. Die Linke bildet dabei die einzige Ausnahme, ihre Einnahmen sind deutlich geringer als die der anderen Parteien. Aber während auf nationaler Ebene zumindest durch die demokratischen Strukturen die Lobbyarbeit der Wirtschaft einigermaßen gebremst wird, wuchert auf europäischer Ebene der Lobbyismus an allen Ecken und Enden der Organisation.

Laut lobbycontrol.de sind knapp 20.000 Lobbyisten allein in der europäischen Hauptstadt Brüssel vertreten, die alle Einfluss auf die verschiedenen Institutionen nehmen. Das ganze Ausmaß kann dabei gar nicht erfasst werden, zu intransparent sind die behördlichen Strukturen in der EU und die Kontrollgruppen nicht unabhängig genug. Anhand eines relativ spektakulären Fall soll gezeigt werden wie große Firmen Einfluss auf die Politik nehmen.

John Dalli war ein engagierter Gesundheitskommisar, der eine strengere Regulierung der Tabakindustrie durchsetzen wollte. Neben einem geforderten "Plain-Packaging", einem Einheitsmuster für alle Zigaretten Packungen mit Schockbildern, wollte er einen schwedischen Kautabak europaweit verbieten, nachdem nachgewiesen wurde, dass dieser Krebs verursache. Der Export von "Snus", so der offizielle Name des Produktes, war bereits in Europa verboten, aber in Schweden aufgrund seiner langen Tradition noch legal. Dalli wollte dies ändern, er wollte die Tabakindustrie stark beschneiden und einige Reformen durchsetzen. Es standen auch der Verbot von Geschmacksverstärkern wie Schokolade oder Erdbeere, die den Tabakgeschmack überdecken, im Raum, zudem wollte er es verbieten, dass Geschäfte mit dem Zigarettenschachteln Werbung machen. Die Tabakindustrie fürchtete um Milliarden Gewinne.

Auch die EU, die zuvor ein Kooperationsabkommen mit mehreren namhaften Tabakkonzernen abgeschlossen hatte, darunter Phil Morris International, war nicht sonderlich begeistert von Dallis Ideen. Neben Insider-Infos für die Anti-Betrugsbehörde OLAF im Kampf gegen Fälscher und Schmuggler wurden der Union zwei Milliarden Euro zugesagt. Dementsprechend war der daraufhin folgende Druck seitens der Tabak-Lobby sehr groß auf John Dalli und seine Behörde.

Jedoch konnte der Malteser seine ambitionierten Pläne nicht in die Tat umsetzen, da ein schwedisches Tabakunternehmen, namentlich Swedish Match, ihm im Mai 2012 schwere Vorwürfe gemacht hatte. Er habe angeblich über einen Mittelsmann der Firma angeboten bei einer Zahlung von 60 Millionen Euro das Exportverbot für ihr Produkt Snus aufzuheben. Nachdem die Firma den angeblichen Vorschlag Dallis ablehnte und offiziell Beschwere bei der EU gegenüber ihn einreichte, wurde das Ermittlerteam "OLAF" eingeschaltet, das den Vorfall untersuchen sollte.

Heute ist klar, dass die ganzen Vorwürfe rein erfunden waren. John Dalli hat nie von Swedish Match Schmiergeld gefordert, das angebliche Treffen zwischen Konzernvertreter und ihm habe es nie gegeben. OLAF hat dabei gravierende Fehler in ihrer Untersuchung gemacht und zudem haben führende EU-Politiker offensichtlich gelogen, darunter auch hohe Beamte wie José Barroso oder Catherine Day. Letzten Endes wurde John Dalli also nur etwas angehängt, da er mit seinen Vorhaben die Gewinne der Tabaklobby zu sehr beschnitten hätte. Die neue Tabakproduktrichtlinie wurde trotzdem letzten Monat beschlossen, jedoch in einer weit minderen Form wie von Dalli am Anfang vorgeschlagen. Außerdem musste keiner der Beteiligten von ‪#‎tobaccogate‬, so wurde der Vorfall genannt, am Ende zurücktreten, mit Ausnahme des Maltesers, darunter auch ehemalige Mitarbeiter einiger Tabakunternehmen, die nun in der EU tätig sind.

Dieses Beispiel zeigt wie viel Einfluss und Macht große Unternehmen in der Politik haben. Die Lobbys in vielen Ländern diktieren die politischen Richtlinien, am deutlichsten sieht man das in den USA, wo neben der jüdischen ‪#‎AIPAC‬ die Waffen- und Bankenlobbys extreme Macht besitze.

Andere Firmen wie Goldman&Sachs sind noch stärker in der Europäischen Union tätig, führende Ex-Mitarbeiter vieler Unternehmen bekleiden nun verschiedenste Ämter in unterschiedlichsten Organisationen. Neben der EU sind auch die Weltbank oder der IWF typische Ziele des Lobbyismus.

Dabei sollte man erwähnen, dass diese Erkenntnisse von keiner Ermittlungsbehörde stammen, sondern wieder einmal von Journalisten aufgedeckt wurden. Dies zeigt auf wie viel Transparenz einige politische Behörden setzen. Auf gar keine.

Der genaue Ablauf der Affäre hier zum Nachlesen:

SPON, Lobbypedia, CorporateEurope

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Abrahan Garcia

Angehender Orientalist

Abrahan Garcia

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