Unter freiem Himmel?

Öffentlicher Raum Während öffentliche Räume nach Corona langsam wiederbelebt werden, zeigt sich: Wirtschaftliche und politische Freiheiten dürfen nicht gegeneinander ausgespielt werden.

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Auf dem Weimarer Theaterplatz wird sich heute, am 8. Mai 2020, ein kontrastreiches Bild ergeben. Auf der einen Seite des Bildes stehen Tische und Bänke eines Eiscafés: Familien verzehren Kuchen, Freunde genießen ihren ersten gemeinsamen Cappucino nach Wochen der Einsamkeit, Kinder freuen sich über die neugewonnene Freiheit. Auf der anderen Seite des Bildes stehen Demonstrantinnen und Demonstranten, die an die Befreiung Deutschlands vom Faschismus vor 75 Jahren erinnern – sie sind umzäunt von Flatterband, tragen Mundschutz und müssen auf Markierungen stehen, die den Sicherheitsabstand zu den anderen wahren sollen. Ihren Namen, ihr Geburtsdatum und ihre Adresse mussten sie am „Einlass“ zur Kundgebung angeben, die Daten werden vom Gesundheitsamt bevorratet. Eine öffentliche Kundgebung wird momentan nur unter Einhaltung dieser Auflagen durch die Versammlungsbehörde gestattet.

So zeigt sich an diesem so geschichtsträchtigen Ort eine bizarre Schieflage, die bezeichnend ist für die neuen Aushandlungen, die im Zuge der Corona-Krise überall stattfinden: In welcher Stadt wollen wir eigentlich leben? Sicherlich erscheint es sinnvoll, dass sich die Stadt buchstäblich wieder öffnet, ihre Lebendigkeit zurückerhält. Insbesondere für Kinder ist beispielsweise die Öffnung der Spielplätze ein gar nicht zu unterschätzendes Signal: Bewegt und spürt euch! Wir brauchen mehr dieser Signale, wenn wir eine offene Gesellschaft bleiben wollen.

Gleichzeitig ist es mehr als bedenklich, wenn dabei demokratische Freiheiten den Kürzeren ziehen. Als Teilnehmerin einer öffentlich angemeldeten Kundgebung den eigenen Namen für sich behalten zu können ist eine dieser Freiheiten, die durch die restriktive Auslegung des Infektionsschutzgesetzes durch die Stadt Weimar (und andere Städte) ernsthaft in Gefahr sind. Nicht wenige Experten sind der Auffassung, dass dieses Vorgehen der Stadt rechtswidrig ist: Das Verwaltungsgericht Gelsenkirchen hat eine ähnlich lautende Auflage der Stadt Dortmund vor kurzem gekippt, der Thüringer Landesdatenschutzbeauftragte sieht das Vorgehen ähnlich kritisch. Es muss vordergründiges Ziel sein, schnell Maßstäbe zu finden, die es erlauben, wirtschaftliche und politische Lockerungen gleichen Schrittes vorzunehmen – damit die Schieflage sich nicht verschärft.

Foto einer Kundgebung in Weimar (Eingebetteter Medieninhalt)

Wir sehen daran auch, dass der gemeinsame öffentlicher Raum wieder Schwerpunkt einer zukunftsgewandten Stadtpolitik werden muss. Zu gelungenen öffentlichen Räumen gehören unbedingt auch schattenspendende Bäume, denen die Trockenheit eines voranschreitenden Klimawandels gerade besonders zusetzt. Sie sollen ausgestattet sein mit mehr Verweilmöglichkeiten, die nicht unbedingt mit Konsum verknüpft sind: So können durch eine flexible Aufhebung von Sondernutzungsgebühren mehr Bänke oder „Parklets“, begrünte Stadtmöbel auf Parkplätzen in der Innenstadt installiert werden. Diese Räume müssen Sport und Gesundheit ermöglichen und daher Autoverkehr reduzieren. In diesen öffentlichen Räumen muss politischer Diskurs ohne unnötige und möglicherweise rechtswidrige Auflagen stattfinden. Die Corona-Krise zeigt, dass wir uns diesen Aufgaben jetzt stellen müssen – es ist dringender denn je.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Anton Brokow-Loga

Anton Brokow-Loga ist Transformationsforscher an der Bauhaus-Universität und Stadtrat in Weimar.

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