Offensive des Lächelns

Die NGO und das Dilemma der Klimaverhandlungen Vom konflikt- zum konsensorientierten Akteur

Greenpeace, World Wide Fund for Nature (WWF) oder das Climate Action Network (CAN) redeten bereits intensiv über den Klimawandel, als Regierungen und Privatwirtschaft davon noch nichts wissen wollten. Da war es nur konsequent, die in langen Jahren erarbeitete Kompetenz der zivilgesellschaftlichen Akteure zu berücksichtigen, als sich die internationale Klimapolitik zu institutionalisieren begann. Mit der Ratifizierung der Klimarahmenkonvention erhielten die NGO - wozu im UN-Verständnis auch die Privatwirtschaft zählt - seit 1994 einen "verbrieften Zugang" zu einschlägigen internationalen Konferenzen. Eine politische Möglichkeit, die bei allen Chancen auch Verantwortung bedeutete. Ob die NGO sie ausreichend wahrnahmen, wird inzwischen vielfach bezweifelt.

Der Treibhauseffekt ist ein Faktum, die mittlere Temperatur der Erde hat sich im vergangenen Jahrhundert um 0,6 Grad Celsius erhöht, wie es im jüngsten Bericht des International Panel on Climate Change (IPCC) heißt. Aufgrund der von Region zu Region ganz unterschiedlichen Folgen des Klimawandels ist es eher verklärend, von einem "globalen Menschheitsproblem" zu sprechen. Es handelt sich vielmehr um eine sozial-ökologische Krise, die nicht nur mit natürlichen Erscheinungen zu tun hat, sondern ebenso mit kurzfristigen ökonomischen Interessen und politischem Machtkalkül. NGO sind Teil dieses widersprüchlichen Konfliktfeldes, das sich in mehrfacher Hinsicht als Einfallstor für diese "neuen Akteure" erweist: An der Bruchstelle von einzelstaatlichen Interessen und internationaler Politik bildet sich - jenseits aller Konflikte - auch ein Kompromissterrain, weil der Klimawandel ganz offenbar nicht mehr ignoriert werden kann.

Vor diesem Hintergrund öffnen die jährlichen Klimakonferenzen den NGO einen neuen Ort des Politischen, der ihr Aktionsfeld erweitert, indem sie im "Namen der globalen Zivilgesellschaft" das Wort ergreifen können. Dabei ergeben sich aufgrund der konfliktreichen Interessenslagen für die NGO bündnispolitische Anschlussmöglichkeiten, die sich meist auch materiell auszahlen. Das ist schon deshalb wichtig, weil ein langfristiges NGO-Engagement in der Weltpolitik eines bruchsicheren finanziellen Fundaments bedarf.

Schließlich sind NGO als Akteure des korporatistischen Staates Teil und Ausdruck einer Krise der Demokratie. Die angemessene Artikulation gesellschaftlicher Interessen ist in der globalen Arena noch schwieriger als auf nationaler Ebene. Auf diese Herausforderung haben die NGO reagiert, indem sie sich in Netzwerken transnational organisieren.

Das Netzwerk CAN als Teil einer internationalen Zivilgesellschaft

Ein solches Netzwerk wurde 1989 mit dem Climate Action Network (CAN/ heute 300 Mitgliedsorganisationen ) gegründet. Es weist vier prägende Strukturmerkmale auf: Zunächst einmal ist CAN in sieben Netzknoten unterteilt, die in Europa, Afrika, Südasien, Südostasien, Lateinamerika sowie in Großbritannien und den USA angesiedelt sind. Diese selbstständig agierenden Knoten koordinieren die regional unterschiedlichen Projekte der jeweiligen Umweltverbände in der Klimapolitik. Zweitens wird das CAN um die weltweiten Strukturen des WWF, von Greenpeace oder Friends of the Earth (FoE) ergänzt. Drittens besteht der Kern des Netzwerkes aus einem inneren Zirkel von 50 Experten, die bei Klimakonferenzen auf hohem, professionellem Standard agieren. Viertens bilden sich am jeweiligen Konferenzort zeitlich befristete "single-issue"-Netze, die mit CAN kooperieren.

Diese Netzwerkdimensionen sind mehr als die Summe ihrer Teile. Gerade in ihrer Gesamtheit entfalten sie eine erhebliche politische Symbolkraft. Das heißt jedoch nicht, dass es sich innerhalb des CAN um Kooperation unter Gleichen handelt. Westeuropäische und nordamerikanische Umweltverbände haben hier eindeutig mehr Einfluss als die Süd-NGO. Letzteren fehlt wegen geringer Ressourcen oft jede Möglichkeit, an Klimaverhandlungen teilzunehmen, so dass diverse Themen gar nicht auf die Agenda gelangen.

Davon abgesehen, sind gerade bei Klimaverhandlungen NGO zu einem gewichtigen Akteur innerhalb der Debatte um Global Governance avanciert. Welcher Einfluss dabei allerdings tatsächlich vorhanden ist, lässt sich in den wenigsten Fällen klar nachweisen; auf jeden Fall ist er begrenzt. Zwar können sich NGO während der Konferenzen relativ frei bewegen. Wenn sensible Themen oder machtvolle Interessen im Spiel sind, bleiben sie jedoch von den (informellen) Verhandlungen ausgeschlossen. Insofern ist der eingangs erwähnte "verbriefte Zugang" der NGO bei Klimakonferenzen zu relativieren.

Öffentlichkeitswirksame Proteste, die am Rande der Klimaverhandlungen stattfinden, sind nicht zuletzt Ausdruck dieser begrenzten Partizipationsmöglichkeiten. NGO ließen etwa bei der Klimakonferenz 1999 in Bonn eine Erdkugel aus Pappmasché auflodern, um auf den Treibhauseffekt hinzuweisen, oder bauten, wie in Den Haag (November 2000), einen Deich aus Sandsäcken, um den Anstieg des Meeresspiegels mediengerecht vor Augen zu führen. Alles in allem ein verhaltener Aktionismus, wird doch der öffentliche Protest nur insoweit gesucht, als damit weder der Konferenzzugang verspielt, noch konstruktive Kooperation verhindert wird. Mit anderen Worten: NGO beziehen sich auch aus Eigennutz affirmativ auf den Gesamtprozess der internationalen Klimapolitik und bevorzugen den "Strategiemix" einer "konfliktreichen Kooperation", der für ihre relative Stärke ausschlaggebend ist.

Der Kyoto-Prozess als Gefahr für die Eigenständigkeit der NGO

Ein Abgleich mit den offiziellen staatlichen Akteuren ist für NGO nicht zuletzt auch deshalb erforderlich, weil sich das Klimaproblem kaum zur breiten Mobilisierung etwa im Rahmen der neuen sozialen Bewegungen anbietet. Heikle Themen wie Verkehr und Mobilität, Freizeit und Tourismus, Produktion und Arbeit, die nicht selten mit klimaschädlichen Emissionen einher gehen, bieten sich hierfür kaum an.

Die beachtlichen Projektmittel, die NGO über internationale Geldquellen wie dem Finanzinstrument der Klimapolitik - der Global Environmental Facility (GEF) - oder über staatliche Stellen akquirieren können, werden zum viel bedeutenderen Anreiz für ein Engagement. Das erklärt auch, weshalb NGO trotz der beklagten schwachen Resultate seit der ersten Vertragsstaatenkonferenz 1995 in Berlin immer wieder bekräftigen, die Klima-Verhandlungen müssten fortgesetzt werden. Traten sie anfangs noch für gerechte Beziehungen zwischen Nord und Süd, eine drastische Erhöhung der Finanzmittel für den globalen Umweltschutz oder eine globale CO2-Steuer ein, änderte sich das mit dem Kyoto-Protokoll von 1997 und dessen abgespeckten Reduktionszielen. Angesichts eines durchschnittlichen Abbaus der Emissionen von 5,2 Prozent zwischen 2008 und 2012 (s. Freitag vom 8. 6. 2001) wurde auch das Toronto-Ziel, das 20 Prozent bis 2005 gegenüber dem Basisjahr 1988 vorsah, für NGO bedeutungslos. Seither beziehen sie sich wesentlich auf staatlich vorgegebene Verhandlungsziele, während grundsätzliche Debatten über die eigentlichen ökonomischen Ursachen des Treibhauseffektes völlig vernachlässigt werden.

Denkt man an die Straßenproteste gegen das WTO-Treffen in Seattle Ende 1999 oder gegen supranationale Instanzen wie den IWF, so ist im Kontext der Klimaverhandlungen eines höchst aufschlussreich: Während NGO bei Letzterem die "konfliktreiche Kooperation" in einem "weichen" Politikbereich gepflegt haben, erscheinen die "high politics" durch diese Strategie nicht beeinflussbar. Es erfordert Gegenöffentlichkeit, wenn emanzipative Ideen einer sozial-ökologischen Gesellschaftswende weithin gehört werden sollen. Und genau da befinden sich NGO dank ihrer Staatsnähe in einem Dilemma. Denn sie selbst sind auf Öffentlichkeit angewiesen, um sich zu legitimieren. Gelingt ihnen das aber nur in einem "weichen Bereich" der internationalen Politik, sind sie kaum fähig, den notwendigen Strukturwandel der Industriegesellschaft im Interesse nachhaltiger Klimaschutzpolitik zu beschleunigen. Transnationale Netzwerkstrukturen, der "Strategiemix" und das Agieren im Umfeld internationaler Instanzen lösen dieses Dilemma nicht auf. Im Gegenteil: Wird ihre Staatsnähe zu groß, werden NGO zu Herrschaftsinstrumenten, die Reformdruck kompensieren helfen. Auch aus dieser Perspektive lassen sich NGO mit einigem Recht als Teil der "globalen Zivilgesellschaft" identifizieren; allerdings nicht im liberalen Sinne eines politisch-unabhängigen Gegenübers staatlicher Politik, sondern als dessen integraler Bestandteil. Dann aber gilt "mitgegangen - mitgefangen". Gerade der Klimagipfel in Den Haag hat gezeigt, dass NGO durch die "Offensive des Lächelns" auch in die Irrelevanzfalle geraten können.

Achim Brunnengräber ist Politikwissenschaftler an der FU Berlin und Mitarbeiter von Ernst Ulrich von Weizsäcker (MdB), Vorsitzender der Bundetagsenquete-Kommission Globalisierung der Weltwirtschaft - Herausforderungen und Antworten. Die vollständige Fassung des Textes im Informationsbrief W 4/2001.

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